«America's Mayor» ist tief gefallen. Am Freitag verknurrte ein Bundesgericht in Washington den ehemaligen New Yorker Stadtpräsidenten zu einer Schadenersatzzahlung von mehr als 148 Millionen Dollar. Mit dieser stolzen Summe muss der 79 Jahre alte Rudy Giuliani zwei Wahlhelferinnen entschädigen, die er 2020 öffentlich des Betrugs beschuldigt hatte.
Ruby Freeman und Shaye Moss heissen die beiden Frauen, sie sind Mutter und Tochter. Während der Präsidentenwahl vor etwas mehr als drei Jahren halfen die beiden Afroamerikanerinnen im Grossraum Atlanta (Georgia) bei der Zählung der Stimmen mit. Nachdem der Republikaner Donald Trump den politisch umkämpften Staat knapp gegen den Demokraten Joe Biden verloren hatte, gerieten sie ins Visier aufgebrachter Fans des abgewählten Präsidenten.
Giuliani behauptete, zuerst während einer parlamentarischen Anhörung in Georgia, dass die beiden Frauen eine Rolle beim angeblichen Wahlbetrug gespielt hätten. Er verglich sie mit Drogenhändlerinnen und nannte sie Gewohnheitsdiebinnen. Später griff sein Freund Donald Trump diese Unterstellungen auf; während des ominösen Telefongesprächs des abgewählten Präsidenten mit dem Innenminister von Georgia im Januar 2021 nannte er Freeman «eine professionelle Betrügerin und Schwindlerin».
Als die «Washington Post» das Telefonat am 3. Januar publik machte, wurden die beiden Frauen förmlich überschwemmt von üblen Beschimpfungen und Drohanrufen. «Ich hoffe, dass die Bundesregierung sie und ihre Tochter am Kapitol aufhängen wird, sie verräterisches Stück Scheisse», sagte ein anonymer Anrufer zum Beispiel. Sie mussten untertauchen.
Bundesrichterin Beryl Howell urteilte bereits im Sommer, dass Giuliani die beiden Frauen verleumdet habe. Der Prozess in Washington, der am Montag begann, drehte sich deshalb nur noch um die Frage, wie hoch die Entschädigung für Freeman und Moss ausfallen sollte. Mutter und Tochter hatten Schadenersatz in der Höhe von mindestens 48 Millionen Dollar gefordert.
Giuliani wiederum gab sich nach der Urteilsverkündung ungerührt. Er bezeichnete die Summe, die er den Klägerinnen bezahlen muss, als absurd. Auch beklagte er sich über die unfaire Richterin, die ihn angeblich nicht hatte reden lassen. Er kündigte deshalb an, das Urteil anzufechten.
Giuliani hätte am Donnerstag die Gelegenheit gehabt, sich vor Gericht zu verteidigen. Er verzichtete aber darauf. Stattdessen äusserte er sich zu Wochenbeginn vor dem Gerichtsgebäude in Washington. «Ich habe die Wahrheit gesagt», sagte er über seine Anschuldigungen gegen die beiden Zivilklägerinnen. Freeman und Moss hätten Wahlbetrug begangen, und Trump um seinen Sieg gebracht.
Dies kommt ihm nun teuer zu stehen, obwohl unklar ist, wie viel Geld der ehemalige Spitzenpolitiker noch hat. Giuliani soll bankrott sein, heisst es in Washington und New York, und seine Anwälte nicht mehr bezahlen können. «America's Mayor», nach den Terror-Anschlägen vom 11. September 2001 gefeiert wie ein Superheld, ist tief gefallen. (aargauerzeitung.ch)