Der Republikaner Kevin McCarthy ist in der Ukraine-Politik nicht zu beneiden. Der designierte Vorsitzende des Repräsentantenhauses, der im Januar die bisherige Speakerin Nancy Pelosi ablösen möchte, sieht sich mit zwei Herausforderungen konfrontiert. Da sind zum einen die traditionellen Aussenpolitiker, zu denen sich eigentlich auch McCarthy zählt. Sie wollen Kiew im Kampf gegen die russische Invasionsarmee beistehen und weiter Waffen und Bargeld liefern.
Derzeit schnürt das Weisse Haus das nächste Hilfspaket im Umfang von gegen 38 Milliarden Dollar, das in einem nächsten Schritt von Repräsentantenhaus und Senat verabschiedet werden muss. Zum andern wird an der Basis der Republikanischen Partei immer mehr Kritik am bisherigen Kurs der Regierung von Präsident Joe Biden laut.
Der US-Kongress müsse die amerikanischen Interessen bei der Gestaltung der US-Aussenpolitik künftig wieder «an erste Stelle» setzen, forderte im November eine lose Koalition von konservativen Denkfabriken in einem öffentlichen Brief an McCarthy – als sei dies derzeit nicht der Fall.
Der designierte Speaker will diese einflussreichen Kritiker beschwichtigen, indem er verspricht, dass die USA künftig besser Buch über die Waffenlieferungen führen werde und Kiew Rechenschaft über die Subventionen ablegen müsse. Unter seiner Ägide werde Washington der Ukraine keinen Blankoscheck mehr ausstellen, sagte McCarthy.
Mit dieser Ankündigung hofft der Fraktionsvorsitzende, die Erosion der republikanischen Unterstützung für die Regierung in Kiew zu bremsen. Gemäss einer aktuellen Umfrage befürworten 43 Prozent der republikanischen Wählerinnen und Wähler eine Reduktion der Transferzahlungen an die Ukraine. Nur gerade 19 Prozent der Demokraten unterstützen diese Forderung. (Renzo Ruf, Washington)
Damit hatte Putin wahrscheinlich nicht gerechnet: Aber auch nach 300 Tagen Krieg, explodierenden Energiepreisen und hohen Flüchtlingszahlen hält die EU-Einheitsfront. Mehr noch: Die Staatengemeinschaft hat Massnahmen ergriffen, die vor dem Krieg undenkbar waren.
Nur einen Tag nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine erliess die EU harte Sanktionen gegen Russland. Letzten Freitag folgte bereits das neunte Sanktionspaket. Das Ende der Abhängigkeit von russischen Rohstoffen ist beschlossene Sache und der Ukraine wurde in einer historischen Geste der Status als EU-Beitrittskandidat verliehen.
Zum ersten Mal in der EU-Geschichte überhaupt wurde der Sonder-Schutzstatus aktiviert, unter dem über 4.7 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer in der EU Zuflucht fanden.
Nur ein Land tanzt regelmässig aus der Reihe: Ungarn. Ministerpräsident Viktor Orban importiert weiter fleissig Gas aus Russland und versuchte zuletzt aus Gründen, die nichts mit dem Krieg zu tun haben, die 18 Milliarden Euro Ukraine-Hilfen für 2023 zu blockieren. Die 26 anderen EU-Staaten fanden jedoch einen Weg, Orbans Veto zu umschiffen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versichert regelmässig, die EU werde die Ukraine so lange unterstützen, wie es nötig sei. Tatsächlich aber leidet auch die EU-Wirtschaft zunehmend unter dem Krieg. Für den Ersatz des russischen Pipelinegases mussten die EU-Staaten teures Flüssiggas aus den USA und dem Nahen Osten importieren.
Die Inflation in der Eurozone stieg im Oktober auf 10.6 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat und damit auf den höchsten Wert seit Bestehen der Währungsunion. Von der Leyen warnte davor, dass das vor dem Krieg verabschiedete gemeinsame EU-Budget bald aufgebraucht sein könnte. Um die finanziellen Herausforderungen zu bewältigen, könnten deshalb neue EU-Schulden wie bei der Coronapandemie nötig werden, was die EU-Staaten vor eine Zerreissprobe stellen könnte. (Remo Hess, Brüssel)
«Lieber frieren als Gas von Putin», war im Frühling auf den Transparenten deutscher Demonstranten zu lesen. Nun, da der Winter da ist, stellt sich die Frage, wie ernst das gemeint war. Zumal Deutschland lange Zeit ohnehin als schwaches Glied im westlichen Bündnis galt: Kein anderes grosses Land in Europa hatte sich in seiner Energieversorgung stärker von Russland abhängig gemacht.
Heute ertönen Rufe nach einem Ende der Sanktionen vor allem von den politischen Rändern, also von der Linkspartei und der rechten AfD, aber es gibt Ausnahmen, etwa den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer von der CDU, der jüngst seine Forderung nach russischem Gas wiederholte.
Mit kostspieligen Massnahmen wie der «Gaspreisbremse» versucht die deutsche Regierung, möglichem Unmut zu begegnen, doch wahrscheinlich kauft sie sich damit nur Zeit: Laut Umfragen fordern schon jetzt mehr als die Hälfte der Deutschen Verhandlungen mit Russland; im Sommer waren es noch deutlich weniger. In Ostdeutschland, wo die Stimmung traditionell besonders Russland-freundlich ist, will nur ein Drittel die Ukraine weiter unterstützen; mehr als ein Drittel der Befragten sieht dort eine Teilschuld für den Krieg bei der Nato.
Viel hängt nun davon ab, wie Europa die Ankunft ukrainischer Flüchtlinge in den nächsten Wochen und Monaten bewältigt: Deutsche Landkreise und Kommunen sind bereits jetzt mit dem Ansturm überfordert. Gelingt es nicht, die ankommenden Ukrainerinnen einigermassen gleichmässig in Europa zu verteilen, könnte die Hilfsbereitschaft der Deutschen bald an Grenzen stossen. (Hansjörg Friedrich Müller, Berlin)
In Paris und bis nach Brüssel macht neuerdings eine erstaunliche Frage die Runde: Wo genau steht Emmanuel Macron im Ukraine-Krieg? Nach seinem jüngsten Besuch in den USA versetzte sich der französische Staatschef wortreich in die russische Position. Moskau habe eben «Angst, dass die Nato bis an seine Grenzen kommt», sagte er. Die dortige Stationierung westlicher Waffen könne «Russland bedrohen».
Daraus leitete er für sich die Frage ab: «Was sind wir bereit zu tun, um Russland Garantien für seine Sicherheit zu geben, wenn es an den Verhandlungstisch zurückkehrt?»
Polnische und baltische Politiker fragten darauf wütend, teils gar fluchend, was in Macron gefahren sei. Auch die Pariser Zeitung «Le Figaro» sprach von einem «Fehler, der Frankreich isoliert». Der Elysée-Palast musste klarstellen, dass sich Frankreichs Position nicht geändert habe. Das ist an sich nicht einmal falsch: Macron versucht mit regelmässigen Kontakten zu Putin, das Gespräch aufrechtzuerhalten.
Trotzdem wirken seine neusten Erklärungen verheerend: Sie erwecken aufseiten Frankreichs den Eindruck einer gewissen Kriegsmüdigkeit – und einer fundamentalen Uneinigkeit unter Nato-Partnern.
Zum Glück hatte Macron jüngst eine Unterstützungskonferenz für die Ukraine in Paris organisiert. Sie vermittelte den Eindruck, dass Frankreich nach wie vor ohne Einschränkung auf der Seite Kiews stehe. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj unterliess deshalb jede Kritik an Paris und fragte auch nicht, warum sein französischer Amtskollege auf die Idee komme, plötzlich Sicherheitsgarantien für jene Seite zu fordern, die in dem Krieg der klare Aggressor ist.
In Kiew und Osteuropa beruhigt man sich mit dem Hinweis, dass Macrons ambivalente, wenn nicht wechselhaften Aussagen nicht immer auf die Goldwaage zu legen seien; immerhin liefere Paris weiterhin Waffen an die ukrainische Armee.
Allerdings gehen sogar deutsche Stimmen auf Distanz zu Macron: Die SPD, die früher keine Berührungsängste zu Putin hatte, liess verlauten, Verhandlungen über eine europäische Friedensordnung, wie sie Macron angesprochen habe, seien «nicht möglich, solange Russland eine imperialistische Aussenpolitik verfolgt». (Stefan Brändle, Paris)
Die russische Invasion hatte erst gerade begonnen, da preschte Warschau bereits vor. Polen wolle der Ukraine rund 30 MIG-29-Jagdflugzeuge sowjetischer Bauart überlassen, kündigte Ende Februar die Regierung an. Der Deal kam damals nicht zu Stande, denn sowohl die Nato wie USA stutzten Warschaus Eifer aus Angst vor einer Zuspitzung des Konflikts mit Wladimir Putin.
Doch Polen blieb am Ball: Kaum ein EU-Mitglied hat der Ukraine soviel Waffen geliefert wie Polen. Waffen im Wert von umgerechnet gut 1.8 Milliarden Franken sind inzwischen in die Ukraine verschoben worden, darunter 200 modernisierte sowjetische T-72 Panzer, 18 Panzerhaubitzen des Typs «Krab», mobile Raketenwerfer und sehr viel Munition.
Gleichzeitig half vor allem die polnische Zivilgesellschaft, weniger die Regierung selbst, Hunderttausenden Kriegsflüchtlingen. Inzwischen sind noch etwa 1.3 Millionen Ukrainer im Land, vor allem Frauen und Kinder, die von der Regierung bisher mit rund 1.2 Milliarden Franken unterstützt wurden. Die meisten von ihnen sind immer noch privat untergebracht.
Gerade bereitet sich die Regierung auf eine mögliche zweite Flüchtlingswelle vor: Über 100'000 Schlafplätze sollen in Turnhallen und Hotels zur Verfügung stehen. Doch noch reisen laut Angaben des Grenzschutzes mehr Ukrainer zurück als nach Polen ein; am Dienstag waren es 18’700 Einreisende und 19’200 Ausreisende. (Paul Flückiger, Warschau)
Noch forscher als die Polen haben die drei Baltenstaaten Litauen, Lettland und Estland seit Kriegsbeginn Kiew unterstützt. Nun sind sie gerade dazu übergegangen, Kiew nicht nur das Recht auf Verteidigung gegen Russland, sondern auf Angriffe zuzuerkennen.
Die Ukraine brauche nicht nur einen «Schild», sondern auch ein «Schwert» heisst es dazu in den rund 50 Jahre lang sowjetisch besetzten Kleinstaaten, die je 40'000 bis 70'000 ukrainische Flüchtlinge aufgenommen haben. Am meisten Waffenhilfe an die Ukraine pro Kopf hat bisher das kleine Estland geleistet.
Tallinn sandte sofort moderne Waffentechnik in die Ukraine, die man für die eigene Armee von den USA gekauft hatte. Auch Lettland griff der Ukraine schnell unter die Arme. Litauen kaufte der Ukraine durch Crowdfunding Drohnen. Nun hat Litauens Aussenminister Gabrielius Landsbergis gefordert, der Westen solle der Ukraine neue Waffen liefern, etwa «westliche Kampfpanzer, wie der deutsche Leopard oder der amerikanische Abrams», was schnellere Munitionslieferungen erlaube.
Die Balten haben verstanden, was in Westeuropa erst langsam einsickert: «Es geht nicht nur um die Souveränität und Freiheit eines Landes in Europa, sondern es geht auch um die Sicherheit ganz Europas», sagt Estlands Premierministerin Kaja Kallas. (Paul Flückiger, Warschau) (aargauerzeitung.ch)
Ohne Unterstützung wird die Urkaine untergehen oder in die Steinzeit gebombt werden.
Und wie sollten uns bewusst sein, dass mit jeden Tag in der Ukraine mehr Menschen sterben.