Russland plane in Mariupol für den 9. Mai eine Siegesparade, liessen die ukrainischen Geheimdienste am Mittwoch verlauten. Dafür sei extra der ranghohe Kremlbeamte Sergej Kirijenko in die weitgehend zerstörte Stadt gereist. Nun würden die Hauptstrassen für die «Feierlichkeiten» von Trümmern, Munition und Leichen gesäubert.
Wladimir Putin braucht für die kommende Woche und dem «Tag des Sieges» über Nazi-Deutschland einen Erfolg, den er präsentieren kann. Herhalten könnte die Eroberung Mariupols, die bald möglich scheint. Doch wie steht es sonst um die Ost-Offensive der Russen? Machen sie Fortschritte oder ist der Angriff ins Stocken geraten? Eine Übersicht in 4 Punkten.
Schauen wir uns zunächst die Region um Charkiw an. Die Stadt, welche vor Kriegsbeginn rund 1,4 Millionen Einwohner zählte, befindet sich ganz im Norden der Frontlinie. Die aktuellen Entwicklungen rund um die zweitgrösste Stadt der Ukraine dürften dem Kreml Kopfschmerzen bereiten. Den Verteidigern ist es mit Konter-Offensiven gelungen, die Angreifer bis 40 Kilometer vor die Stadtgrenzen zurückzudrängen. Dies schreibt das Institute for the Study of War (ISW), das sich auf ukrainische und russische Quellen beruft.
Charkiw und dessen Vororte werden zwar weiterhin von der russischen Artillerie und der Luftwaffe unter Beschuss genommen. Doch die Lage in der Millionenstadt hat sich deutlich beruhigt. In der vergangenen Woche habe es täglich nur noch zwei bis fünf Raketen-Angriffe der Russen gegeben, sagte Oleh Sinehubow, Leiter der militärisch-zivilen Verwaltung, gegenüber dem Wall Street Journal. Vorher seien es 50 bis 80 pro Tag gewesen.
Die Zeitung sprach mit einem jungen Gastronomen, der nach dem Zurückdrängen der Russen seine Pizzeria wieder eröffnen will. Er meinte: «Der Frühling ist da, das Wetter ist schön, die Sonne scheint und die Menschen wollen wieder auswärts essen, jetzt, da es in der Stadt ruhiger geworden ist.»
Südlich von Charkiw versuchen die Russen bei der Stadt Isjum Territorium zu gewinnen. Ihr Ziel dürfte es sein, die ukrainischen Kräfte, welche sich weiter östlich bei Swerodonetsk befinden, einzukesseln. Dafür müssten Putins Truppen die Kontrolle über die Strasse von Isjum nach Donetsk erlangen.
Russland hat seine Bemühungen in dieser Region unlängst verstärkt. Der britische Geheimdienst meldete am Mittwoch, dass 22 russische Bataillone rund um Isjum in Bereitschaft gesetzt wurden. Gemäss ukrainischen Angaben versuchten die Russen diese Woche vom Norden weiter in den Donbas vorzudringen, wobei sie diverse Dörfer angriffen.
Die Frontlinie um Isjum bleibt umkämpft. Kleinere Gebietsgewinne der Russen scheinen möglich. Allerdings gehen die meisten Experten nicht davon aus, dass eine Einkesselung der ukrainischen Kräfte in den nächsten Tagen passieren wird. Der russische Vormarsch südlich von Isjum sei «ungleichmässig» und «langsam», sagte ein hochrangiger US-Beamter beim täglichen Pentagon-Briefing am Mittwoch. Grundsätzlich stecke der Angriff fest.
Angehörige der russischen Armee äusserten in den vergangenen Wochen das Ziel, die Ukraine vom Schwarzen Meer abzuschneiden und einen Korridor bis nach Moldau und zur abtrünnigen Provinz Transnistrien zu erschaffen. Dafür müssten die Russen Gebiete im Südwesten gewinnen, wo sie während des Krieges bis zur Stadt Cherson vordringen konnten.
Allerdings sind die Angriffe der Russen auch hier ins Stocken geraten. Sie konnten weder Mykolajiw noch Odessa einnehmen. Nun hat Russland seine Kampfanstrengungen rund um Cherson nochmals erhöht. Die Bombardements hätten zugenommen, schreibt ISW.
Während die Russen versuchen, Fuss in Mykolajiw zu fassen, gibt es Konter-Offensiven. Die Ukrainer meldeten diese Woche die Rückeroberung von vier Dörfern in der Grenzregion zwischen den Oblasten Cherson und Saporischja. Bestätigt sind diese Gebietsgewinne jedoch nicht.
Östlich des Flusses Dnepr griffen die russischen Streitkräfte kleinere Ortschaften an, um die Strasse zwischen Donetsk und Saporischja zu kontrollieren. Die Versuche seien jedoch nicht erfolgreich gewesen, konstatiert ISW.
Derzeit scheint es so, als ob die Einnahme Mariupols und die Errichtung einer Landbrücke zur Krim Putins grösste Erfolge in seinem äusserst verlustreichen Krieg sind. Dabei ist noch nicht mal sicher, ob es den Russen auch gelingt, das letzte Widerstandsnest in Mariupol, das Asowstal-Stahlwerk, einzunehmen. Während die Ukrainer behaupten, Putins Streitkräfte hätten den Sturm auf das Stahlwerk begonnen, wird dies von Moskau verneint.
«Klar ist, dass die russische Armee in den letzten Tagen keine bedeutenden Gebietsgewinne verzeichnen konnte», sagt Tamara Cubito von der Militärakademie der ETH Zürich zu watson. Sowohl im Süden als auch im Osten des Landes würden die russischen Streitkräfte nicht richtig vorankommen.
«Weshalb die russische Armee, jetzt, da sie sich auf den Osten der Ukraine konzentriert und teils aus anfänglichen Fehlern gelernt hat, immer noch nicht so richtig vorwärtskommt, ist unklar», so Cubito. Taktisch stelle sie sich teils gar nicht so ungeschickt an. «Viele Kommentatoren weisen auf Details wie zum Beispiel qualitativ schlechte chinesische Reifen an den russischen Fahrzeugen hin, aufgrund deren sie im Schlamm bei schlechtem Wetter oft steckenbleiben. Solche Dinge sind natürlich hinderlich, aber wirklich erklären können sie die konkreten Schwierigkeiten vor Ort nicht.»
A day by day timelapse of the approximate situation of the war in Ukraine so far.
— Ukraine War Map (@War_Mapper) May 1, 2022
The situation at 00:00 UTC each day. pic.twitter.com/3t0EZ9KWOd
Könnte Putin die Gangart nochmals erhöhen und noch mehr Streitkräfte an die Front schicken? Zwar hätten die Russen theoretisch noch Reserven bei Material und Personal, erklärt Cubito. Zahlen alleine seien jedoch nicht entscheidend. Ob, wann und wo diese eingesetzt werden könnten und wie es um deren Moral und Ausbildung stehe, seien genauso wichtige Fragen.
Während die Russen mit ihrer Offensive feststecken, werden die Ukrainer laufend mit Waffen von den Nato-Ländern versorgt. Bedeutend einfacher dürfte die Aufgabe für die russischen Streitkräfte in den kommenden Wochen nicht werden. Zu feiern hätte Putin am 9. Mai also eigentlich nichts, er wird die bescheidenen Gebietsgewinne aber dennoch als Erfolg verbuchen. Womöglich muss er in Mariupol sogar eine «Siegesparade» veranstalten, obschon er die Stadt noch nicht einmal komplett erobert hat.
Ich werde diese Menschen nie verstehen, die lieber alles kaputthauen als zu arbeiten.
Da werden die Ukrainer wohl noch ein Wörtchen mitzureden haben ob es in Mariupol eine „Siegesparade“ geben wird solange die Stadt noch in ihren Händen ist……….