International
Ungarn

Ilaria Salis: Eine Gefesselte strapaziert die Beziehung Ungarn-Italien

Eine «Italienerin in Ketten» strapaziert die guten Beziehungen zwischen Orbán und Meloni

Italien hat den ungarischen Botschafter einbestellt und Giorgia Meloni telefonierte mit Viktor Orbán. Dies, nachdem Bilder einer gefesselten Italienerin vor einem Budapester Gericht für öffentliche – aber auch politische – Empörung gesorgt hatten. Der Frau wird vorgeworfen, Neonazis verletzt zu haben.
31.01.2024, 05:1331.01.2024, 16:59
Lara Knuchel
Folge mir
Mehr «International»

Ilaria Salis erscheint am Montag vor einem Budapester Gericht. Die 39-Jährige trägt Fuss- und Handfesseln und wird von zwei maskierten Männern einer Spezialeinheit zu ihrem Platz begleitet. Salis wird zusätzlich an einer Art Leine geführt, die an einer Manschette, die sie um den Bauch trägt, festgemacht ist. Auch ihre Hände sind dort festgebunden. Die Fesseln werden ihr während des Prozesses nie abgezogen. Der Eindruck, der entsteht: Hier handelt es sich um eine gemeingefährliche Frau.

Ilaria Salis
Ilaria Salis am Montag vor Gericht. bild: screenshot tg3

In Italien sind die Bilder derzeit omnipräsent. Mehrere Schlagzeilen auf den italienischen Titelseiten verkündeten am Dienstag, Salis sei «wie ein Tier» behandelt worden. Mittlerweile berichten auch andere Medien europaweit über den Fall. Und das, obwohl Salis bereits seit fast einem Jahr in Untersuchungshaft sitzt. Erstmals bekannt wurde ihr Fall, als ihr Vater im Oktober den italienischen Medien berichtete, seine Tochter werde unter unmenschlichen Bedingungen in einem ungarischen Gefängnis in einer Einzelzelle festgehalten. Ein Mitgefangener der Mailänderin berichtete gegenüber einer Zeitung von «Ratten und Insekten». Die Vorwürfe wurden später vom zuständigen Gefängnis in Ungarn umgehend zurückgewiesen.

11 Jahre Haft wegen Verletzung von Neonazis

Ilaria Salis drohen insgesamt 11 Jahre Haft. Ihr wird zur Last gelegt, im vergangenen Februar im Rahmen eines Gedenktages an eine Aktion der Waffen-SS und ungarischer Soldaten zwei Neonazis verletzt zu haben. In Budapest versammeln sich jedes Jahr am 11. Februar Neonazis aus ganz Europa, um den sogenannten «Tag der Ehre» zu feiern. Er erinnert an die erfolglosen Versuche deutscher und ungarischer Truppen, am 11. Februar 1945 den sowjetischen Belagerungsring um Budapest zu durchbrechen.

Die angeklagte Lehrerin aus Mailand bezeichnet sich selbst als Antifaschistin. Ihr wird zur Last gelegt, mit anderen Beteiligten aus der linken Szene am 11. Februar 2023 eine Gruppe von Rechtsextremen angegriffen zu haben. Dabei wurden nach Angaben der Behörden neun Menschen verletzt, sechs davon schwer.

Ilaria Salis
Salis wird zusätzlich an einer Art Leine geführt, die an einer Manschette, die sie um den Bauch trägt, festgemacht ist. Bild: screenshot tg3

Die Polizei veröffentlichte in diesem Zusammenhang im vergangenen Jahr ein Video, das zeigt, wie acht Angreifer in der Nähe einer Budapester Wohnsiedlung mit Metallstangen, Hämmern und Pfefferspray auf einen Mann einschlugen und ihn traten. Die Angreifer stürmten von hinten auf ihn zu und griffen ihn an, bevor sie sich schnell wieder entfernten. Innerhalb von 48 Stunden kam es in der Stadt zu fünf ähnlichen Angriffen.

Die Lehrerin und eine mitangeklagte Deutsche bestreiten die ihnen zur Last gelegten Taten. Dass sie an diesem Tag in Budapest anwesend war, bestreitet Salis aber nicht. Ein ebenfalls mitangeklagter Deutscher wurde am Montag bereits zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Der 29-Jährige hatte sich schuldig bekannt.

Laut italienischen Medien sollen die Verletzungen, welche die zwei Männer erlitten hätten, innert Tagen verheilt sein. Ausserdem haben beide darauf verzichtet, Anklage zu erheben. Die Staatsanwaltschaft behauptet allerdings, Salis und die anderen Angeklagten seien ausdrücklich nach Ungarn gekommen, um schnelle Anschläge zu verüben, bei denen Menschen, die als rechtsextremistisch gelten, schwer verletzt werden könnten. Zudem werfen sie der Italienerin vor, Mitglied der sogenannten «Hammerbande», einer gewalttätigen linksextremistischen Gruppierung aus Deutschland, zu sein. Salis verneint das.

Meloni telefoniert mit Orbán

Während der Fall bisher kaum Aufsehen erregt hatte, änderten die Bilder der gefesselten Salis vom Montag einiges: Italienische Medien berichten zuhauf über den Fall, vor der ungarischen Botschaft in Rom wurde demonstriert. Eine Online-Petition, in der die Rückführung von Salis nach Italien gefordert wird, hat bisher mehr als 90'000 Unterschriften gesammelt. Am Dienstag erklärte der italienische Aussenminister Antonio Tajani schliesslich, er habe den ungarischen Botschafter in Rom einbestellt, «um zu fragen, warum einige der grundlegendsten Normen für die Bedingungen der Inhaftierten nicht eingehalten wurden». Und: «Ich glaube, dass die getroffenen Sicherheitsmassnahmen dieses Mal übertrieben waren», sagte Tajani gegenüber italienischen Medien. Bereits vor einer Woche hat sich Italiens Aussenminister bei seinem Amtskollegen in Ungarn gemeldet und ihn auf den Fall Salis aufmerksam gemacht; Ungarn möge sich bitte an die in der EU geltenden Regeln halten.

Italy: Protest to demand the release of Ilaria Salis Sit-in in front of the Hungarian Embassy in Rome to protest against the detention of Ilaria Salis Rome Italy Copyright: MatteoxNardone
Proteste vor der ungarischen Botschaft in Rom. Bild: www.imago-images.de

Das alles hat nun den Druck auf Italiens Premierministerin Georgia Meloni erhöht. Für diese wiederum dürfte der Fall zu «politischen Kopfschmerzen» führen, wie es die «Financial Times» schreibt. Denn: Meloni steht Ungarns Autokraten Orbán nicht nur politisch nahe, die beiden gelten auch persönlich als gut befreundet.

«Eine Italienerin in Ketten – an Händen und Füssen gefesselt in Ungarn», schrieb Giuseppe Conte, Vorsitzender der oppositionellen Fünf-Sterne-Bewegung Italiens, am Dienstag in einem Social-Media-Post. «Giorgia Meloni, es ist uns egal, dass Orbán ein guter Freund von Ihnen ist. Wir müssen mit äusserster Entschlossenheit handeln und unsere Stimmen erheben.»

Am späten Dienstagabend wurde der Druck für Meloni wohl zu hoch. Wie mehrere italienische Medien berichten, soll sie mit ihrem Amtskollegen Orbán ein Telefonat zur «Causa Salis» geführt haben. Was genau dort besprochen wurde, ist noch unklar. Unter der Prämisse, dass Italien die Unabhängigkeit und Autonomie der ungarischen Justiz respektiert, soll Meloni Orbán auf den Fall Salis aufmerksam gemacht und den «Druck unseres Landes zur Klärung und Lösung der Situation fortgesetzt haben», schreibt «Il Giornale».

Der Prozess wurde inzwischen auf Mai vertagt.

Mit Material der Nachrichtenagentur SDA.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
96 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Roelli
31.01.2024 06:19registriert November 2014
Ein Autokrat verhält sich in einer Autokratie wie ein Autokrat und schützt seinesgleichen mit übertriebener Verfolgung und Strafen gegen „Feinde“. Wer hätte das ahnen können?!!
16921
Melden
Zum Kommentar
avatar
Walter-Brock Miami-FM
31.01.2024 07:46registriert August 2023
Einige machen das richtige, andere schauen nur zu. War 1932 auch schon der Fall. Wenn Ungarn diese Person wegen zwei verletzten Neonazis für 11 Jahre ins Gefängnis steckt, ziehe ich die längst nötigen Konsequenzen und werde nie Ungarn besuchen gehen oder irgendwelche Produkte von denen konsumieren. Orban hat aus diesem schönen Land eine Diktatur der Blödheit gemacht. Wirtschaftlich würde ohne EU nichts gehen. Das kommt heraus, wenn die Landbevölkerung die städtische dominiert.
12428
Melden
Zum Kommentar
avatar
Berner in Zürich
31.01.2024 07:03registriert August 2016
Vielleicht hätte man der Visegrád-Gruppe erst die "Spielregeln" einer Rechtsstaatlichen Demokratie besser erklären sollen, bevor man den "EU Mitglieder Vertrag" unterschrieben lässt.

Andere Frage: "darf man Neonazis und Antifas wirklich nicht hauen, auch eine kleine wenig nicht ?" 🤭
7427
Melden
Zum Kommentar
96
11 Tote bei Bandenkämpfen im Süden von Mexiko
Im Süden Mexikos sind elf Menschen bei bewaffneten Kämpfen zwischen Verbrechergruppen ums Leben gekommen.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Bundesstaates Chiapas habe Ermittlungen zu dem Vorfall in der Gemeinde Chicomuselo aufgenommen, hiess es am Dienstag in einer offiziellen Mitteilung. Zu den Opfern zählen laut örtlichen Medienberichten zwei Bedienstete der katholischen Kirche und Dorfbewohner.

Zur Story