Der Anführer des Terrornetzwerks Al-Kaida, Aiman al-Sawahiri, ist bei einem Anti-Terror-Einsatz der USA in Afghanistan getötet worden. US-Präsident Joe Biden verkündete am Montagabend (Ortszeit), Al-Sawahiri sei am Wochenende bei einem gezielten Angriff in der afghanischen Hauptstadt Kabul ums Leben gekommen. Nach Angaben der US-Regierung handelte es sich um eine Drohnen-Attacke, bei der nur der Al-Kaida-Chef starb. Zivile Opfer habe es nicht gegeben.
Eine ranghohe Vertreterin der US-Regierung sagte, die Attacke auf Al-Sawahiri sei über Monate vorbereitet worden. Er sei schliesslich getötet worden, als er auf den Balkon seines Unterschlupfes in Kabul getreten sei. Keiner von Al-Sawahiris Familienangehörigen, die sich mit ihm in dem Haus aufgehalten hätten, sei verletzt worden. Sie betonte, bei dem Einsatz seien keine US-Kräfte in Kabul gewesen.
US-Erkenntnissen zufolge hätten Mitglieder der Taliban-Führung gewusst, dass sich der Al-Kaida-Chef in der afghanischen Hauptstadt aufhielt, sagte die Regierungsmitarbeiterin weiter. Sie hätten damit klar gegen Vereinbarungen mit den USA verstossen.
Der Ägypter al-Sawahiri war Nachfolger von Osama bin Laden, der als Kopf der Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA galt. Bin Laden war 2011 in Pakistan von einer US-Spezialeinheit getötet worden. Nun schalteten die Amerikaner auch dessen Nachfolger aus – in Afghanistan, ein Jahr nach dem chaotischen Truppenabzug aus dem Land.
Als langjährige Nummer zwei von Al-Kaida war der Ägypter 2011 nach dem Tod Bin Ladens an die Spitze des Terrornetzwerks aufgerückt. Schon vorher hatte sich der gelernte Arzt aus Kairo den Spitznamen «Terror-Doktor» erworben. Allerdings gelang es ihm nie, unter den Dschihadisten das ikonenhafte Ansehen seines Vorgängers zu erreichen.
Seinen letzten öffentlichen Auftritt hatte Al-Sawahiri im vergangenen September – genau 20 Jahre nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. In einer Videobotschaft rief er seine Anhänger damals auf, die Staaten im Westen und ihre Verbündeten im Nahen Osten zu bekämpfen. In den Jahren davor hatte es unbestätigte Gerüchte über seinen Tod gegeben. Sein genauer Aufenthaltsort war unbekannt.
Zuletzt war öfters über seinen Gesundheitszustand gerätselt worden. Medien berichteten 2019 unter Berufung auf Geheimdienstinformationen, Sawahiri leide unter Herzproblemen. Seine Tötung kam nun überraschend. Die USA hatten ein Kopfgeld von 25 Millionen Dollar auf ihn ausgesetzt. Experten hatten zuletzt vermutet, dass sich Al-Sawahiri im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan versteckt.
Der US-Präsident äusserte sich bei einem kurzfristig anberaumten Auftritt auf einem Balkon des Weissen Hauses persönlich zu dem Schlag gegen die Terrorgruppe – trotz Corona. Der Präsident befindet sich derzeit wegen einer Infektion mit dem Virus in Isolation. Biden sagte, der Schlag gegen Al-Sawahiri sei ein Zeichen für die Entschlossenheit und die Fähigkeiten der Amerikaner im Kampf gegen den Terror. Jahrzehntelang sei Al-Sawahiri Drahtzieher von Anschlägen auf US-Amerikaner gewesen, er habe eine Schlüsselrolle bei diversen Terrorangriffen gespielt, sagte Biden. «Jetzt wurde der Gerechtigkeit Genüge getan. Und diesen Terroristenführer gibt es nicht mehr.»
Biden wertete Al-Sawahiris Tod nun als Beleg dafür, dass es auch ohne Tausende Soldaten auf afghanischem Boden möglich sei, Amerika vor Terroristen zu schützen. Der Schlag gegen Al-Sawahiri sei ausserdem eine Botschaft an andere: «Egal, wie lange es dauert, egal, wo ihr euch versteckt: Wenn ihr eine Bedrohung für unser Volk seid, werden die Vereinigten Staaten euch finden und euch ausschalten.»
Die USA hatten vor knapp einem Jahr, Ende August 2021, alle Truppen aus Afghanistan abgezogen und damit den internationalen Militäreinsatz in dem Land nach fast 20 Jahren beendet. Die Taliban hatten kurz zuvor die Macht in Kabul übernommen. Der internationale Abzug wurde durch ihren rasanten Eroberungsfeldzug erschwert und gestaltete sich chaotisch. Insgesamt stiess der Afghanistan-Abzug der Amerikaner international auf viel Kritik und Unverständnis. Biden, der wegen des Debakels unter Druck geriet, hatte damals versprochen, den Kampf gegen den Terrorismus in der Region nicht aufzugeben.
Die Tatsache, dass sich Al-Sawahiri in Afghanistan versteckte, wirft zugleich unangenehme Fragen dazu auf, was der dortige Krieg gegen den Terror gebracht hat: Ein 20 Jahre langer Militäreinsatz, der Unsummen verschlang und Zehntausende das Leben kostete – und der begann, weil das Land Al-Kaida-Terroristen Unterschlupf gewährt hatte.
Der UN-Sicherheitsrat hat immer wieder über enge Beziehungen zwischen Al-Kaida und den Taliban berichtet. Al-Kaida musste in den vergangenen Jahren Rückschläge einstecken. Experten argumentierten jedoch, dass ihr Fokus auf globalen Terror weiter Gefahrenpotenzial habe. Und Beobachter sahen den Rückzug der westlichen Streitkräfte aus Afghanistan mit grosser Sorge und warnten davor, dass die Gruppe unter der Duldung der Taliban zu neuer Stärke kommen könnte. Wer nun die Führung Al-Kaidas übernehmen könnte, war zunächst unklar.
(dab/sda/dpa)