Am Strassenrand haben sich ein paar ukrainische Soldaten eingegraben. Die Stellung fällt nur auf, weil neben dem Graben ein grosser schwarzer Plastikkoffer liegt. Aus ihm ragen mehrere lange Antennen in die Luft: ein Störsender zur Abwehr russischer Drohnen.
Der Strassenabschnitt ist zwar rund 30 Kilometer von der nächsten russischen Position entfernt, dennoch wird er offenbar von Kampfdrohnen heimgesucht. Zwei getroffene und ausgebrannte Autos zeugen davon.
Die russischen Truppen tun nun das, was die Ukrainer schon seit Monaten vorführen: Mit Drohnen machen sie die Nachschubwege im Hinterland unsicher. Damit wollen sie verhindern, dass Frontstädte wie Pokrowsk mit Munition und Nahrungsmitteln versorgt werden. Trotz grossem Mitteleinsatz ist es den Russen nämlich auch nach zehnmonatiger Schlacht immer noch nicht gelungen, Pokrowsk zu umzingeln, geschweige denn einzunehmen.
Spätestens nach den gescheiterten Friedensgesprächen in Istanbul war es klar, dass Diktator Wladimir Putin nicht an einem Waffenstillstand oder an einer Friedenslösung interessiert ist: Er will die faktische Kapitulation Kiews. Moskau setzt nun auf militärischen Druck, in der Hoffnung, die Ukrainer später doch noch zur Abtretung grosser Landesteile zwingen zu können. Putin droht deshalb mit einer weiteren Offensive, vor allem im Osten in den Regionen Charkiw und Sumi, wo Russland angeblich eine «Pufferzone» auf ukrainischem Gebiet einrichten möchte.
Im Moment liegt der Fokus der russischen Offensive aber weiterhin auf dem Frontabschnitt bei Pokrowsk. Dort hat das Invasionskorps in den letzten Tagen einen Teilerfolg verbucht: Die Angreifer durchbrachen die ukrainischen Stellungen an der Strasse, die Pokrowsk mit dem rund 47 Kilometer weiter nordöstlich gelegenen Kostiantiniwka verbindet. Letztere Stadt zu erobern, ist für die Russen noch wichtiger als Pokrowsk, weil sie damit ihrem obersten Ziel in der Region sehr viel näher kommen: der Grossstadt Kramatorsk.
Weil die Russen Pokrowsk bisher nicht einnehmen konnten, konzentrieren sie sich nun weiter östlich auf die Bergbaustadt Torezk – und auf Kostiantiniwka. Diese Ortschaft – früher Heimat von 70'000 Menschen – ist entscheidend für den Nachschub an diesem Teil der Front. Sollten die Russen dort weiter vorrücken, droht den Ukrainern im Gebiet von Torezk die Einkesselung (siehe Karte).
So weit sind wir aber noch nicht. Die zehnmonatige Schlacht um Pokrowsk hat den Ukrainern viel Zeit verschafft, um auch Gebiete weit hinter der Front zu befestigen. Die neuen Stellungen sind bei unserer Fahrt nach Kostiantiniwka gut erkennbar. Die Ukrainer haben aus ihren Fehlern gelernt und sich auch auf die neue Angriffstaktik der Russen eingestellt: Putins Soldaten greifen nun häufig auf Motorrädern an, denn diese sind schnell und können das kilometerweite Niemandsland besser überqueren als schwerfällige Panzer. Mit Kampfdrohnen sind sie nicht so einfach zu treffen wie vierrädrige Fahrzeuge.
Um besser gegen Infanterieangriffe gewappnet zu sein, haben die Ukrainer ihre Panzerabwehrgräben nun mit Stacheldraht gefüllt. Auch Panzersperren aus sogenannten Drachenzähnen – Betonpyramiden, die in mehreren Reihen hintereinander auf Äcker gestellt werden – sind immer häufiger durch Rollen aus Rasierklingendraht geschützt.
Zudem sind die Befestigungen weniger weitläufig als früher. Das ist einerseits dem Personalmangel geschuldet, der die Bemannung langer Grabensysteme verhindert. Ausserdem haben russische Infanteristen bei Angriffen häufig unbemannte Grabenstücke übernommen, um die Verteidiger anschliessend von dort auszuräuchern.
Die neuen Stellungen bestehen deshalb mehrheitlich aus Bunkern, die besser gegen Drohnenangriffe schützen als offene Gräben, und sie sind zur Rundumverteidigung eingerichtet. Sie bieten Angreifern bei einem Einbruch keine Deckung mehr.
Der Stellungskrieg im Donbass sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es am Ende nicht um die Quadratkilometer geht, die von den Russen erobert werden. Entscheidend ist es vielmehr, möglichst viele Feinde und deren Material zu vernichten – in der Hoffnung, dass dem Gegner irgendwann die Ressourcen für die Fortsetzung des Kriegs fehlen.
Da ist zum Beispiel Serhyi, ein junger Drohnenpilot. Er kommt auf mehr als 50 bestätigte Tötungen von russischen Soldaten – die zerstörten Fahrzeuge nicht mitgezählt. Serhyi ist keine Ausnahme: Die Erfolgsbilanz guter Piloten ist erdrückend, zumal die Ukrainer zumindest im Moment noch mehr Kampfdrohnen einsetzen als die Russen. Weil diese angreifen, sind sie auch mehr exponiert als die eingegrabenen Ukrainer.
Das wahrscheinlichste Szenario nach den Gesprächen von Istanbul ist mithin klar: Russland wird seine Angriffe verstärken. Ob es gelingt, einen entscheidenden Durchbruch zu erzielen, hängt weiterhin vom Widerstandswillen der Ukrainer und dem Ausmass westlicher Waffenlieferungen ab. Die Zeichen stehen auf Krieg, nicht auf Frieden. Aber für jeden ortskundigen Beobachter war das eigentlich schon offensichtlich, als US-Präsident Trump seine wenig durchdachte «Friedensinitiative» startete. (aargauerzeitung.ch)
An Naivität nicht mehr zu überbieten die das Gefühl haben mann müsse mit Putin nur bisschen über Frieden reden und dann ist er ganz Nett.