Wochenlang hab ich mich auf «Sherlock» gefreut. Ich und die BBC hatten am 1. Januar 2017 um 21:30 Uhr das Date aller TV-Dates. Es ist nicht so, dass ich eine «Sherlock»-Fanatikerin oder gar «Cumberbitch» wäre, ich habe jede Folge nur einmal gesehen und die meisten vergessen, ausser der Hochzeit von John Watson mit seiner Mary und ausser der Gothic-Spuk-Spezialfolge «The Abominable Bride» von vor einem Jahr, die ich für erhaben in ihrer Genialität halte. Ich bin damit allerdings ein bisschen allein, das weiss ich wohl.
Egal. Ich habe mich wie blöd gefreut. Doch dann ging alles bachab. Innerhalb von Minuten. Erstens war da ein Baby. John und Mary hatten es gemacht. Ein Baby gehört so wenig zu Sherlock Holmes wie – sagen wir – ein Fahrrad zu James Bond. Ein Baby ist sowas wie der grausamst mögliche Stilbruch.
Zweitens hätte mich der Vorbericht im «Guardian» stutzig machen müssen: Denn der «Guardian», der grundsätzlich jedes einigermassen passable britische Kulturerzeugnis in alle Himmel lobt, beschränkte sich darauf, die neue «Sherlock»-Folge mit andern britischen Ikonen zu vergleichen. Aus Sherlock Holmes wurde Hamlet und aus John Watson plötzlich King Lear. Der eine Shakespeare-Vergleich mag stimmen, der andere humpelt irgendwie durch die Gegend, aber immerhin, nobler Vergleich.
Vor allem aber ging es dem «Guardian» darum, aus Sherlock einen Bruder von Bond zu machen. Mehr Action, weniger Worte. Leider trifft genau das zu und führt zum Totalschaden von «The Six Thatchers», der Folge, die Conan Doyles Sherlock-Erzählung «The Adventure of the Six Napoleons» nachempfunden ist. Es war – ohne jetzt irgendwas zu spoilern – grausam. Albern und langweilig. Fucked up statt Mindfuck. Junk statt Juwel.
Schliesslich besteht der Reiz von Bond und Sherlock genau in ihrer Differenz: Der eine ist ein mondäner, frauenverschlingender Lebemann, der andere ein genialer, menschenfeindlicher Autist, der am liebsten in seiner Wohnung nistet. Die DNA des einen wurde vor dem Hintergrund des Kalten Krieges entwickelt, die des andern ist viktorianisch. Der eine kämpft, der andere denkt, der eine ist ein Elitesoldat im Smoking, der andere ein Intellektueller im fliegenden Mantel. Beide sind super. Weil sie anders sind. Es waren einmal ...
Auf Twitter verlangten die Zuschauer wütend den sofortigen Tod einer Figur (sie bekamen ihn geliefert). Andere schalteten ob des Sherlock-Bond-Mashups lieber gleich um zu «Skyfall» auf itv. Was für ein himmeltrauriges Desaster. Ist es schlimm, dass diese Staffel, auf die wir drei Jahre gewartet haben (DREI!!!), wahrscheinlich die letzte ist? Herr Cumberbatch muss jetzt zuviel in Hollywood drehen, heisst es. Ist es das lichtlose Ende der Serien-Kultur des Abendlandes? Scheisse, nein.
Richtig Lust auf viel mehr macht dafür der Überraschungsangriff, den Showtime zwischen den Jahren mit der Pilotfolge der sechsten Staffel von «Homeland» lancierte. Was für ein Coup! Was für eine geile Idee! Showtime kündigte den 15. Januar an, schaltete die eine Folge aber spontan am 30. Dezember auf. Ein Marketingtrick natürlich, aber ein willkommener.
Achtung, Spoiler-Warnung! Nicht, dass ihr euch danach wieder beschwert!
Wo hatte wir die bipolare Ex-CIA-Agentin Carrie Mathison schon wieder verlassen? Genau, in Berlin. Dort spielte nämlich die ganze fünfte Staffel, Carrie lebte da mit Tochter und deutschem Boyfriend und arbeitete als Sicherheitschefin für einen superreichen Wohltäter. Ihr ehemaliger Chef war dummerweise in eine russische Doppelagentin verliebt, ihr langjähriger Lieblings-Kumpel Quinn wurde entführt und grausam gefoltert. Carrie rettete Berlin vor dem schlimmsten Terroranschlag der Geschichte, etc. Eine tolle Staffel, die fünfte.
Und jetzt? Lebt Carrie mit ihrer Tochter (okay, die Tochter wäre nicht nötig, ein Kind gehört so wenig zu Carrie wie ...) in Brooklyn und berät Opfer von Racial Profiling. Der deutsche Wohltäter will sie zurück. Carrie wirkt geistig ganz gesund und entspannt. Ob das wohl lange gut geht? Dafür ist Quinn nach der Berliner Folter ein totales Wrack, ist in einem Spital für Kriegsveteranen, geht ins Bordell, nimmt Drogen. Armer Quinn. Und: New Yorker Jugendliche radikalisieren sich. Mit welchem Ziel?
All dies sind erst lose Anfänge von neuen Erzählungen. Geisterhaft vertraut ist dagegen der politische Rahmen. Die ganze Staffel spielt nämlich in der Zeitspanne zwischen der Wahl des neuen Präsidenten und seiner Amtseinführung. Aus diesem politischen Schwebezustand soll sich auch die Haupthandlung der Staffel entwickeln.
Der neue Präsident ist: eine Frau! Damit rechnete Showtime nämlich so sicher wie viele andere. CBS etwa musste nach der Wahl von Trump grosse Teile seines «The Good Wife»-Spinoffs «The Good Fight» neu drehen.
Amerikas neu gewählte Präsidentin spielt nun in «Homeland» ausgerechnet Elizabeth Marvel, die Präsidentschaftskandidatin und grösste Gegnerin von Frank Underwood aus «House of Cards». Was für eine Karriere. Und was für eine Ausgangslage. Am 15. Januar, wenn «Sherlock» hoffentlich besser endet als er jetzt begonnen hat, gehts mit «Homeland» weiter. Die Aussichten könnten schlechter sein.