Wirtschaft
Schweiz

US-Zölle: So wollen Schweizer Gewerkschaften Arbeitnehmer schützen

Pierre-Yves Maillard, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, erklärt im Interview, wie er Arbeitnehmende in der Schweiz vor den Folgen der US-Zölle zu schützen gedenkt.
Pierre-Yves Maillard, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, erklärt im Interview, wie er Arbeitnehmende in der Schweiz vor den Folgen der US-Zölle zu schützen gedenkt. bild: watson
Interview

Warum die hohen US-Zölle ein Beweis für den Erfolg von Schweizer Unternehmen sind

Der Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) und Waadtländer SP-Ständerat Pierre-Yves Maillard reagiert auf die von den USA verhängten Zölle gegen die Schweiz und äussert sich zu den befürchteten Folgen für die Beschäftigung.
12.08.2025, 18:5412.08.2025, 18:54
Antoine Menusier
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Wie hat der Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) auf die Entscheidung von Donald Trump reagiert, die Einfuhren aus der Schweiz in die USA mit 39 Prozent zu besteuern?
Pierre-Yves Maillard: Wie alle anderen auch, verstehen wir die Logik hinter dieser Entscheidung nicht – und wir machen uns Sorgen um die Folgen für die Industriearbeitsplätze in der Schweiz.

Übersetzung

Dieser Text wurde von unseren Kolleginnen und Kollegen aus der Romandie geschrieben, wir haben ihn für euch übersetzt.

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Wie reagiert die SGB darauf?
Schon lange vor der Ankündigung am 1. August hatten sich die Sozialpartner der Industrie, die Gewerkschaft Unia und der Arbeitgeberverband Swissmem darauf geeinigt, gemeinsam auf eine Verlängerung der Kurzarbeit auf zwei Jahre zu bestehen. Dafür ist eine Gesetzesänderung nötig, also ein Parlamentsbeschluss. Ich habe diesen Vorschlag aufgenommen und in der Gesundheits- und Sozialkommission des Ständerats eingereicht. Dort wurde er angenommen. Wir hoffen auf einen endgültigen Entscheid des Parlaments in der Herbstsession. Die Krise in der deutschen Autoindustrie und ihre Folgen für Schweizer Zulieferer wird nun durch die Zollkrise verlängert.

«Das rechtfertigt, dass die zulässige Dauer der Kurzarbeit von 18 auf 24 Monate erhöht wird.»

Ist Wirtschaftsminister Guy Parmelin mit dieser Massnahme einverstanden?
Im Frühling war er es nicht, aber ich erwarte – und hoffe –, dass der Bundesrat seine Meinung in diesem Punkt ändert.

Bundesrat Guy Parmelin spricht an einer Medienkonferenz ueber die Handelsbeziehungen mit den USA, am Donnerstag, 7. August 2025, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Guy Parmelin erklärte an der Pressekonferenz nach dem Eintreten der 39-Prozent-Zölle durch die USA, man werde die Verlängerung auf Kurzarbeit als Massnahme prüfen.Bild: keystone

Würde die Verlängerung der Frist auf 24 Monate in der aktuellen Situation überhaupt noch rechtzeitig in Kraft treten?
Unternehmen, die Ende 2025 die 18 Monate erreicht haben, könnten eine Verlängerung um sechs Monate erhalten. Firmen, die in den nächsten Wochen Kurzarbeit anmelden, hätten dann von Anfang an zwei Jahre zur Verfügung.

Handelt es sich aktuell in Ihrer parlamentarischen und gewerkschaftlichen Erfahrung seit der Coronapandemie um eine der schwersten Krisen?
Nein. Im Januar 2015 hatte die Aufhebung des Euro-Mindestkurses massive Folgen für die gesamte Schweizer Industrie, weil der Franken an einem Tag um etwa 16 Prozent teurer wurde und die Schweizer Börse über 8 Prozent verlor.

«Damals war der Schock für alle Schweizer Exporte spürbar – nicht nur für die 20 Prozent, die in die USA gehen.»

Wie sind Sie damals mit der Verteuerung der Exporte durch den starken Franken umgegangen?
Damals hat der Mechanismus der Kurzarbeit funktioniert. Einzelne Arbeitgeber haben zwar Entscheidungen getroffen, mit denen wir nicht einverstanden waren, etwa Arbeitszeiterhöhungen. Trotzdem hat die Schweiz – obwohl man das Schlimmste befürchten konnte – diese Krise überstanden. Darum wollen wir im SGB zwar auf die US-Zölle reagieren, schwarzmalen tun wir aber nicht.

«Wir dürfen nicht in Schwarzmalerei verfallen. Wir müssen über Wege nachdenken, wie wir die Industrie unterstützen können.»

Zum Beispiel?
Wir müssen kleinen und mittleren Unternehmen, die in die USA exportieren und juristische oder technische Beratung brauchen, Hand bieten. Ihnen helfen zu verstehen, wie sich mit diesen willkürlichen Zöllen umgehen lässt. Ausserdem könnte man die Stromkosten senken, die in der Industrieproduktion stark ins Gewicht fallen. Ende 2024 hat das Parlament hier in einer Notsituation eine Einigung erzielt, die zur Rettung der Giesserei Gerlafingen und von Swiss Steel in Emmenbrücke beigetragen hat. Genau darum ist es wichtig, die Kontrolle über den Stromsektor zu behalten.

Der Kurs des Swiss Marketindex SMI an an der Boerse nach der Aufhebung des Euromindestkurses durch die Schweizerische Nationalbank in Zuerich am Donnerstag, 15. Januar 2015. (KEYSTONE/Walter Bieri)

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Als der Mindestkurs im Januar 2015 aufgehoben wurde, brach die Schweizer Börse massiv ein.Bild: KEYSTONE

Wäre eine Lohnsenkung für Unternehmen eine Lösung, um Kündigungen zu vermeiden?
Nein, wir haben keinerlei Absicht, über Lohnsenkungen zu verhandeln. Denn die Löhne machen in der Industrie nur 30 bis 40 Prozent der Endkosten eines Produkts aus. Selbst wenn die Arbeit – absurd gedacht – ganz gratis wäre, würde das die 39-Prozent-Zollabgabe oft nicht einmal ausgleichen. Nein, Lohnsenkungen sind eine Sackgasse. Sie wären zudem kontraproduktiv.

Warum?
Weil die Fachkompetenz der Mitarbeitenden in den Bereichen Mechanik, Werkzeugmaschinen und Uhrenindustrie eine knappe Ressource ist. Die Anforderungsprofile in diesen Branchen werden immer anspruchsvoller. Schon jetzt ist es manchmal schwierig, junge Menschen für diese Berufe zu gewinnen – und niedrigere Löhne würden hier ein schwieriges Signal senden. In der jetzigen Situation muss man vielmehr Vertrauen schaffen.

Wenn es hart auf hart kommt – wären Ihnen Entlassungen lieber als Lohnsenkungen?
Wir lehnen es ab, so zu denken. Wenn ein Unternehmen in Schwierigkeiten ist und schwierige Entscheidungen treffen muss, verhandeln die Gewerkschaften und prüfen, was möglich ist. Aber unsere Logik ist nie: «Lieber Entlassungen als Lohnsenkungen.»

«Man muss sehen, dass diese willkürlichen 39 Prozent Zölle gewissermassen ein Beweis für den Erfolg unserer Unternehmen sind.»

Das heisst, sie machen gute Produkte – und wir müssen alles tun, um die Ausbildung und die Arbeitsplätze zu sichern, die Qualität und Innovation ermöglichen. Auf diese Stärken muss man stetig setzen. Und vielleicht sind in einem Monat die Exportzölle in die USA schon reduziert oder aufgehoben. Der Bundesrat muss die Gespräche mit den Amerikanern unbedingt fortsetzen.

Ist die Pharmaindustrie in der Schweiz für den Gewerkschaftsbund genauso wichtig wie etwa der Maschinen- und Uhrensektor?
Für uns zählen die Arbeitsplätze und die Arbeitnehmenden. Wir machen keine Rangordnung zwischen den Branchen. Wichtig ist, industrielles Know-how und gute Einkommen für Zehntausende von Beschäftigten zu verteidigen.

Ist es anggesichts der Unberechenbarkeit der USA an der Zeit, die Bilateralen III voranzutreiben und die Beziehungen zur EU zu stärken?
Wir unterstützen das Abkommen über die Personenfreizügigkeit und den Zugang zum EU-Binnenmarkt, das aus dieser neuen Verhandlungsrunde zwischen der Schweiz und der EU hervorgegangen ist – sofern es mit den 14 Massnahmen ergänzt wird, die der Bundesrat zum besseren Lohnschutz vorgeschlagen hat. Aber das Parlament sollte diese Schutzmassnahmen jetzt nicht verwässern.

«Wozu wir uns allerdings nicht bekennen können, ist das Stromabkommen, das eine vollständige Liberalisierung des Strommarkts vorsieht.»

Dieses ist gleichbedeutend mit dem Verlust der Kontrolle über diese wichtige Ressource. Für uns wäre das eine Katastrophe. Dieses Stromabkommen ist laut Bundesrat rechtlich übrigens nicht mit den anderen verbunden.

Rechnen Sie damit, dass der US-Zollschock Ihnen beim Erreichen ihrer Ziele hilft?
Wir werden sehen, ob die Arbeitgeberverbände die 14 Lohnschutzmassnahmen in ihrer Gesamtheit unterstützen – wie es der Bundesrat verlangt. Das würde zeigen, dass sie sich der Dringlichkeit der Lage bewusst sind.

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41 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Lohner
12.08.2025 19:23registriert August 2025
Dass ein so kleines Land wie die Schweiz eine solche Handelsbilanz gegenüber den USA erzielen kann, sagt eigentlich alles über unsere und die Produkte der Amis aus
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Pebbles F.
12.08.2025 19:28registriert Mai 2021
Nicht die Kurzarbeit soll sofort als Lösungsvarianre geprüft werden sondern das Erschliessen zusätzlicher Märkte ist interessant.
Die CH Abhängigkeit von den USA ist ein grosses Unglück.
Unsere Verbündeten sin europäische Länder für den Export und auch Kanada und diverse ausgesuchte Länder auf anderen Kontinenten.
Und: wir müssen uns unabhängig von den US IT Dienstleistern machen, Norwegen und Finnland sind uns freundlicher gesinnt.
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Jacob Crossfield
12.08.2025 20:13registriert Dezember 2014
Keine Ahnung was Trump hier macht, aber Zölle wurden eingeführt um die einheimischen, nicht konkurrenzfähigen Produkte vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Eigentlich eine Bankrotterklärung. Solche Eingriffe kennt man nur von "sozialistischen" und anderen diktatorischen Regimes.
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