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Ukraine

Die humanitäre Katastrophe in Mariupol

A fire is seen in a settlement area after shelling in Mariupol, Ukraine, Friday, March 4, 2022. (AP Photo/Evgeniy Maloletka)
Kein Strom, kein Wasser, nur Feuer: Mariupol wird seit Ende Februar belagert.Bild: keystone

Die humanitäre Katastrophe in Mariupol

09.03.2022, 17:2910.03.2022, 13:19
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Vor drei Tagen versuchte das Rote Kreuz, Hilfsgüter durch einen Fluchtkorridor nach Mariupol zu bringen. Doch an einem ersten Kontrollposten wird klar: Ein Durchkommen ist unmöglich. Der für Zivilisten gedachte Durchgang, eine Schutzzone für Mütter, Kinder, Alte und Kranke, war vermint.

Als zwei Tage später erneut ein Fluchtkorridor eingerichtet wird, wird er trotz beschlossener Waffenruhe beschossen. Die Zivilbevölkerung muss weiter in der Stadt ausharren. Ohne funktionierende Kanalisation, ohne Wasser, Strom, Lebensmittel – ohne Heizung.

Ukrainian servicemen, center, distributes water to people in Mariupol, Ukraine, Sunday, March 6, 2022. (AP Photo/Evgeniy Maloletka)
Ein ukrainischer Soldat gibt am 6. März Wasser an die Bevölkerung aus. Die Vorräte sind mittlerweile aufgebraucht.Bild: keystone

Seit Ende Februar, je nach Definition seit dem 25. oder dem 28., ist die Stadt umzingelt. Strom, Wasser und Telefonleitungen stellten die russischen Belagerer am 2. März ab – vor einer Woche. Seither schöpfen die Einwohner Wasser aus den Bächen oder schmelzen Schnee, um zu überleben.

Vor zwei Tagen meldete das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), dass sämtliche Hilfsgüter und Versorgungsmittel in der Stadt verteilt worden seien. «Die Situation ist apokalyptisch», sagte Sprecher Ewan Watson am Dienstag in Genf. Russland wie auch die Ukraine hätten die Bedingungen für eine sichere Evakuation der Zivilbevölkerung nicht geschaffen.

People settle in a bomb shelter in Mariupol, Ukraine, Sunday, March 6, 2022. (AP Photo/Evgeniy Maloletka)
Zivilbevölkerung in einem Bunker in Mariupol. Ein Verlassen der Stadt ist derzeit unmöglich.Bild: keystone

430'000 Einwohner hat die Hafenmetropole am Asowschen Meer in Friedenszeiten – so viele wie Zürich. Doch Friedenszeiten kennen die Einheimischen schon länger nicht mehr. Bewaffnete Konflikte schwelen seit Jahren.

Children play in the bomb shelter in Mariupol, Ukraine, Monday, March 7, 2022. (AP Photo/Evgeniy Maloletka)
Ukrainische Kinder spielen unter Tage. Nur im Bombenbunker sind sie derzeit sicher.Bild: keystone

2014 begann nach der Besetzung der Stadtverwaltung und dem Angriff eines Militärpostens durch prorussische Separatisten der Kampf um Mariupol. Die ukrainischen Sicherheitskräfte, unterstützt vom rechtsextremen Regiment Asow, blieben militärisch siegreich. Wirtschaftlich ging der Abstieg für die einst blühende Hafenmetropole aber weiter – auch aufgrund russischer Schikanen. Zum Beispiel nach der Fertigstellung der Krim-Brücke 2018, als russische Behörden begannen, passierende ukrainische Schiffe genauer unter die Lupe zu nehmen. Laut Berichten sollen sich solche Kontrollprozesse bis zu einer Woche hinausgezögert haben.

People charge their phones in a yard in Mariupol, Ukraine, Sunday, March 6, 2022. (AP Photo/Evgeniy Maloletka)
Ein Generator liefert Strom für Mobiltelefone.Bild: keystone

Die wirtschaftliche Lage schlug sich auch auf die Bevölkerung nieder. Seit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 verliessen über 10 Prozent der Bewohner Mariupol. Die Gräben in der Gesellschaft blieben bestehen. 2002 waren 49 Prozent der Einwohner UkrainerInnen. 44 Prozent Russinnen und Russen.

Die Zugehörigkeit der Zivilbevölkerung spielt aktuell keine Rolle. Jetzt wollen alle nur noch in Sicherheit. Das ist auch heute Mittwoch nicht möglich. Der erneute Versuch, einen humanitären Korridor zu installieren, scheiterte: «Russland hält weiterhin mehr als 400'000 Menschen in Mariupol als Geiseln, blockiert humanitäre Hilfe und Evakuierung», schrieb der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba auf Twitter. Der Sprecher der prorussischen Kräfte, Eduard Bassurin, versicherte hingegen, die Menschen würden Mariupol so schnell wie möglich aus eigener Kraft verlassen. Er wiederholte damit indirekt den Vorwurf, die Ukraine würde die Bevölkerung an der Flucht hindern.

Für die sechsjährige Tanja kommt jede Hilfe zu spät. Das Mädchen konnte vor wenigen Tagen nur noch tot unter den Trümmern eines Wohnhauses geborgen worden. Nicht die Wucht einer Detonation oder ein Projektil hatte es getötet. Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Selenskyj war die kleine Tanja verdurstet.

Hier werden 140 ukrainische Geflüchtete in die Schweiz evakuiert

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40 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Salvatore_M
09.03.2022 18:03registriert Januar 2022
Die Russen wollen die Ukrainer in die Knie zwingen, indem sie die Zivilbevölkerung für ihren ‚Ungehorsam‘ abstrafen. Was haben die Einwohner von Mariupol verbrochen? Sie leben in einem souveränen Staat, und dies seit 31 (!) Jahren. Jedoch seit längerem Schikanen durch die Russen. Trotzdem: Viele Menschen in Mariupol kennen nichts anderes, als den Staat Ukraine. Dieses Aushungern ist unmenschlich und widerlich. Und dies in Europa des Jahres 2022. Genau solche Kriegsverbrechen schüren den Hass auf die Russen.
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Gulli
09.03.2022 18:01registriert September 2015
Der einsame Irre und seine Entourage mögen sich physisch der Verantwortung für ihre fürchterlichen Taten entziehen können .
Die Geschichte aber wird sie richten und ächten.
Und das Land, das der Irre zu einem Grossreich erheben wollte, wird in der Bedeutungslosigkeit verschwinden.
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Ula
09.03.2022 18:13registriert Juni 2020
Die humanitäre Katastrophe in der Ukraine unter der auch besonders viele Kinder leiden oder gar sterben müssen während , nach neuesten Berichten, Putins Freundin mit den Kindern mit Schweizer Pässen versehen in der CH leben sollen! Wie kommt diese Frau mit den Kindern an einen CH Pass? Wieviel Geld war hier im Spiel oder wie sonst kann das sein? Sowas kann man angesichts der aktuellen Situation kaum ertragen!
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