Die Bar des Hotels Bellevue in Bern gilt als von Politikern bevorzugter Ort für einen Absacker während der Session. Zu Beginn der Achtzigerjahre sollen sich einige von ihnen dabei auch für die attraktive amerikanische Bardame begeistert haben. Deshalb bestand Spionage-Verdacht, die Bundespolizei ermittelte und soll dabei auf eine Liste der Liebhaber der Dame gestossen sein.
Weil der damals noch junge Nationalrat Christoph Blocher überzeugt war, dass vor allem Sozialdemokraten auf dieser Liste zu finden seien, verlangte er umgehend deren Veröffentlichung. Als man ihm jedoch die Namen zeigte, erlosch dieser Wunsch schlagartig. Auch die Wellen dieses Mini-Skandals legten sich bald wieder.
Mit der Epstein-Liste erleben die USA in gewisser Weise das Gleiche in Grün, nur weit heftiger. Diese Liste ist in der rechten Verschwörungs-Gemeinde so etwas wie der Heilige Gral geworden. Der Financier, der wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen angeklagt wurde, deswegen in Untersuchungshaft in einem Gefängnis sass und dort Selbstmord begangen haben soll, ist für die MAGA-Meute weit mehr als bloss ein pädophiler Straftäter.
Jeffrey Epstein ist, wie David French in der «New York Times» feststellt, «ein Schlüsselelement in der Anklage gegen die sogenannte regierende Klasse geworden. Trumps Anziehungskraft auf die republikanische Basis fusst nicht einzig auf der ausserordentlichen Zuneigung zu diesem Mann; sie ist auch durch die unglaublich düstere Sicht auf die amerikanische Regierung begründet».
Im Wahlkampf spielte Trump immer wieder mit dieser düsteren Sicht und versprach, im Falle eines Wahlsieges die Epstein-Liste zu veröffentlichen, natürlich in der Annahme, dass sich dort neben Bill Clinton und Bill Gates auch die Namen von prominenten Hollywood-Grössen finden würden. Auch Scharfmacher in der MAGA-Meute, Leute wie Steve Bannon, Marjorie Taylor Greene, Tucker Carlson oder Kash Patel, forderten vehement die Offenlegung, denn die Liste war mittlerweile «die QAnon-Version des denkenden Mannes geworden», so French, «die Vorstellung, dass die amerikanische Gesellschaft von einer Bande von pädophilen Kannibalen angeführt wird».
Als Justizministerin Pam Bondi daher im Februar ankündigte, besagte Epstein-Liste liege auf ihrem Pult und werde bald veröffentlicht, steigerte sich die MAGA-Meute in eine wahre Hysterie. Doch zunächst wurde sie mit Altbekanntem abgespeist, und jetzt haben das Justizministerium und der inzwischen zum FBI-Direktor beförderte Kash Patel gar erklärt: «Sorry Leute, es gibt gar keine Liste, und übrigens hat Epstein tatsächlich Selbstmord begangen.»
Die MAGA-Meute hat darauf mit einem Wutgeheul reagiert. So erklärte der ehemalige Fox-News-Moderator Tucker Carlson, eine bedeutende MAGA-Stimme: «Das muss ein Witz sein, wir alle verstehen das. Ich befürchte, dass wir uns an einem gefährlichen Ort befinden.»
Carlson und andere MAGA-Wortführer fordern jetzt gar den Rücktritt der Justizministerin, einer Frau, die Trump aus der Hand frisst. Das ging selbst dem Präsidenten zu weit. Auf seiner Plattform Truth Social versucht er, die Wogen zu glätten und beschuldigt – wen wundert es – Barack Obama, die Clintons und den ehemaligen FBI-Direktor James Comey, eine gefälschte Liste erstellt zu haben.
Damit erklimmt Trump nicht nur neue Höhen der Absurdität, er versucht auch, sich selbst aus der Schusslinie zu nehmen, denn seine Freundschaft zu Epstein ist bestens dokumentiert, und ein frustrierter Elon Musk hat nach seinem Rausschmiss aus dem Weissen Haus auch gepostet, der Name Trump stehe auf der Epstein-Liste.
Anders als die Affäre mit der Berner Bardame wird der Skandal um die Epstein-Liste nicht so schnell aus der Welt zu schaffen sein. Zu gross ist die Wut der MAGA-Meute, und diese Wut wird zusätzlich angeheizt durch die Folgen der «Big and beautiful bill», die Trump durch den Kongress gepeitscht hat. Bereits zeigt sich nämlich, dass die Kosten für dieses gigantische Steuergeschenk an die Reichen tatsächlich von den Armen getragen werden müssen.
So hat ein Pflegeheim in einem ländlichen und sehr roten – will heissen republikanisch dominierten – Bezirk im Bundesstaat Nebraska angekündigt, es werde seine Pforten wegen dieses Gesetzes schliessen müssen. Das ist Wasser auf die Mühlen der Demokraten, welche Trumps Monstergesetz ins Zentrum ihrer Kampagne für die Zwischenwahlen 2026 stellen wollen.
Auch an der Wall Street herrscht Ernüchterung. Nachdem der Zollschock vom 2. April erstaunlich rasch verdaut war und sich die Aktienbörsen wieder auf Rekordhöhen geschwungen hatten, dominiert jetzt wieder die Verunsicherung. Trump verteilt erneut Strafzölle wie einst im April. Einmal betrifft es die Einfuhr von Kupfer, dann Kanada und Mexiko oder Japan und Südkorea. Neuerdings haben sich auch die Hoffnungen der EU auf einen «Deal» zerschlagen. Die Schweiz befindet sich immer noch in einer Hängepartie.
Douglas Rediker, Chairman of International Capital Strategies, erklärt in der «Washington Post»: «Trump fühlt sich unbesiegbar und ist – was Zölle betrifft – bereit, weit aggressiver zu handeln als wir bisher angenommen haben, denn er ist überzeugt, mit allem durchkommen zu können.»
Bisher haben die Finanzmärkte auf Taco-Trump gesetzt, darauf, dass der US-Präsident im letzten Moment den Schwanz einziehen und alles nicht so schlimm kommen wird. Die Einigung mit China hat die Investoren noch in diesem Glauben bestärkt und dazu geführt, dass sich die Kurse so rasch erholt haben.
Das könnte sich als Irrtum erweisen. Inzwischen ist der US-Präsident derart von seinen Allmachtsphantasien betrunken, dass er sich nicht einmal mehr die Mühe nimmt, eine halbwegs rationale Begründung für seine Zölle mitzuliefern. So will er Brasilien mit einem solchen Zoll bestrafen, obwohl die USA mit diesem Partner ein Plus in der Handelsbilanz aufweisen. Trump will vielmehr seinem Kumpel, dem ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro, ein Strafverfahren ersparen.
Zudem hasst Trump das Taco-Meme und will der Welt beweisen, dass es nicht der Realität entspricht. Doch er hat auch handfeste finanzielle Gründe für seine Zölle. Um das Riesenloch, das seine «Big and beautiful bill» in die Staatskasse reisst, wenigstens zum Teil aufzufüllen, braucht er die Kohle.
Was die Aussenpolitik betrifft, scheint es sich selbst bis ins Weisse Haus herumgesprochen haben, dass Wladimir Putin dem US-Präsidenten auf der Nase herumtanzt. Deshalb soll das Ruder jetzt herumgeworfen werden. Trump hat bereits angekündigt, dass er indirekt der Ukraine Patriot-Abwehr-Systeme liefern will. Allerdings müssen es die Europäer bezahlen.
Wie er Putin noch härter bestrafen will, ist zum Zeitpunkt, in dem dieser Text geschrieben wird, noch nicht bekannt. Doch er dürfte damit auf wenig Gegenliebe bei seiner MAGA-Meute stossen. Diese sieht in Putin bekanntlich den Retter des christlichen Abendlandes.
Im ersten Halbjahr seiner zweiten Amtszeit hat Trump einen erfolgreichen Blitzkrieg geführt. Er hat die Steuern gekürzt, Handelskriege lanciert, Verbündete vor den Kopf gestossen, die Grenze gegen Mexiko geschlossen und massenhaft Staatsangestellte gefeuert. Weil er alles auf einmal verwirklicht hat, ist es Trump weitgehend gelungen, seine Gegner zu überrumpeln. Doch jetzt muss seine MAGA-Revolution liefern. Das dürfte ein bisschen schwieriger werden.