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In der Antarktis wurde die grösste Fischnest-Kolonie entdeckt

60 Millionen Fischnester entdeckt – was das für den Schutz der Antarktis bedeuten könnte

Im Weddellmeer in der Antarktis haben deutsche Forschende das weltweit grösste bislang bekannte Fischbrutgebiet gefunden – das erhöht den Druck auf China und Russland, beim Meeresschutz einzulenken.
14.01.2022, 13:2615.01.2022, 13:53
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Überraschungsfund 500 Meter unter dem Meeresspiegel: Im Süden des antarktischen Weddellmeers hat ein Forschungsteam geschätzte 60 Millionen Nester von Eisfischen der Art Neopagetopsis ionah am Meeresboden entdeckt. Dieser Fund könnte einen entscheidenden Beitrag für den Umweltschutz in der Antarktis leisten.

Antarktis
Das Weddellmeer ist das grösste der rund 14 Randmeere des Südlichen Ozeans.Bild: CIA, Public domain, via Wikimedia Commons

1700 Eier pro Nest

Im Februar 2021 haben Forschende des «Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung» (AWI) die Fischnester gefilmt. Ihre Ergebnisse haben sie nun im Fachmagazin «Current Biology» publiziert.

Die Eisfische in ihren Nestern:

Video: watson

Die überraschende Entdeckung gelang mit einem Kameraschlitten, einem sogenannten «Ocean Floor Observation and Bathymetry System» (OFOBS). Mit dem OFOBS kann der Meeresboden in Extremumgebungen untersucht werden – wie zum Beispiel in eisbedeckten Regionen. Für die aktuelle Studie wurde die Kamera entlang von Glasfaserkabeln in etwa drei Metern über dem Grund über den Meeresboden geführt.

Die Brutkolonie sei zwischen 420 und 535 Metern unter dem Meeresspiegel ermittelt worden. Dabei habe sich gezeigt, dass in der gesamten Kolonie in bemerkenswert gleichmässigen Abständen aktive Fischnester vorhanden seien. Die Nester sähen aus wie kleine Schüsseln mit einem Durchmesser von rund 75 Zentimetern und einer Tiefe von rund 15 Zentimetern.

Fischkolonie antarktis
Die Fischnester befinden sich auf dem Meeresboden und sehen aus wie kleine Schüsseln.Bild: Purser A. et al (2022): A vast icefish breeding colony discovered in the Antarctic.

Die Forschenden zählten auf ihren Aufnahmen 16'160 Nester auf 45'600 Quadratmetern. 12'020 Nester seien aktiv bebrütet worden und hätten je rund 1700 Eier enthalten.

Anhand der Kartierung des Gebietes, in dem die Forschenden die Entdeckung machten, wurde hochgerechnet, dass auf rund 240 Quadratkilometern Fischnester zu finden sein müssten – das entspricht der Grösse der Insel Malta. Die Forschenden berechneten weiter, dass sich auf diesem Gebiet eine geschätzte Gesamtzahl von rund 60 Millionen Fischnestern befände.

Das Brutgebiet stimmt räumlich mit dem Einstrom von warmem Tiefenwasser aus dem Weddellmeer auf den höher gelegenen Schelf überein.

Von Robben und der Polarstern

Die Forschenden waren aber nicht die Ersten, die die Nester der Eisfische gefunden haben: Weddellrobben sind ihnen zuvorgekommen. Das multidisziplinäre Team hatte Robben mit Kameras und Sendern ausgestattet und dadurch auch herausgefunden, dass Weddellrobben zu rund 90 Prozent in exakt der Region tauchen, in der aktive Eisfisch-Nester zu finden sind.

Da Weddellrobben bis zu 600 Meter tief tauchen, um nach Nahrung zu suchen, ist zu vermuten, dass die Robben sich am reich gedeckten Tisch der Eisfisch-Nester bzw. einer geschätzten Biomasse von rund 60'000 Tonnen Fisch sattfressen.

Weddellrobbe Robbe Seal Antarktis
Eine Weddellrobbe flirtet mit der Kamera – die Weddelrobben sind nach ihrem Entdecker James Weddell benannt, der auch Namenspate für das Weddellmeer ist (vgl. Infobox).Bild: imago

Unterwegs waren die Forschenden mit der «Polarstern» – einem Eisbrecher der normalerweise 320 Tage pro Jahr auf See ist. Die Polarstern bietet Platz für 43 Besatzungsmitglieder und 55 Wissenschaftler sowie neun fix eingebaute Labore für wissenschaftliche Untersuchungen, die bei Bedarf auch ergänzt werden können.

Das Forschungsschiff Polarstern 2020 beim Auslaufen im Bremer Hafen, Antarktis, Arktis
Die Polarstern beim Auslaufen in Bremerhaven, 2020. Bild: keystone

Das Weddellmeer als baldiges Meeresschutzgebiet?

Das riesige Brutgebiet der Eisfische bildet ein wichtiges Ökosystem für das Weddellmeer und ist nach aktuellem Stand der Forschung wohl die räumlich umfangreichste zusammenhängende Fischbrutkolonie, die bisher weltweit entdeckt wurde.

Das Weddellmeer
1823 drang der britischen Segler James Weddell bis zum 74. südlichen Breitengrad in eine beinahe unschiffbare Bucht im Südlichen Ozean bei der Antarktis ein. Die Bucht wurde in der Folge nach Weddell benannt: Weddellmeer.

Das Weddellmeer ist ein Randmeer des Südlichen Ozeans am antarktischen Kontinent. Der westliche Teil des Weddellmeeres ist ständig von Packeis bedeckt, im übrigen Weddellmeer geht das Eis im Sommer zurück. Insgesamt bedeckt das Weddellmeer eine Fläche von 2,8 Millionen Quadratkilometer. Es ist zwischen 500 und 5000 Meter tief.

Mehrere Forschungsteams blieben im frühen 20. Jahrhundert bei der Erforschung des Weddellmeeres im Packeis stecken und mussten mehrere Monate auf Rettung warten.
Seit 1983 untersucht das deutsche Forschungsschiff «Polarstern» auf Expeditionen das Weddellmeeres. Ein Schwerpunkt ist dabei die polare Klima- und Meeresforschung. (yam)

Doch das gesamte Ökosystem beim Weddellmeer ist aktuell bedroht: Die Klimaerwärmung und die Fischerei setzten besonders der Tierwelt in der Region stark zu. Denn insbesondere Krill wird von den weltweiten Fisch-Industrien zu grossen Mengen aus dem antarktischen Ozean geholt, um danach in Nahrungsergänzungsmittel (Omega-3-Fettsäuren) im Handel zu landen. So geht eine wichtige Nahrungsquelle für die Tiere im Südpolargebiet verloren.

Das AWI hat bereits in der Vergangenheit einen Vorschlag ausgearbeitet, um im Weddellmeer ein Meeresschutzgebiet einrichten zu können – und die Fischerei so zu begrenzen. Seit 2016 vertreten die EU sowie weitere unterstützende Länder zwar diesen Vorschlag in der «Internationalen Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis» (CCAMLR). Doch einige der Mitgliedstaaten der CCAMLR stellen sich gegen ein Meeresschutzgebiet im Weddellmeer – insbesondere Russland und China.

Die Entdeckung der Polarstern-Forschenden erhöht nun den Druck auf die CCAMLR, das Weddellmeer definitiv als Meeresschutzgebiet zu etablieren. Und so sagt die AWI-Direktorin Antje Boetius: «Aber jetzt, da der Standort dieser aussergewöhnlichen Brutkolonie bekannt ist, sollten Deutschland und andere CCAMLR-Mitglieder dafür sorgen, dass dort auch in Zukunft keine Fischerei und ausschliesslich nicht-invasive Forschung stattfindet.» (yam)

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Alfred de Quervains Grönlandexpedition 1912
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Alfred de Quervains Grönlandexpedition 1912
Die Sammlung wissenschaftlicher Daten war eine der Hauptaufgaben der Expedition: Alfred de Quervain bei der Messung des Windes. (Bild: ETH-Bibliothek, Bildarchiv)
quelle: eth-bibliothek, bildarchiv
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So schön sieht es in unerforschten Teilen der Antarktis aus
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23 Kommentare
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Mandalayon
14.01.2022 14:04registriert Februar 2018
Ja, ich wäre auch gerne optimistischer, aber: Wer Seaspiracy gesehen oder sich anderweitig/zusätzlich mit der Thematik befasst hat, weiss, dass China jetzt eher sämtliche Fangflotten dorthin schickt als auch nur ansatzweise etwas für den Schutz zu tun. Dafür gibt's obendrein das MSC-Label, da es ja 'nachhaltig' ist und noch viele Fische übrig bleiben. 😕
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Alter Mann
14.01.2022 13:45registriert September 2020
"das erhöht den Druck auf China und Russland, beim Meeresschutz einzulenken." Ich glaube das ist ziemlich blauäugig. Alle Länder wie auch Europa und die EU weichen nur ökonomischem Druck wie wir bisher erfahren haben. Das wird diesmal nicht anders sein. Denn nur wenn die grossen Fischfangflotten (aller Länder) dieser Welt endlich reguliert und bei Vergehen hart (existenziell) bestraft werden, gibt es ein Überleben der maritimen Schätze. Das heisst alle Ländern müssen lernen ihre Fischfangflotten zu regulieren, zu kontrollieren und bei Verstössen hart zu bestrafen.
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worldwise
14.01.2022 14:00registriert April 2016
guter artikel aber blöder tippfehler im text: nicht über 16'000 nester auf 45'600 quadratkilomtern (wären ein bisschen wenig auf dieser riesenfläche), sondern nach check im original-papier 45'600 quadratmeter ... zitat: "We identified 16,160 fish nests within an area of 45,600 m2 of seafloor directly imaged by the Ocean Floor Observation and Bathymetry System (OFOBS)10
camera sled ..."
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