Die Ukraine wurde in der Nacht auf Freitag von massiven Luftangriffen heimgesucht. Experten sprechen sogar von der schwersten russischen Angriffswelle des ganzen Krieges. In einem Statement vermeldete der ukrainische Oberbefehlshaber Waleri Saluschni den Einsatz von 122 Raketen und Marschflugkörpern sowie von 36 Drohnen. Die eigene Flugabwehr habe über 70 Prozent der Geschosse abfangen können.
Laut Saluschni erfolgten die Angriffe in mehreren Wellen aus verschiedenen Richtungen und unter Einsatz von strategischen Bombern, welche die Marschflugkörper aus sicherer Entfernung abfeuerten. Das ukrainische Innenministerium bezifferte die Anzahl der Opfer am Freitagmorgen mit mindestens 12 Toten und 75 Verletzen. Die Angriffe konzentrierten sich offenbar auf zivile Ziele in mindestens sechs Grossstädten, darunter Kiew, Odessa und das bisher weitgehend verschonte Lwiw.
Allein in der Stadt Dnipro soll es 5 Todesopfer und mehr als 20 Verletzte gegeben haben, wie die dortige Militärverwaltung mitteilte. In Saporischschja vermeldete Gouverneur Juri Malaschko 4 getötete Zivilisten und mindestens 10 Verletzte. In Kiew sollen 3 Menschen im Raketenhagel getötet und 28 verletzt worden sein.
Staatspräsident Wolodimir Selenski sprach am Freitag ebenfalls von den schwersten Angriffswellen auf sein Land in diesem Jahr. Der Sprecher der ukrainischen Luftwaffe, Jurij Ihnat, sagte, Russland habe «offenbar alles, was es hat», eingesetzt. Der rund 18-stündige Angriff begann am Donnerstag und dauerte die ganze Nacht hindurch.
A maternity ward, educational facilities, a shopping mall, multi-story residential buildings and private homes, a commercial storage, and a parking lot. Kyiv, Lviv, Odesa, Dnipro, Kharkiv, Zaporizhzhia, and other cities.
— Volodymyr Zelenskyy / Володимир Зеленський (@ZelenskyyUa) December 29, 2023
Today, Russia used nearly every type of weapon in its… pic.twitter.com/q5q8Q98Njr
«Heute hat Russland mit fast allem geschossen, was es in seinem Arsenal hat – mit Kinschal, S-300, Marschflugkörpern, Drohnen. Strategische Bomber haben Ch-101/Ch-505 (russische Marschflugkörper) abgefeuert», schrieb Selenski in den sozialen Netzwerken. Er sprach von einem «terroristischen Akt», versicherte aber zugleich, dass die Ukraine darauf gebührend antworten werde. Russland werde am Ende seinen Angriffskrieg verlieren.
Bereits ging man davon aus, dass die russischen Luftangriffe gegen zivile ukrainische Ziele nicht mehr die gleiche Intensität aufweisen würden wie noch vor einem Jahr. Im Winter 2022/23 bereiteten die gezielten russischen Schläge gegen die Energieinfrastruktur den ukrainischen Verteidigern massive Probleme: Die Bevölkerung litt unter zahlreichen Raketenopfern und langwierigen Stromausfällen, die aber dank des verhältnismässig milden Winters nicht vollends zur Katastrophe wurden.
Die Aufrüstung der ukrainischen Luftabwehr mit zusätzlichen modernen westlichen Systemen einerseits, die offensichtliche Erschöpfung der russischen Lenkwaffen-Arsenale anderseits, hat seither zu wesentlich geringeren Auswirkungen der fortdauernden russischen Luftoffensive geführt.
Ob die massiven Luftschläge der vergangenen Stunden ein letztes Aufbäumen der russischen Seite gewesen sind oder nur der Auftakt einer neuerlichen Intensivierung des Terrorkriegs gegen vorwiegend zivile Ziele, muss sich daher in den kommenden Tagen und Wochen weisen.
Naheliegend ist auch die Vermutung, dass es sich um einen unmittelbaren, möglichst öffentlichkeitswirksamen Racheakt für die Vernichtung des russischen Marineschiffs «Nowotscherkassk» am Stephanstag gehandelt hat, welche der russischen Seite einen schweren Schlag versetzte. (bzbasel.ch)