Susanna Gibson arbeitet als Krankenschwester, ist mit einem erfolgreichen Anwalt verheiratet und hat zwei Kinder. Die Familie lebt in der Vorstadt von Richmond im US-Bundesstaat Virginia. Gibson ist Demokratin und macht sich in der Politik unter anderem für Abtreibungsrechte von Frauen stark. Denn in weiten Landstrichen der USA haben Frauen kaum noch Möglichkeiten zum legalen Schwangerschaftsabbruch. In diesem Jahr kandidiert die 40-Jährige zudem für einen Sitz im Abgeordnetenhaus des Bundesstaates.
Ihre Chancen auf einen Sieg standen bislang gut. Doch plötzlich sind intime Details der Politikerin ans Tageslicht gekommen, die ihr den Wahlkampf im konservativen Süden des Landes erschweren dürften. «Washington Post», «CNN», «Daily Mail» – sie alle berichten. Dabei geht es allerdings nicht um Gibsons politisches Engagement. Es wurden Videos im Netz entdeckt, auf denen sie und ihren Ehemann Live-Sex vor einem Publikum haben.
Die «Washington Post» berichtete, ein Republikaner habe die Zeitung auf die Videos der Demokratin aufmerksam gemacht. Demnach habe das Paar auf der nicht passwortgeschützten Webseite «Chaturbate» (offenbar eine Wortzusammensetzung aus «Chatten» und «Masturbieren») live sexuelle Handlungen performt. Die beiden hätten mehr als 5700 Follower auf der Plattform gehabt.
Gibson soll von den Nutzern «Tipps», ein «Trinkgeld», als Austausch für bestimmte Aktionen eingesammelt haben. Das sei eine Verletzung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von «Chaturbate» gewesen. In denen sei zu lesen: «Die Aufforderung oder Forderung nach bestimmten Handlungen für Tipps kann für alle Beteiligten zu einem Ausschluss von der Plattform führen».
In mindestens zwei der Videos habe Gibson ihren Zuschauern erklärt, dass sie «Geld für einen guten Zweck» sammele. In mehreren Videos habe sie die Sexualakte unterbrochen, um in einen Computer am Bett zu tippen und die Zuschauer aufzufordern «Tipps» (zu Deutsch: Trinkgelder) zu geben. Diese könnten durch «Token», die über die Website erworben werden, bezahlt werden. In mindestens zwei Videos habe sie sich zudem bereit erklärt, bestimmte Handlungen nur in einem virtuellen «Privatzimmer» auszuführen – eine Vereinbarung, für die der Zuschauer mehr bezahlen muss.
Die Videos seien laut «Washington Post» nicht mehr bei «Chaturbate» aufzurufen. Mehr als ein Dutzend solcher Aufnahmen seien seit ihrem Eintritt ins Wahlkampfrennen jedoch in den Archiven anderer Webseiten aufgetaucht. Wann genau die Livestreams stattgefunden haben, konnte die Zeitung nicht feststellen.
Gibson lässt sich durch die Berichterstattung nicht beirren und zeigt sich kämpferisch. Aus dem Wahlkampf wolle sie nicht aussteigen. «Die Herausgabe der Videos war ein illegaler Eingriff in meine Privatsphäre. Damit will man mich und meine Familie blossstellen. Aber ich lasse mich nicht einschüchtern und zum Schweigen bringen», teilte die Demokratin mit. «Mein politischer Gegner und seine republikanischen Verbündeten haben bewiesen, dass sie sogar ein sexuelles Verbrechen an mir und meiner Familie verüben würden, um einer Frau die Stimme zu nehmen.»
Ihr Anwalt teilte zudem mit, die Verbreitung der Videos sei ein Verstoss gegen das staatliche «Revenge Porn»-Gesetz. Rachepornos sind in den USA unter Strafe gestellt und werden von der Regierung als das «böswillige» Teilen von privatem, sexuellem Material, entweder Fotos oder Videos, von einer anderen Person ohne deren Zustimmung beschrieben. Das Ziel sei, bei der betroffenen Person Beschämung oder Kummer zu verursachen oder sie einzuschüchtern. Gibson habe nichts von der Veröffentlichung von «Chaturbate»-Material auf anderen Websites gewusst und diese auch nicht genehmigt.
Corey D. Silverstein, ein prominenter Anwalt der Pornoindustrie, sagte gegenüber der «Washington Post», es sei nichts Illegales daran, sexuelle Handlungen online zu streamen, solange die Teilnehmer und Zuschauer einwilligende Erwachsene seien – selbst wenn sie für die Ausführung bestimmter Handlungen bezahlt würden. «Es gibt absolut kein Gesetz, gegen das sie verstossen haben – keines», sagte er. «Ich finde es fantastisch, dass jemand kandidiert, der ein offenes Sexualleben hat. Das ist wirklich sehr erfrischend», so Silverstein.
Auch eine prominente Parteikollegin nahm Gibson in Schutz. Staatssenatorin L. Louise Lucas, eine führende Demokratin in Virginia, rief die Wähler dazu auf, die Neuigkeiten zum Anlass für den «grössten Spendentag» von Gibsons Kampagne zu machen. Vor allem viele Wählerinnen retweeteten Lucas mit einem Spendenlink.
I'm honored to have the support of @SenLouiseLucas. I look forward to working with her to win a majority in the House of Delegates this November, and to serving the people of VA together in 2024! pic.twitter.com/QZ7TuUMTmG
— Susanna Gibson (@SusannaSGibson) February 6, 2023
«Sie suchen nach allem, was sie über eine Kandidatin finden können, von der sie glauben, dass sie die Wähler beeinflussen könnte», sagte Lucas über die Opposition. «Es hat alles damit zu tun, wer die Kontrolle über den Senat und das Repräsentantenhaus bekommt. Es geht nur um die Kontrolle.»
Gibsons republikanischer Gegenspieler im Rennen um den Abgeordnetensitz in Virginia am 7. November ist der pensionierte Bauunternehmer David Owen. Owen teilte gegenüber der «Washington Post» mit, dass er genau wie alle anderen über die Sache erfahren habe. Er wolle sich weiter auf seine Kampagne konzentrieren.
Bei einem "sauberen" Republikaner würde man vermutlich alles unter den Teppich kehren, auch wenn sich die Person zuvor noch für die Einkerkerung von Sexvideo Produzenten geäussert hätte.
#Doppelmoral