Die sechs grossen Ungereimtheiten im Umgang mit den Epstein-Files
Letzten Freitag veröffentlichte das US-Justizministerium neue Dokumente zum Fall des Sexualstraftäters Jeffrey Epstein. Doch statt neuer Erkenntnisse gab es neue Enttäuschungen – und statt die Wogen zu glätten, wurde ein neuer Sturm entfacht. Das sind die Hauptgründe dafür:
Nur Bruchteile der gesamten Epstein-Files wurden veröffentlicht
Nach einer monatelangen Verzögerungstaktik unterzeichnete US-Präsident Donald Trump am 19. November ein Gesetz, den Epstein Files Transparency Act, welches das Justizdepartement der Vereinigten Staaten (DOJ) dazu verpflichtete, innerhalb eines Monats sämtliche Epstein-Files zu veröffentlichen. Stichtag war letzten Freitag (der 19. Dezember).
Am Freitagabend kam das DOJ seiner Verpflichtung nach – aber nicht komplett. Zum Frust der Urheber des Gesetzes veröffentlichte das DOJ nur einen Bruchteil aller Files: «Weitere hunderttausende Files werden in den nächsten Tagen und Wochen folgen», erklärte der stellvertretende Generalstabsanwalt Todd Blanche gegenüber Fox. Der Umfang des Materials sei zu gross gewesen.
Der Trump-kritische Republikaner Thomas Massie sprach deshalb von einer Farce und postete aus Protest den Wortlaut des Gesetzestextes. Statt aller Files wird die Öffentlichkeit weiterhin vertröstet. Das Katz-und-Maus-Spiel der Trump-Regierung im Fall Epstein geht in die nächste Runde.
Unbegründete Zensur
Von den veröffentlichten Files sind viele Abschnitte und Fotos geschwärzt. Der extremste Fall betrifft das Dokument mit dem Titel «Grand Jury-NY». Der 119-seitige Bericht wurde komplett zensiert.
Zensur – mehr dazu später – ist unter gewissen Umständen legal und sogar erwünscht. Sie muss aber in jedem Fall begründet werden. Laut Ro Khanna wurde das 119-seitige Dokument aber ohne Angaben von Gründen geschwärzt. Nach seiner Beschwerde hat das DOJ nun einige Stellen darin freigegeben. Wie man an diesem Beispiel sehen kann, bleiben die geschwärzten Seiten in absoluter Mehrheit.
Das Verschwinden von Files
Kurz nach der Veröffentlichung verschwanden mindestens 16 Dokumente aus dem Archiv. Mit dem Filenamen EFTA00000468.pdf befand sich darunter auch ein Foto, das den Schreibtisch von Jeffrey Epstein mit offenen Schubladen zeigt.
Neben einigen Fotos von bekannten Persönlichkeiten sind darauf auch zwei Fotos mit Donald Trump zu sehen. Eines zeigt ihn mit seiner heutigen Ehefrau Melania, Ghislaine Maxwell und Jeffrey Epstein. Im anderen posiert Trump mit teilweise leicht bekleideten Frauen.
Dass das Foto zuerst zensiert wurde, erhärtet die Befürchtungen, das DOJ habe Donald Trump und andere Republikaner fürsorglich aus den Dokumenten gestrichen. Nach Protesten der Demokraten machte das DOJ das Foto später öffentlich.
Verdacht auf selektive Zensur
Laut Gesetz darf das DOJ aus verschiedenen Gründen Textstellen und Fotos schwärzen:
- Um die Identität von Opfern zu schützen.
- Um aktuelle Untersuchungen und Operationen nicht zu gefährden.
- Wenn auf Bildern Sex mit Kindern zu sehen ist.
- Wenn auf Bildern Tote, physische Gewalt oder Verletzungen zu sehen sind.
- Wenn durch die Veröffentlichung die nationale Sicherheit gefährdet sein könnte.
Der Gesetzestext des Epstein Files Transparency Acts verlangt explizit, keine Rücksicht auf mögliche Reputationsschäden aktueller politischer Würdenträger und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu nehmen. Diverse Berichte legen nahe, dass das DOJ den Passus nicht befolgte.
- FBI-Agenten, welche mit der Sichtung der Files beauftragt wurden, wurden laut Berichten angewiesen, sämtliche Hinweise auf Trump zu markieren.
- Im September gab ein ranghoher DOJ-Mitarbeiter einer Undercover-Journalistin an, dass die Namen sämtlicher Republikaner und konservativer Persönlichkeiten aus den Files herausgestrichen würden – ganz im Gegenteil zu denen der Demokraten. Der Mann sagte dies im Glauben, mit der Journalistin des rechtsextremen Portals Project Veritas ein Date zu haben. Er zog seine Aussagen später nicht zurück, betonte aber, er habe sie aufgrund von Medienberichten getätigt – und nicht wegen seines Insiderwissens als DOJ-Mitarbeiter.
- Journalisten des Trump-freundlichen Senders Fox News meldeten, sie würden über Informationen verfügen, dass nicht nur die Namen von Opfern geschwärzt wurden, sondern auch diejenigen von politisch exponierten Personen und Regierungsmitarbeitern.
Den Vorwurf der selektiven Zensur will das DOJ nicht gelten lassen. Todd Blanche sagte gegenüber dem TV-Sender ABC, dass keine Dateien verändert wurden, um Präsident Trump zu schützen. Nichts werde deswegen zurückgehalten. Er verneinte auch, dass er Anweisungen erhalten habe, Material, das den Präsidenten erwähne, zu bearbeiten.
Trump kommt nicht vor – dafür Bill Clinton
Bereits im Vorfeld der Veröffentlichung warnten Medien davor, die Trump-Regierung könnte die Epstein-Files gegen seine politischen Widersacher verwenden. Wenig überraschend war deshalb, dass das neue Material vor allem auf Ex-Präsident Bill Clinton ein schlechtes Licht wirft. Gleichzeitig erhärtete es aber auch den Verdacht der Manipulation.
Eines der Fotos in den Dokumenten zeigt Bill Clinton zusammen mit Michael Jackson und der Sängerin Diana Ross. Weitere Personen auf dem Bild, Kinder, wurden zensiert. Bei den unkenntlich gemachten Kindern handelt es sich aber um Jacksons und Ross' Nachwuchs – und nicht um mutmassliche Opfer. Das Foto entstand an einem Benefizkonzert und steht in keinem Zusammenhang mit den Epstein-Files. Es ist seit Jahren öffentlich. Wie es in die Dokumente kam, ist unklar. Das unerklärliche Auftauchen schürt nun die Spekulation, Material sei bewusst in den Files platziert worden, um Clinton zu schaden – und von Trump abzulenken.
Denn der Name des US-Präsidenten fehlt in den neuen Files weitgehend – obwohl DOJ-Vorsitzende Pam Bondi Donald Trump im Mai gewarnt habe, sein Name tauche diverse Male in den Epstein-Files auf, und obwohl Trump nachweislich gut mit Epstein befreundet gewesen war.
Erwähnt wird der aktuelle US-Präsident nur in Notizen von Epsteins Sekretärin über verpasste Anrufe, in Flug-Logbüchern und in Transkripten von Ghislaine Maxwells Aussagen gegenüber dem DOJ.
Ghislaine Mawell wurde bereits im Sommer in ein komfortableres Gefängnis mit minimalen Sicherheitsstandards verlegt. Wie DOJ-Mitarbeiter Schnitt gegenüber seinem vermeintlichen Date aussagte, sei das ein Upgrade, von dem Sexualstraftäterinnen eigentlich ausgeschlossen sind: «Dafür hält sie dicht», sagte Schnitt in die versteckte Kamera.
Das Wichtigste fehlt
Thomas Massie glaubt, in den Epstein-Files gäbe es Informationen zu über 20 weiteren Sexualstraftätern – die sogenannte Epstein-Klienten-Liste (Kundenliste).
Er berufe sich auf die Aussagen von Opfer-Anwälten, welche Akteneinsicht haben, erklärte er gegenüber dem TV-Sender CBS. Von den 20 Personen kenne er nur einen Namen: Jes Staley. Der ehemalige Top-Banker und CEO von Barclays ist heute eine Persona non grata in der Businesswelt, wurde aber nie verurteilt.
Justizministerin Bondi widerspricht. Es gebe keine Klienten-Liste, sagte sie im Juli, nachdem sie ein paar Wochen zuvor in einem Fox-News-Interview noch behauptet hatte, «die Liste liegt bei mir auf dem Schreibtisch zur Überprüfung».
Der Republikaner Thomas Massie und der Demokrat Ro Khanna sind mit den jüngsten Veröffentlichungen nicht zufrieden. Sie werfen Bondi vor, gegen das Gesetz zu verstossen, und kündigten an, die Justizministerin wegen inhärenter Missachtung vorzuladen.
Weitere Epstein-Files werden in den nächsten Tagen und Wochen erwartet.
