Ilaria Salis erscheint am Montag vor einem Budapester Gericht. Die 39-Jährige trägt Fuss- und Handfesseln und wird von zwei maskierten Männern einer Spezialeinheit zu ihrem Platz begleitet. Salis wird zusätzlich an einer Art Leine geführt, die an einer Manschette, die sie um den Bauch trägt, festgemacht ist. Auch ihre Hände sind dort festgebunden. Die Fesseln werden ihr während des Prozesses nie abgezogen. Der Eindruck, der entsteht: Hier handelt es sich um eine gemeingefährliche Frau.
In Italien sind die Bilder derzeit omnipräsent. Mehrere Schlagzeilen auf den italienischen Titelseiten verkündeten am Dienstag, Salis sei «wie ein Tier» behandelt worden. Mittlerweile berichten auch andere Medien europaweit über den Fall. Und das, obwohl Salis bereits seit fast einem Jahr in Untersuchungshaft sitzt. Erstmals bekannt wurde ihr Fall, als ihr Vater im Oktober den italienischen Medien berichtete, seine Tochter werde unter unmenschlichen Bedingungen in einem ungarischen Gefängnis in einer Einzelzelle festgehalten. Ein Mitgefangener der Mailänderin berichtete gegenüber einer Zeitung von «Ratten und Insekten». Die Vorwürfe wurden später vom zuständigen Gefängnis in Ungarn umgehend zurückgewiesen.
A Budapest il processo a Ilaria Salis, accusata di aver aggredito due estremisti di destra. Nelle immagini del Tg3 la 39enne italiana è arrivata in aula con mani e piedi legati dalle catene. Il padre: "Chiediamo intervento del Governo" pic.twitter.com/19wC0JKjc2
— Tg3 (@Tg3web) January 29, 2024
Ilaria Salis drohen insgesamt 11 Jahre Haft. Ihr wird zur Last gelegt, im vergangenen Februar im Rahmen eines Gedenktages an eine Aktion der Waffen-SS und ungarischer Soldaten zwei Neonazis verletzt zu haben. In Budapest versammeln sich jedes Jahr am 11. Februar Neonazis aus ganz Europa, um den sogenannten «Tag der Ehre» zu feiern. Er erinnert an die erfolglosen Versuche deutscher und ungarischer Truppen, am 11. Februar 1945 den sowjetischen Belagerungsring um Budapest zu durchbrechen.
Die angeklagte Lehrerin aus Mailand bezeichnet sich selbst als Antifaschistin. Ihr wird zur Last gelegt, mit anderen Beteiligten aus der linken Szene am 11. Februar 2023 eine Gruppe von Rechtsextremen angegriffen zu haben. Dabei wurden nach Angaben der Behörden neun Menschen verletzt, sechs davon schwer.
Die Polizei veröffentlichte in diesem Zusammenhang im vergangenen Jahr ein Video, das zeigt, wie acht Angreifer in der Nähe einer Budapester Wohnsiedlung mit Metallstangen, Hämmern und Pfefferspray auf einen Mann einschlugen und ihn traten. Die Angreifer stürmten von hinten auf ihn zu und griffen ihn an, bevor sie sich schnell wieder entfernten. Innerhalb von 48 Stunden kam es in der Stadt zu fünf ähnlichen Angriffen.
Die Lehrerin und eine mitangeklagte Deutsche bestreiten die ihnen zur Last gelegten Taten. Dass sie an diesem Tag in Budapest anwesend war, bestreitet Salis aber nicht. Ein ebenfalls mitangeklagter Deutscher wurde am Montag bereits zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Der 29-Jährige hatte sich schuldig bekannt.
Laut italienischen Medien sollen die Verletzungen, welche die zwei Männer erlitten hätten, innert Tagen verheilt sein. Ausserdem haben beide darauf verzichtet, Anklage zu erheben. Die Staatsanwaltschaft behauptet allerdings, Salis und die anderen Angeklagten seien ausdrücklich nach Ungarn gekommen, um schnelle Anschläge zu verüben, bei denen Menschen, die als rechtsextremistisch gelten, schwer verletzt werden könnten. Zudem werfen sie der Italienerin vor, Mitglied der sogenannten «Hammerbande», einer gewalttätigen linksextremistischen Gruppierung aus Deutschland, zu sein. Salis verneint das.
Während der Fall bisher kaum Aufsehen erregt hatte, änderten die Bilder der gefesselten Salis vom Montag einiges: Italienische Medien berichten zuhauf über den Fall, vor der ungarischen Botschaft in Rom wurde demonstriert. Eine Online-Petition, in der die Rückführung von Salis nach Italien gefordert wird, hat bisher mehr als 90'000 Unterschriften gesammelt. Am Dienstag erklärte der italienische Aussenminister Antonio Tajani schliesslich, er habe den ungarischen Botschafter in Rom einbestellt, «um zu fragen, warum einige der grundlegendsten Normen für die Bedingungen der Inhaftierten nicht eingehalten wurden». Und: «Ich glaube, dass die getroffenen Sicherheitsmassnahmen dieses Mal übertrieben waren», sagte Tajani gegenüber italienischen Medien. Bereits vor einer Woche hat sich Italiens Aussenminister bei seinem Amtskollegen in Ungarn gemeldet und ihn auf den Fall Salis aufmerksam gemacht; Ungarn möge sich bitte an die in der EU geltenden Regeln halten.
Das alles hat nun den Druck auf Italiens Premierministerin Georgia Meloni erhöht. Für diese wiederum dürfte der Fall zu «politischen Kopfschmerzen» führen, wie es die «Financial Times» schreibt. Denn: Meloni steht Ungarns Autokraten Orbán nicht nur politisch nahe, die beiden gelten auch persönlich als gut befreundet.
«Eine Italienerin in Ketten – an Händen und Füssen gefesselt in Ungarn», schrieb Giuseppe Conte, Vorsitzender der oppositionellen Fünf-Sterne-Bewegung Italiens, am Dienstag in einem Social-Media-Post. «Giorgia Meloni, es ist uns egal, dass Orbán ein guter Freund von Ihnen ist. Wir müssen mit äusserster Entschlossenheit handeln und unsere Stimmen erheben.»
Am späten Dienstagabend wurde der Druck für Meloni wohl zu hoch. Wie mehrere italienische Medien berichten, soll sie mit ihrem Amtskollegen Orbán ein Telefonat zur «Causa Salis» geführt haben. Was genau dort besprochen wurde, ist noch unklar. Unter der Prämisse, dass Italien die Unabhängigkeit und Autonomie der ungarischen Justiz respektiert, soll Meloni Orbán auf den Fall Salis aufmerksam gemacht und den «Druck unseres Landes zur Klärung und Lösung der Situation fortgesetzt haben», schreibt «Il Giornale».
Der Prozess wurde inzwischen auf Mai vertagt.
Mit Material der Nachrichtenagentur SDA.
Andere Frage: "darf man Neonazis und Antifas wirklich nicht hauen, auch eine kleine wenig nicht ?" 🤭