Es fällt schwer, sich ein harmloseres Unternehmen als die Disney Corp. vorzustellen. Mickey Mouse, Donald Duck und Pluto erfreuen seit Menschengedenken die Kinder rund um den Globus. Stolze Grosseltern begleiten ihre Enkel in Filme wie Lion King, Schneewittchen und 100 Dalmatiner, und wer einen der berühmten Disney-Parks besuchen will, braucht wegen des grossen Andrangs meist viel Geduld.
Glückliche Familien stehen im Zentrum des Disney-Images. Trotzdem werden Mickey Mouse & Co, derzeit von konservativer Seite heftig angegriffen. Fox-News-Moderatorin Laura Ingraham sprach jüngst gar folgende Drohung aus: «Sobald die Republikaner wieder an der Macht sind, müssen Apple und Disney eines zur Kenntnis nehmen: Alles wird verhandelbar sein, eure Copyrights, eure spezielle Stellung in einzelnen Bundesstaaten. Selbst eure Unternehmensstruktur.»
Was ist vorgefallen, damit eine vor Wut schäumende Ingraham Disney vorwirft, das Unternehmen sei «woke» geworden und würde neuerdings Kinder «groomen»? Dieser Ausdruck bedeutet in seiner harmlosen Version «Hunde frisieren», in seiner nicht so harmlosen Version jedoch «Kinder für sexuellen Missbrauch vorbereiten». Warum wird ausgerechnet Mickey Mouse diesem schwerwiegenden Vorwurf ausgesetzt?
Rückblende: Die Republikaner haben den Kulturkrieg als ihre schärfste Waffe gegen die Demokraten entdeckt. Zuerst setzten sie diese Waffe gegen die Schulen ein, indem sie den angeblichen Unterricht in Critical Race Theory (CRT) als Schreckgespenst verwendeten. Mit Erfolg: In Virginia wurde der Republikaner Glenn Youngkin überraschenderweise zum Gouverneur gewählt, weil er voll auf den neuen Kulturkrieg setzte.
CRT wurde von einem konservativen Aktivisten namens Christopher Rufo entdeckt und für politische Zwecke instrumentalisiert. Rufo ist damit zu einem Helden der konservativen Szene aufgestiegen. Nun hat er wieder zugeschlagen. Er hat ein Video aufgetrieben, in dem eine Disney-Produzentin an einem Meeting die freundliche Haltung des Unternehmens gegenüber Fragen der Homosexualität verteidigt. Dieses Video gilt inzwischen als Beweis für den absurden «Groomer-Vorwurf».
Das Ganze hat natürlich auch einen aktuellen politischen Hintergrund. Ron DeSantis, der Gouverneur von Florida, hat soeben ein Gesetz verabschiedet, das unter dem Titel «Don’t Say Gay» nationale Berühmtheit erlangt hat. Dieses Gesetz verbietet, dass auf Primarschulen-Stufe Fragen der sexuellen Orientierung und Identität behandelt werden. Eine Lehrerin darf beispielsweise die Frage: «Warum hat Anna zwei Mütter und keinen Vater?» nicht beantworten. Tut sie dies trotzdem, muss sie damit rechnen, von Eltern angezeigt und hart bestraft zu werden. Ähnlich wie beim neuen Abtreibungsgesetz in Texas werden die Verpetzer zudem noch belohnt.
Für die Konservativen ist dieses Gesetz ein willkommener Schutz für ihre Kinder vor der zunehmenden sexuellen Verunsicherung in den Zeiten von LBGTQ. Für die Progressiven hingegen ist es ein Versuch der Konservativen, die Errungenschaften der homo- und transsexuellen Gemeinschaft wieder zunichtezumachen. Zudem werfen sie DeSantis vor, sich mit diesem Gesetz für eine mögliche Präsidentschaftskandidatur 2024 in Szene zu setzen.
Womit wir wieder bei Disney angelangt sind. Mit rund 80’000 Mitarbeitern ist das Unternehmen einer der wichtigsten Arbeitgeber und Steuerzahler in Florida. Es ist auch einer der wichtigsten Geldgeber der Grand Old Party. Daher wollte sich Disney zunächst aus der Kontroverse um «Don’t Say Gay» heraushalten. Dagegen rebellierten jedoch viele Mitarbeiter. Das ist nicht weiter erstaunlich. Bei Disney sind viele Kreative beschäftigt, darunter überdurchschnittlich viele Angehörige der LGBTQ-Community.
Disney-CEO Bob Chapek war daher gezwungen, Stellung zu beziehen. Er tat es, entschuldigte sich für sein anfängliches Zögern, verurteilte das Gesetz und versprach, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, mit dem Ziel, die Anliegen der LGBTQ-Gemeinde zu fördern.
Nun stiegen die Konservativen auf die Barrikaden. Gouverneur DeSantis droht jetzt offen, die bestehenden Steuerprivilegien für Disney zu widerrufen. Bei Fox News wurde die Hetze gegen Disney allgegenwärtig. Selbst das «Wall Street Journal» stimmte in den Anti-Disney-Chor ein. Unter dem Titel «Disney Decides to Go for Woke» wetterte beispielsweise der Kolumnist Gerard Baker:
Der Streit um «Don’t Say Gay» ist nicht nur ein weiterer trauriger Höhepunkt in einem widerlichen Kulturkrieg der Konservativen. Er ist auch ein Kniefall vor QAnon. Für diese gefährliche Kultbewegung steht der sexuelle Missbrauch von Kindern im Mittelpunkt. Angefangen von Pizzagate – einer absurden Verschwörungstheorie, gemäss der in einer Pizzeria in Washington Kinder in einem Keller gefangen gehalten und Perversen zur Verfügung gestellt werden – bis hin zur völlig haltlosen Behauptung, Politiker wie Hillary Clinton und Hollywood-Stars wie Tom Hanks würden das Blut von Kindern trinken, decken die QAnon-Verschwörer alle denkbaren Varianten von Kindesmissbrauch ab.
Mehr als die Hälfte der GOP-Mitglieder glauben zumindest teilweise an die QAnon-Verschwörungstheorien. Sie täten gut daran, sich in den eigenen Reihen umzusehen. Matt Gaetz, ein Abgeordneter aus Florida, steht im Verdacht, Sex mit Minderjährigen gehabt zu haben.
Und ich finde dieses Maulkorbgesetz in Florida eine Schande. Bürger dürfen sich nicht selber entscheiden und informieren, sondern die Regierung nimmt das ihnen ab. Wenn der Staat das freie Wort verbietet, dann gute Nacht Demokratie. So tief sind die USA bereits gesunken.
De Santis ist hier einer der Schlimmsten und ich hoffe inständig, dass er niemals US-Präsident wird!