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Ukrainer bauen ihre Waffen selbst: etwas Wichtiges fehlt aber

Langstrecken-Drohnen made in Ukraine: Besonders bei unbemannten Systemen zeigen die Ukrainer grosse Innovationsfähigkeit.
Bild: Presidential Press Service Hando / EPA PRESIDENTIAL PRESS SERVICE

Ukrainer können ihre Waffen selbst bauen – nur etwas Entscheidendes fehlt ihnen noch

In Rekordzeit ist die ukrainische Waffenindustrie zu einer der stärksten in Europa geworden. 40 Prozent der auf dem Schlachtfeld eingesetzten Waffen werden selbst gebaut. Es könnten aber noch viel mehr sein.
10.07.2025, 10:17
Remo Hess / ch media
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Nach dem Stopp die Kehrtwende: Die USA liefern wieder Waffen an die Ukraine – das hat US-Präsident Donald Trump am Montag bestätigt. Doch wie lange noch? Die Antwort kennt wohl nur Trump selbst.

In der Ukraine jedenfalls will man sich nicht mehr von den Launen amerikanischer Politik abhängig machen. Präsident Wolodimir Selenski arbeitet unentwegt daran, das Land rüstungstechnisch eigenständiger zu machen.

Auf dem Weg dahin wurden schon grosse Fortschritte erzielt. Laut eigenen Angaben stammen mittlerweile bis zu 40 Prozent der von den Ukrainern eingesetzten Waffen aus heimischer Produktion – eine massive Steigerung gegenüber den weniger als 10 Prozent zu Kriegsbeginn.

Tatsächlich ist die Ukraine heute eine der leistungsfähigsten Waffenschmieden in Europa. Unter dem Druck des Ernstfalls haben sich Kiews Ingenieure nicht nur als effizient, sondern auch hochinnovativ erwiesen. Eine Auswahl zeigt die Bandbreite ukrainischer Eigenproduktionen:

Drohnen auf und unter Wasser

Selbst entwickelte Seedrohnen haben der russischen Schwarzmeerflotte schwere Verluste zugefügt und unter anderem die Kertsch-Brücke beschädigt.

Drohne «Sea Baby» im März 2024
Können als Kamikaze-Drohne mit mehreren hundert Kilo Sprengstoff verwendet werden. Im Mai dieses Jahres gelang es aber auch erstmals, von einer ukrainischen Seedrohne aus ein russisches Kampfflugzeug abzuschiessen. (Bild: Drohne «Sea Baby» im März 2024)Bild: keystone

Neptun-Marschflugkörper und Langstreckendrohnen

Die ukrainische Anti-Schiff-Rakete «Neptun» wurde zu einer landzielfähigen Version weiterentwickelt. Seit Ende 2024 soll die Serienproduktion einer modernisierten Version laufen. Im letzten Jahr wurden zudem Langstrecken-Raketendrohnen wie «Bars» und die mit einem Jet-Triebwerk ausgerüstete «Peklo» entwickelt, die laut ukrainischen Angaben bis zu 800 Kilometer weit fliegen können.

Die Ukraine hat ihre «Neptun»-Anti-Schiffs-Rakete mehrfach weiterentwickelt. Neu kann sie auch gegen Landziele eingesetzt werden. Hier die ursprüngliche bei einer Ausstellung im Jahr 2021.
Die Ukraine hat ihre «Neptun»-Anti-Schiffs-Rakete mehrfach weiterentwickelt. Neu kann sie auch gegen Landziele eingesetzt werden. Hier die ursprüngliche bei einer Ausstellung im Jahr 2021.Bild: Wikimedia

Eigene Artillerie in Massenproduktion

Die 2S22 Bohdana, eine mobile Haubitze mit Nato-kompatiblem 155-mm-Geschütz, ist eine ukrainische Entwicklung und wird seit Anfang 2023 in Serie produziert. Die Produktion wuchs auf bis zu 36 Stück pro Monat im Laufe von zwei Jahren. Zum Vergleich: Frankreich fertigte 2024 pro Monat rund acht der vergleichbaren Caesar-Radhaubitze mit dem Ziel, die Produktion auf monatlich 12 zu steigern.

Im Jahr 2024 baute die Ukraine über 150 der Selbstfahrhaubitzen «Bohdana». Zuletzt stieg die Produktion nach ukrainischen Angaben auf 36 Stück pro Monat. Bild: 17. Oktober 2023, Oblast Donezk.
Im Jahr 2024 baute die Ukraine über 150 der Selbstfahrhaubitzen «Bohdana». Zuletzt stieg die Produktion nach ukrainischen Angaben auf 36 Stück pro Monat. Bild: 17. Oktober 2023, Oblast Donezk.Bild: Global Images Ukraine / Getty Images Europe

Besonders weit ist die Ukraine jedoch bei Kleindrohnen, oft als «Kamikaze»-Drohnen bezeichnet. Diese tragen Sprengladungen und werden an der Front in grosser Zahl eingesetzt. In Nato-Kreisen wird geschätzt, dass bis zu 80 Prozent der Verluste russischer Soldaten durch ukrainische Drohnen verursacht werden. Bei der Entwicklung dieser oft KI-gesteuerten Systeme gehört die Ukraine heute weltweit zur Spitzengruppe.

Selenski an Westen: Gebt uns Geld und wir bauen unsere Waffen selbst

Doch es würde noch viel mehr drinliegen: Laut Selenski könnte die Ukraine bis zu acht Millionen Drohnen aller Art pro Jahr bauen. Laut Schätzungen gut doppelt so viele wie heute. Insgesamt habe die ukrainische Industrie Kapazitäten, um Rüstungsgüter von 35 Milliarden US-Dollar herzustellen, so Selenski. Doch mehr als 40 Prozent der Kapazität bleibe ungenutzt, weil schlicht das Geld fehle. Im Gegensatz zu früher bittet Selenski heute also weniger um Munition und Panzer als immer um Direktinvestitionen.

Einige Länder gehen diesen Weg bereits – allen voran Dänemark. Die Dänen kündigten im letzten Jahr nicht nur an, ihre gesamten Artillerie-Munitionsvorräte an die Ukraine zu spenden. Sondern entwickelten auch das sogenannte «Dänische Modell»: Statt aufwendig über europäische Beschaffungsketten zu liefern, wird Geld direkt in ukrainische Rüstungsfirmen investiert. Das ist schneller, günstiger – und die gelieferten Systeme sind dem ukrainischen Militär bestens vertraut.

Halb Rakete, halb Drohne: Präsident Wolodimir Selenski begutachtet die ersten der selbst entwickelten Raketen-Drohnen «Peklo» (ukr. «Hölle»).
Halb Rakete, halb Drohne: Präsident Wolodimir Selenski begutachtet die ersten der selbst entwickelten Raketen-Drohnen «Peklo» (ukr. «Hölle»).Bild: Keystone

Mit zusätzlichen Mitteln aus Schweden, Island, Norwegen, Kanada sowie den EU-Zinserträgen eingefrorener russischer Zentralbankgelder konnten so im ersten Jahr bereits Waffen im Wert von über 500 Millionen Euro beschafft werden. 2025 dürfte diese Summe auf über 1,3 Milliarden steigen.

Warum aber sind nicht längst mehr europäische Länder diesem Beispiel gefolgt? Ein Nato-naher Gesprächspartner in Brüssel sagt, viele hätten Bedenken gehabt, dass im Falle eines russischen Durchmarschs die neuen ukrainischen Produktionskapazitäten in Putins Hände fallen könnten. Ein mindestens so wichtiger Grund dürfte aber sein, dass dem ukrainischen Rüstungssektor hartnäckig der Ruf als korruptionsanfällig anhaftet –  obwohl die Ukrainer alles Mögliche unternehmen, um Transparenz herzustellen.

Jetzt, wo mit dem Nato-Aufrüstungsbeschluss die Kapazitäten in Westeuropa selbst gebraucht werden, wächst aber trotzdem die Bereitschaft, mehr Geld direkt in der Ukraine einzusetzen.

Hilfe statt Lieferung

So will der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz zwar weiterhin keine Taurus-Marschflugkörper liefern. Er kündigte aber an, der Ukraine vor Ort bei der Produktion einer eigenen Langstreckenwaffe mit vergleichbaren Eigenschaften zu helfen.

Etliche europäische Firmen wie Rheinmetall, der Panzerhersteller KNDS oder der französische Rüstungskonzern Thales haben Gemeinschaftsunternehmen mit den Ukrainern zur lokalen Produktion gegründet. Und auch Grossbritannien investiert direkt in die ukrainische Drohnenproduktion.

Der Schlüssel zum Erfolg beim dänischen Modell ist: Es läuft so, dass die ukrainische Regierung eine Liste an militärischen Projekten übermittelt, die sie gerne finanziert haben möchte. Dänischen Experten sind dann zuständig, die Machbarkeit zu analysieren und die Umsetzung durch ukrainische Rüstungsfirmen zu prüfen.

Man schickt also nicht einfach Geld und die Ukrainer machen damit, was sie wollen. Sowohl Kiew wie Kopenhagen betonen, dass die Kooperation funktioniert. «Ich bin erstaunt über die Geschwindigkeit, mit der die ukrainische Verteidigungsindustrie arbeiten kann», sagt dazu der dänische Verteidigungsminister Troels Lund Jensen. (aargauerzeitung.ch)

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79 Kommentare
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Sälüzäme
10.07.2025 10:50registriert März 2020
Und wir sitzen da und wollen den bösen Geist Putin mit Treicheln vertreiben. Moderner Exorzismus halt.
Es ist eine Schande welche Rolle die Schweiz spielt.
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stronghelga
10.07.2025 10:39registriert März 2021
Faszinierend! Am 4. Juli 2025 wurde ein Abkommen unterzeichnet, wonach ukrainische Verteidigungsunternehmen - in - Dänemark Waffen, Munition und Drohnen herstellen dürfen – ein Novum in der europäischen Sicherheitsarchitektur. Dänemark investiert zudem 67 Mio € in die Errichtung entsprechender Produktionsstätten. Damit werden skalierbare Fertigungskapazitäten außerhalb der unmittelbaren Kriegszone geschaffen
– verkürzte Lieferketten, Nutzung europäischer Expertise und Schutz ukrainische Produktionsstätten vor russischen Angriffen.
Zudem wird die europäische Sicherheitsarchitektur gestärkt.
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Fairness
10.07.2025 10:52registriert Dezember 2018
Bewundernswert! Es ist immer am besten sich selber zu helfen. Gegen die Russen braucht es dazu aber sicher auch die notwendigen finanziellen Mittel. Danke an die Länder, die da unterstützen. Selensky macht unermüdlich einen sehr guten Job.
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