Die Rufe seiner Anhänger vor dem Londoner High Court haben nichts genützt: «Befreit Julian Assange! Journalismus ist kein Verbrechen», skandierten die Unterstützer des Wikileaks-Gründers vor dem Eingang des Berufungsgerichts, während ihr Idol per Videoschaltung dem Urteilsspruch der hohen Richter lauschte. Um 11:25 Uhr kam der Dämpfer: Das Londoner Berufungsgericht hat das Urteil eines niedereren Gerichts gekippt und das Auslieferungsverbot über Bord geworfen.
Im Klartext heisst das: Der 50-jährige Australier wird aller Wahrscheinlichkeit nach an die USA ausgeliefert und darf nicht wie zuletzt erwartet auf seine baldige Freilassung aus dem britischen Gefängnis Belmarsh im Osten Londons hoffen.
Ein britisches Gericht hatte Anfang des Jahres Assange's Auslieferung unter Berücksichtigung seines psychischen und gesundheitlichen Zustands und die zu erwartenden Haftbedingungen in den USA untersagt. Washington hatte diese Entscheidung jedoch angefochten.
Die US-Justiz will Assange wegen Spionagevorwürfen den Prozess machen. Dem gebürtigen Australier drohen dort bei einer Verurteilung bis zu 175 Jahre Haft. Vorgeworfen wird ihm, gemeinsam mit der Whistleblowerin Chelsea Manning geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen und veröffentlicht zu haben. Er habe damit das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht. Seine Unterstützer sehen in ihm hingegen einen investigativen Journalisten, der Kriegsverbrechen ans Licht brachte.
Bei Anhörungen im Oktober hatten beide Seiten erneut ihre Argumente vorgebracht. Die US-Anwälte warfen der britischen Justiz vor, sich bei ihrer Einschätzung auf fehlerhafte Gutachten verlassen zu haben. Ausserdem sicherten die USA zu, im Falle einer Inhaftierung nicht wie befürchtet «Spezialmethoden» anzuwenden sowie einer Verlegung von Assange in ein australisches Gefängnis zuzustimmen.
Assanges Verteidiger hingegen setzten auf neue Enthüllungen über angebliche Anschlagspläne, die vor einigen Monaten durch Medienberichte ans Licht gekommen waren. Investigative Journalisten hatten unter Berufung auf nicht näher präzisierte US-Quellen berichtet, der US-Auslandsgeheimdienst CIA habe Anschlagspläne auf Assange geschmiedet, während dieser sich in der ecuadorianischen Botschaft in London aufhielt. Seine Unterstützer hoffen, dass diese Enthüllungen eine Auslieferung in die USA unwahrscheinlicher machen.
Assanges Angehörige beschreiben seinen Gesundheitszustand seit Monaten als schlecht und besorgniserregend. Bei den letzten Anhörungen nahm der 50-Jährige teilweise per Videoschalte teil, fühlte sich zeitweise aber auch nicht in der Lage, das Geschehen zu verfolgen.
Trotz des Urteilsspruchs vom Freitagmorgen ist das letzte Kapitel in der Geschichte noch nicht geschrieben: Ob der Rechtsstreit am Berufungsgericht seinen Endpunkt findet oder letztlich beim höchsten britischen Gericht – dem Supreme Court – landet, bleibt unklar.
(aeg/sda/dpa)
Einer Demokratie unwürdig, Länder, die sich als solche bezeichnen und Journalisten, Aktivisten ins Gefängnis stecken, weil ihnen unliebsame Geschichten aufgedeckt werden.