Am vergangenen Freitag verabschiedete sich Tucker Carlson von seinen Zuschauern auf Fox News mit den Worten «Wir sehen uns am Montag.» Er irrte. Ohne ihm die Chance auf eine spektakuläre Dernière zu gönnen, feuerte Amerikas wichtigster konservativer TV-Sender sein Aushängeschild. Statt Carlson begrüsste am Montag Brian Kilmeade die Zuschauer.
Die Abwesenheit vor den Kameras, da sind sich die Experten einig, wird nicht von langer Dauer sein. Weniger einig ist man sich, welche Richtung die Karriere des 53-Jährigen einschlagen wird. Heiss diskutiert werden drei Möglichkeiten: der Aufbau eigener Online-Shows, ein Wechsel zur (noch weiter rechts angesiedelten) Konkurrenz (NewsMax oder One America News Network) und gar die Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2024.
Schon länger kursieren in Washington Gerüchte über Carlsons politische Ambitionen. Wenige aber formulierten diese so dezidiert wie Cenk Uygur vom linksliberalen Mediennetzwerk «The Young Turks». Bereits im Oktober 2021 prognostizierte er die jüngsten Ereignisse. Carlson sei kein dummer Republikaner. Im Gegenteil. Er sei unglaublich clever und gehe äusserst berechnend vor. Carlson überspanne den Bogen bei Fox News bewusst.
Dazu muss man wissen: Der TV-Zampano war lange Zeit eine kleine Nummer. Seine Sendungen bei CNN und MSNBC sind laut Uygur Quotenflops gewesen. Erst als er sich bei Fox News beim rechten Rand anbiederte, ging sein Stern richtig auf. Ruhm, Macht und Geld seien aber nur ein Teil seiner Motivation. Sein eigentlicher Masterplan sei es, hochkant gefeuert zu werden. Als geschasster Moderator (trotz Top-Quoten) könne er sich endlich so darstellen, wie er es schon immer wollte: als ultimatives Opfer. Mit dieser Rolle wolle er dann auch als Präsident der Vereinigten Staaten kandidieren.
Auch wenn sich Uygurs Prognose bisher als korrekt herausstellte – so wirklich glauben laut «Politico» «die Wenigsten in Washington» an Carlsons Kandidatur. Trotzdem befragte das Politikportal republikanische Wahlkampfexperten dazu. Und die Antworten dürften erstaunen: «Er ist meiner Meinung nach der Einzige, der Donald Trump schlagen könnte», glaubt Mike Madrid. Der moderate Republikaner aus Kalifornien ist Mitbegründer der Anti-Trump-Kampagne «The Lincoln Project». «In vielerlei Hinsicht ist er [Carlson], wie Trump im Jahr 2015 war. Die Leute glaubten damals auch nicht wirklich an Trump – es war surreal. Wenn Trumps Erfolg aber eines aufzeigen konnte, dann dass die republikanische Basis anti-Establishment ist. Und genau dort hat sich Tucker nun positioniert.»
Überrascht von einer Carlson-Kandidatur wäre der republikanische Stratege Rob Stutzman. Der Idee kann er aber trotzdem etwas abgewinnen: «Stellen Sie sich ein episches, wrestling-mässiges Pay-per-View-Event zwischen Trump und Carlson vor! Das Internet würde wegschmelzen!» Show gehörte immer schon zum amerikanischen Wahlkampf. Die Idee einer verbalen Schlammschlacht zweier Politrüpel im Bezahlfernsehen wäre bis vor Kurzem trotzdem noch unvorstellbar gewesen – bis vor Kurzem. «Wir erleben gerade die dümmste aller Zeiten – deshalb ist alles möglich», analysiert der erfahrene republikanische Stratege Dave Kochel: «Eine Kandidatur von Carlson kann ich mir trotzdem beim besten Willen nicht vorstellen.»
Als grösste Hürde für eine Carlson-Kandidatur dürfte sich laut Marco-Rubio-Berater Alex Conant ausgerechnet der alte Arbeitgeber erweisen: «Ein grosser Teil der Vorwahlen findet auf Fox News statt … Wenn sich Fox News dazu entscheidet, Tucker Carlson keine Sendezeit mehr zu schenken, dann wäre das ein enormer Nachteil für ihn. Aktuell sieht es ja nicht danach aus, als hätte er sich selbst dazu entschieden, nicht mehr länger der News-Moderator mit den besten Einschaltquoten zu sein.»
Weniger abwegig findet die Idee die Strategin Beth Miller aus Kalifornien: «So verrückt es tönt – wir haben Verrückteres gesehen. Tucker Carlson hat ein scharfes Profil … und er hat eine Fox-News-Fangemeinde. Und wenn wir eines wissen, dann dass Fox-News-Zuschauer wählen gehen.» Dagegen spreche nur sein «Rucksack». Während der Jahre im Fernsehen habe er dermassen oft «interessante» Positionen bezogen, dass potenzielle gegnerische Wahlhelfer einen Heidenspass haben dürften. Diese Stellungnahmen, so Miller, dürften sich als Klotz am Bein herausstellen.
Die jüngere Politikgeschichte der USA widerspricht Miller allerdings. Mindestens die harte republikanische Basis ist längst geübt darin, auch noch so abwegige Aussagen unter das Sternenbanner zu kehren.