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Siesta und lange Kleider: Was wir von heissen Ländern lernen können

Siesta in Spanien.
Siesta in Spanien.Bild: Shutterstock

Siesta in Spanien, luftige Gewänder in Dubai – das können wir von heissen Ländern lernen

19.07.2022, 14:42
Julia Jannaschk / watson.de
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«36 Grad und es wird noch heisser, (...) 36 Grad, kein Ventilator/ Das Leben kommt mir gar nicht hart vor»: Als die Band 2Raumwohnung diesen Song 2007 veröffentlichte, dürfte eine Temperatur von 36 Grad in Deutschland (von wo die Sängerin stammt) noch die absolute Ausnahme gewesen sein. Jetzt wird die Gluthitze die neue Realität – wahrscheinlich würde sich Sängerin Inga Humpe heute dann doch ein wenig über einen Ventilator freuen.

Dabei sind die Temperaturen hierzulande immerhin noch einigermassen erträglich. In Ländern wie Spanien und Italien stürzten sich bereits Anfang Juni Jungvögel wegen der Hitze aus ihren Nestern und starben: Sie seien buchstäblich gekocht worden, wie eine Biologin der Umweltorganisation Ecourbe der britischen Zeitung «Guardian» sagte. Und auch die Waldbrände in Amerika, Australien, Griechenland oder Portugal werden jedes Jahr heftiger.

Solche Zustände sind selbst für hitzeerprobte Länder extrem. Trotzdem sind die Menschen in Südeuropa und anderen Ländern der südlichen Hemisphäre häufiger hohen Temperaturen ausgesetzt – und haben darum bereits einen besseren Umgang mit ihr gefunden.

Was wir uns noch von dem einen oder anderen Land beim Umgang mit Hitze abschauen können, verraten wir euch hier.

Alles, was du über Hitzewellen wissen musst (also wirklich fast alles):

Leben mit statt gegen die Hitze

Während in der Schweiz das Leben von morgens um 7 bis abends um 22 Uhr durchrauscht, ist die berühmte Siesta zur Mittagszeit in Spanien und Italien ein Muss. Die meisten Geschäfte schliessen um circa 13 Uhr und öffnen erst gegen 16 oder 17 Uhr wieder. Denn bei sommerlichen Durchschnittstemperaturen von fast 40 Grad lässt sich an Arbeit gar nicht denken.

In dieser Zeit wird stattdessen zu Hause gegessen, gedöst und gerastet. Dafür wird auch länger in die Nacht hinein gearbeitet und gelernt: Die Schlange vor den Lernsälen der Universitäten ist sogar um 1 Uhr nachts noch so lang wie hierzulande um 10 Uhr morgens.

A woman sunbathes in St James's Park, London, Tuesday July 19, 2022. Britain shattered its record for highest temperature ever registered Tuesday, with a provisional reading of 39.1 degrees Celsi ...
Eine kleine Siesta zu halten, ist gerade bei Hitze eine gute Idee. Vielleicht aber noch besser nicht in der prallen Sonne (daran erkennst du auch, dass es sich bei dem Bild um den St. James-Park in London handelt und nicht um den Retiro Park in Madrid...).Bild: keystone

Dementsprechend wäre auch eine Diskussion über längere Sommerferien angebracht: In Ägypten beispielsweise haben die Kinder etwa von Mitte Mai bis Mitte September Ferien.

Das macht schon allein deshalb Sinn, weil bei hohen Temperaturen das Gehirn ohnehin nicht richtig leistungsfähig ist, wie eine 2018 veröffentlichte Studie ergab: Umweltmediziner der Harvard Chan School beobachteten 44 Studentinnen und Studenten während einer Hitzewelle in Boston. Das Ergebnis: Die Studierenden ohne Klimaanlage brauchten länger, um die Rechenrätsel und die Wörteraufgaben zu lösen als die Studierenden in klimatisierten Räume.

«Hitzige» Sommergefühle

Der Körper hat eine Wohlfühltemperatur von ungefähr 22 bis 25 Grad. Ab circa 30 Grad dagegen fühlt sich der durchschnittliche Schweizer nicht mehr wohl in seiner Haut. Uns wird zu heiss.

Was dann passiert? Wir produzieren das Hormon Vasopressin, das eigentlich nachts ausgeschüttet wird und die Niere dazu bringt, vermehrt Wasser aus dem Harn zurückzugewinnen. Doch es steuert auch Emotionen und kann in die Stressantwort des Organismus eingreifen. Bedeutet: Wenn es heisser wird, fahren wir leichter aus der Haut.

Eigentlich keine grosse Überraschung, man kennt das ja. Man steht im stickigen Tram, man schwitzt, alles ist doppelt so anstrengend und dann wird man plötzlich angerempelt. Was folgt, ist meist: Aktion – Reaktion – Explosion.

Werden wir also in Zukunft ebenfalls eine «heissblütige» Nation? Die Verbindung zwischen steigenden Aussentemperaturen und steigender Aggression ist tatsächlich mehr als nur eine gefühlte Wahrheit.

Als «Long hot summer effect» wird diese Verhaltensweise schon seit den Sechzigerjahren untersucht. Experten wollen dabei herausfinden, ob politische Unruhen und Krawalle mit zunehmender Sommerhitze wahrscheinlicher werden. Eine höchst umstrittene Debatte.

Der Umweltpsychologe Gerhard Reese bestätigt diese These gegenüber dem Spiegel: «Es gibt in der Tat einen Zusammenhang zwischen Aggression und Hitze, das haben viele Forschungen belegt.» Doch ganz so einfach ist es dann doch nicht: «Man kann nicht sagen: Immer wenn es heiss wird, dann werden die Leute aggressiv. Wenn jemand aggressiv wird, dann spielen immer auch noch andere Faktoren eine Rolle. Die Hitze wirkt dabei wie ein Verstärker für die anderen Emotionen.»

Die gute Nachricht dabei: «Ab etwa 33 Grad beruhigen wir uns aber wieder – es ist einfach zu anstrengend.»

Eine hitzeresistente Stadt- und Häuserplanung

Spanier stürmen an Hitzetagen nicht etwa die Strände, sondern ziehen sich lieber in die eigenen vier Wände zurück. Warum? Wer einmal in der andalusischen Stadt Córdoba war, weiss es: begrünte Innenhöfe mit bunten Blumen, kühlen Fliesen und in der Mitte ein kleiner Brunnen sind dort in fast jedem Haus Standard. Diese Rückzugsorte sind kleine Oasen mitten in der Stadt. Denn mit einer frischen Brise, dem kühlenden Effekt der Pflanzen und dem Plätschern des Wassers im Ohr lassen sich Temperaturen an die 40 Grad gleich viel besser bewältigen.

So sehen Innenhöfe in der spanischen Stadt Córdoba aus.
So sehen Innenhöfe in der spanischen Stadt Córdoba aus.Bild: Shutterstock

Noch weiter geht man im Irak vor: Viele Händler stellen dort im Sommer auf den Bürgersteigen Duschen zur Erfrischung während des Shoppingtrips auf – Handtuch inklusive.

In Paris findet man kühle Orte in der Stadt sogar über eine App: «Extrema Paris» wurde während einer Hitzewelle 2018 gegründet, inzwischen gibt es die App weltweit unter dem Namen «Extrema Global». Nutzer können sogar auswählen, ob sie sich lieber in einer Kirche, einem Museum, einem Park oder am Ufer eines Wasserlaufes abkühlen möchten.

Die richtige Kleidung wählen

Umso heisser die Temperaturen, desto kürzer wird meistens auch die Kleidung. Doch auch hier sollten wir lieber auf die Profis schauen. Beduinen in der Wüste lassen sich nicht in Shorts oder Bikini in der Sonne brutzeln, sondern tragen lange, fliessende Gewänder aus Naturmaterialien wie Baumwolle, Seide oder Leinen.

Dieser Kleidungsstil ist übrigens nicht nur für Frauen angesagt: In heissen Ländern wie Dubai, Ägypten oder Pakistan tragen auch Männer lange, weite Gewänder, etwa die Galabiya oder den Shalwar Kameez, eine Kombination aus Pluderhose und langem Hemd.

Diese schützen nicht nur vor schädlichen UV-Strahlen, sondern kühlen uns auch besser ab. Bei enger Kleidung staut sich die Hitze und unser Körper kann den Schweiss, der ja den Körper kühlen soll, nicht abgeben. Bei langer, luftiger Kleidung dagegen ist jeder Schritt eine – möglicherweise etwas streng duftende – Erfrischung.

Wer es kleidungstechnisch lieber etwas moderner mag, kann sich bei den Japanern umsehen: Dort wird sogar Kleidung mit Faserstoffen verkauft, die für einen kühlenden Effekt sorgen soll. Bauarbeiter bekommen dort Jacken mit eingebautem Ventilator, Polizisten eine luftdurchlässige Weste mit Taschen unter den Ärmeln sowie Kühlaggregaten auf dem Rücken.

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31 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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s'Paddiesli
19.07.2022 14:53registriert Mai 2017
Frauen habe da bereits heute die Möglichkeit, lange, luftige Kleidung zu tragen. Männer könnten mal von den antiquierten Anzügen mit Hemd und Krawatte loskommen. Es wäre Zeit, von dieser Uniform abzulassen.
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Rethinking
19.07.2022 16:16registriert Oktober 2018
Es wäre höchste Zeit, dass in Unternehmen auch bezüglich Kleidung Gleichberechtigung zwischen den Geschlechter herrscht…

Gerade Männer, die meist wärmer haben als Frauen, müssen oftmals jedoch mit langen, wenig luftigen Hosen arbeiten…

Weit geschnittene luftige Hosen, kurze Hosen, Shirts, Trägershirts, Sandalen. Meist alles für Männer nicht erlaubt resp. unerwünscht…

Die „alten“ Männer im Management haben leider oft sehr antiquiert Ansichten bezüglich „Professionalität“…
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DPFFAW
19.07.2022 16:25registriert Februar 2014
Etwas off topic, aber da schon ein Bild aus Córdoba im Artikel verwendet wurde.. ich war mal zufälligerweise dort als das Festival de Patios war. Da konnte man alle Innenhöfe anschauen. War echt schön, was da alles hinter den weissen Wänden zum Vorschein kam🥰
Und die Mezquita und ihre Geschichte sowieso.. hach da bekomme ich gleich Fernweh.
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