Tödliche Selfies: Behörden geben Touristen Mitschuld an Wellentragödie
Die Zahl der Opfer der Wellentragödie auf den Kanaren wird immer grösser: Inzwischen sind seit Sonntag fünf Menschen ums Leben gekommen, eine weitere Person gilt als vermisst. Im Zuge des Seeunwetters, das seit Tagen die spanischen Ferieninseln in Atem hält, ist nun auch ein junger Italiener gestorben, der auf der Insel Lanzarote zusammen mit einem Landsmann beim Angeln von einer Riesenwelle ins Meer gerissen worden war.
Die Behörden sprechen nach den Wellendramen auf Teneriffa und Lanzarote von der schlimmsten Serie von Küstenunglücken seit Jahren – und erheben schwere Vorwürfe gegen ausländische Touristen, die Warnungen ignorieren und Absperrungen durchbrechen.
Der fünfte Tote ist ein 27-jähriger Italiener, der am Montag in der Felsbucht Los Charcones auf Lanzarote zusammen mit einem Landsmann geangelt hatte. Die beiden Hobbyfischer wurden von einem Brecher erfasst und ins Wasser gespült. Einer von ihnen konnte sich mit Unterkühlung und zahlreichen Schürfwunden aus eigener Kraft retten. Der 27-Jährige erlitt dagegen einen Herzstillstand, wurde in kritischem Zustand ins Krankenhaus gebracht – und starb nun an den Folgen.
Bereits am Sonntag hatte sich auf Teneriffa das erste Drama ereignet: In einem Naturschwimmbecken unterhalb der Steilküste Los Gigantes hatte eine gewaltige Welle zahlreiche Badegäste ins Meer gerissen. Vier Menschen kamen dabei ums Leben, mindestens eine Person wird noch vermisst. Auch am Dienstag suchten Rettungsmannschaften noch in der Umgebung der Bucht nach weiteren möglichen Todesopfern.
Das Naturbad war polizeilich abgesperrt
Besonders brisant: Der Naturpool war seit dem 3. Dezember gesperrt. Mit grossen gelben Gittern und rot-weissen Bändern mit der Aufschrift «Nicht betreten» hatte die Polizei die als gefährlich geltende Badestelle abgeriegelt, nachdem die Regionalregierung Küstenalarm wegen hoher Wellen ausgerufen hatte.
Doch viele Besucher liessen sich davon nicht beeindrucken. «Sie haben die Absperrbänder einfach ignoriert, sind darüber geklettert oder darunter hindurchgekrochen», klagt Emilio Navarro, Bürgermeister der Gemeinde Santiago del Teide. Die Unglücksbucht liegt auf seinem Gemeindegebiet. Auf den Schildern am Eingang stehe ein deutlicher Warnhinweis – auf Spanisch, Englisch und Deutsch: «Wichtige Information für Ihre Sicherheit: Gefährliche Zone bei starkem Wellengang.» Daneben Fotos, die zeigen, wie eine Welle den gesamten Naturpool überspült.
Bürgermeister Navarro spricht von einem Ort, an dem sich die Wirkung sozialer Medien und der Leichtsinn mancher Besucher gefährlich überlagern: «Die Menschen sehen die Bilder in den sozialen Netzwerken und glauben, sie müssten genau dort baden oder Selfies machen – selbst dann, wenn die Bucht offiziell geschlossen ist.» Unter den rund 20 Personen, die am Sonntag in der gesperrten Bucht waren, befanden sich laut Bürgermeister überwiegend Touristen verschiedener Nationalitäten.
Auch Experten für Küstensicherheit schlagen Alarm. Die vielen natürlichen Meerwasserbecken auf den Kanaren seien für viele Urlauber gefährliche Orte, sagt Sebastián Quintana von der Küstenschutzvereinigung «Canarias 1500 km de Costa». Quintana: «Die Touristen glauben, innerhalb der Mauern sicher zu sein, doch bei starkem Wellengang verwandeln sich diese Becken in tödliche Fallen.» Eine einzige grössere Welle könne den Wasserspiegel plötzlich über die Schutzmauer heben, das ganze Becken fluten und anschliessend das Wasser samt Badenden mit grosser Wucht wieder zurück ins offene Meer reissen.
Quintanas Bilanz für dieses Jahr ist ernüchternd: Rund 65 Menschen sind 2025 bereits an den Küsten der Kanaren ertrunken – eine ähnliche Zahl wie im Vorjahr. Besonders alarmierend: Die meisten Opfer sind Touristen. Ein Grossteil von ihnen befand sich im Wasser oder in Küstennähe, während eine behördliche Warnung wegen «gefährlicher Küstenphänomene» galt oder eine rote Verbotsflagge am Strand wehte. (aargauerzeitung.ch)
