Interview
Zürich

«Viele brechen hier in Tränen aus, weil sie vor lauter Frust, Ohnmacht und Druck nicht mehr weiter wissen»

Das Mannebüro Züri an der Ecke Lang-/Hohlstrasse.
Das Mannebüro Züri an der Ecke Lang-/Hohlstrasse.bild: watson
25 Jahre Mannebüro Züri

«Viele brechen hier in Tränen aus, weil sie vor lauter Frust, Ohnmacht und Druck nicht mehr weiter wissen»

Seit 25 Jahren werden im Mannebüro Züri Männer auf ihrem Weg zu einem gewaltfreien Leben beraten. Geschäftsleiter Mike Mottl über Veränderungen, Gleichgebliebenes, Freuden und Abgründe.
14.09.2014, 09:2814.09.2014, 15:35
Kian Ramezani
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Herr Mottl, Das «Mannebüro Züri» feiert sein 25-jähriges Bestehen. Was hat sich punkto Gewaltberatung in einem Vierteljahrhundert verändert?
Mike Mottl: Für die Gründergeneration war die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau das zentrale Thema. Frauenhäuser gab es bereits seit den 1970er Jahren, so gesehen entsprach das Mannebüro auch einer Forderung nach Gleichberechtigung aus Sicht der Männer. Die Rolle als Mann ist natürlich auch heute noch ein wichtiger Aspekt, inzwischen stehen aber eher Beziehungsarbeit und Gewaltberatung im Vordergrund.

Gab es Widerstände gegen das Projekt?
Das Mannebüro stiess – vielleicht etwas überraschend – sehr schnell auf breite Akzeptanz. Auch wenn es eher ein Projekt aus der linken Ecke war, wurden politisch Andersdenkende nie ausgeschlossen. Von Beginn weg kamen Männer aus allen möglichen Schichten zu uns, da blieb für Ideologie kein Platz. Auch mit politischen Aussagen halten wir uns sehr zurück, da unterscheiden wir uns sicher von anderen Männerorganisationen.

Mike Mottl, Geschäftsleiter Mannebüro Züri.
Mike Mottl, Geschäftsleiter Mannebüro Züri.bild: zvg
«Aktuell überlegen wir, uns gegen die Schutzinitiative zu engagieren.»

Das Mannebüro ist apolitisch?
Natürlich interessieren uns nach wie vor gesellschafts- und geschlechterpolitische Debatten. Die einzige Initiative, die wir aber bislang unterstützt haben, war «Schutz vor Waffengewalt», die Sturmgewehre aus den Haushalten verbannt hätte, weil sie unsere Arbeit direkt tangierte. Aktuell überlegen wir, uns gegen die «Schutzinitiative» zu engagieren, die ein Verbot für Sexualkunde an Kindergärten und Primarschule fordert. Sexualberatung im Zusammenhang mit Gewalt entwickelt sich zu einem zweiten Standbein des Mannebüros, die Initiative betrifft damit ein zentrales Anliegen unserer Arbeit.

Haben sich die Anliegen der Männer verändert, die zu Ihnen kommen?
Eigentlich nicht, häusliche Gewalt ist unser Kerngeschäft geblieben. Ziel war damals, einen neuen Ansatz zu finden, weg vom bösen Mann als Täter und der armen Frau als Opfer. Da bleibt noch viel zu tun, aber insgesamt wird das heute differenzierter angeschaut. Was sich klar verändert hat, ist die Zahl der Männer, die bei uns Hilfe suchen: Das war damals ein Tabu und im ersten Jahr kamen vielleicht ein paar Dutzend. 2013 hatten wir über 2000 Beratungen.

Männer trauen sich heute eher, Hilfe zu suchen?
Ja, allerdings kommen seit Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes (GSG) 2007 auch viele Fälle dazu, wo im Rahmen dieses Gesetzes ein Mann eine Verfügung, zum Beispiel ein Kontakt- oder Rayonverbot, bekommen hat. Immerhin ein Viertel dieser Männer kommen für ein freiwilliges Gespräch zu uns. Bei Vorfällen häuslicher Gewalt werden Männer und männliche Jugendliche nicht nur bestraft, sondern sie haben auch Anspruch auf eine Beratung. Das hat unsere Arbeit fast verdoppelt. Eigentlich haben wir mehr, als wir bewältigen können.

«Bei Vorfällen häuslicher Gewalt werden Männer und männliche Jugendliche nicht nur bestraft, sondern sie haben auch Anspruch auf eine Beratung.»

Woran fehlt es?
Finanziell war es schon immer schwierig für uns. Wir schlagen uns seit Jahren mit einem Defizit herum. Die Stadt Zürich und einige Gemeinden und Stiftungen unterstützen uns jedes Jahr mit einem fixen Betrag. Beratungen aus GSG-Verfügungen werden vom Kanton bezahlt, zudem können wir mit zahlreichen Referaten, Workshops und Schulungen die Einnahmenseite etwas aufbessern. Telefonberatungen sind gratis, wer für ein persönliches Gespräch vorbeikommt, bezahlt ein Prozent seines monatlichen Nettoeinkommens. Bei 5000 Franken sind das also 50 Franken. Das deckt die Kosten natürlich nicht. Aber ein wichtiger Grundsatz ist, dass jeder kommen darf, auch wenn er Schulden hat oder von Sozialhilfe lebt.

Was ist denn der höchste Betrag, den Sie je über ein Prozent des Nettoeinkommens verrechnet haben?
Also wir verlangen keine Steuererklärung, das beruht auf Vertrauen. Aber wir hatten schon Männer mit einem gewissen Bekanntheitsgrad, die finanziell sicher gut dastehen und auch entsprechend bezahlt haben. Den höchsten Betrag kenne ich nicht, dafür bin ich noch zuwenig lange dabei. Aber wir haben schon 200 Franken für eine Beratung erhalten.

Wie will das Mannebüro zu mehr Geld kommen?
Ich bin erst seit zehn Monaten mit an Bord, aber neben den Beratungen wird Fundraising wohl eine meiner Hauptaufgaben als Geschäftsleiter sein. Wir sind ja immer noch ein Verein und möchten das auch bleiben. Die meisten unserer Mitglieder stammen aus den Anfangszeiten und uns fehlt schon etwas der Nachwuchs. Wir wollen deshalb vermehrt jüngere Mitglieder anwerben und gleichzeitig Stiftungen, Gemeinden und Städte strukturierter und professioneller angehen. Mit einer gesunden finanziellen Basis könnten wir auch ein Wachstum ins Auge fassen, um die grosse Nachfrage zu bewältigen. Aktuell sind wir drei Berater und würden gerne einen weiteren anstellen.

«Grundsätzlich erleben Männer aus allen Schichten Ohnmacht und Stress in Beziehungen, mit der Familie oder bei der Arbeit, wo dann Gewalt als Ventil dient.»

Sie haben angesprochen, dass die Männer quer aus allen Schichten stammen. Gibt es dennoch auffällige Tendenzen?
Es gibt eine Vielzahl von Faktoren, die gewalttätiges Verhalten beeinflussen. Ausländer, vor allem schlecht integrierte, sind gegenüber Schweizern sicher in der Überzahl. Auch das Bildungsniveau kann eine Rolle spielen. Aber grundsätzlich erleben Männer aus allen Schichten Ohnmacht und Stress in Beziehungen, mit der Familie oder bei der Arbeit, wo dann Gewalt als Ventil dient. Tendenziell sind es eher Schweizer, die sich bei uns melden, bevor sie gewalttätig werden. Manche Kulturen haben ein ganz anderes Gewaltverständnis und kommen erst, wenn bereits ein grosser Schaden angerichtet ist. Viele kennen aus ihrer Heimat bloss Repression und können sich gar nicht vorstellen, dass ihnen jemand Hilfe anbietet.

Inwiefern ist die Sprache eine Barriere, gerade bei schlecht integrierten Ausländern?
Eine Beratung in einer Fremdsprache zu einem derart persönlichen Thema ist natürlich eine Herausforderung. Wir können aufgrund unserer begrenzten finanziellen Mittel keinen Dolmetscher bieten. Anders ist es bei den GSG-Verfügungen, dort übernimmt der Kanton die Übersetzungskosten. 

Welche Glücksmomente und welche Abgründe erleben Sie in der Gewaltberatung?
Wir bekommen doch einiges zurück. In meiner interessanten und vielseitigen Arbeit sind die Gespräche und Diskussionen mit den Männern noch immer das, was ich am liebsten mache. Viele Männer sind sehr dankbar für unsere Dienstleistung und lassen uns das auch wissen. Wir melden uns ein halbes Jahr nach der Beratung immer noch einmal und wenn wir dann hören, dass alles in Ordnung ist oder sogar die Beziehung gerettet werden konnte, ist das natürlich sehr schön. Wie überall in der Sozialarbeit sieht man aber auch Abgründe. Viele brechen hier in Tränen aus, weil sie vor lauter Frust, Ohnmacht und Druck nicht mehr weiter wissen. Eine Auswahl dieser Einzelschicksale können anonymisiert in unserem Jahresbericht nachgelesen werden.

Haben Sie im Mannebüro auch schon Gewalt erlebt?
Nein, noch nie. Es herrscht vielleicht auch eine falsche Vorstellung über die Männer, die hierher kommen. Die sind nicht per se gewalttätig, sondern tickten in einer Extremsituation aus. Im Übrigen sind wir hier ein tolles Team und die Männer fühlen sich wohl bei uns. Diese Atmosphäre macht meiner Meinung nach viel aus. Hier wird über niemanden geurteilt, sondern Hilfe geboten.

«Hier wird über niemanden geurteilt, sondern Hilfe geboten.»

Frauen arbeiten hier keine, oder?
Wir haben kein Frauenverbot, aber klar: Wir sind für die Männer da und alle unsere Angestellten sind Männer. Das sagen wir auch den Frauen, die hier anrufen.

Es gibt Frauen, die das Mannebüro anrufen?
Es kommt immer wieder vor, dass Partnerinnen oder Mütter von gewalttätigen Männern anrufen und einen Termin für sie vereinbaren wollen. Wir verweigern das Gespräch nicht, beraten sie auch gerne, machen aber klar, dass der betreffende Mann schon selber Verantwortung übernehmen und anrufen muss. Wir machen mit wenigen Ausnahmen auch keine Paarberatung.

Welche Eigenschaften muss ein guter Berater im Mannebüro mitbringen?
Die ersten beiden Berater 1989 waren Studenten der Sozialen Arbeit, die das Mannebüro im Rahmen ihres Projektjahres gründeten. Seither hat eine starke Professionalisierung stattgefunden. Gewaltberatung ist sehr anspruchsvolle Arbeit, für die man viel Erfahrung mitbringen muss, und das nicht ausschliesslich in der Sozialarbeit. Lebenserfahrung und Offenheit sind unabdingbar, weil man hier mit allen möglichen Lebensläufen konfrontiert wird.

Sind alle Männer, die sich hier melden, Täter? Oder gibt es auch Opfer?
Das Mannebüro Züri kann und will nicht alles machen. Explizite Opferberatungen machen wir nicht, dafür gibt es andere spezialisierte Beratungsstellen. Zwar sind die Opfer- und Täterrollen nicht immer sehr klar: Gewalttätig gewordene Männer sehen sich selber durchaus auch als Opfer. Wir arbeiten aber sowieso nach dem Prinzip der Selbstverantwortung und üben mit den Männern gewaltfreie Konfliktlösung. In der jetzigen Situation müssen wir uns auf das konzentrieren, was wir am besten können. Und das ist die Täterberatung.

Was passiert mit den Männern nach einer Beratung?
Manche kommen nur einmal für ein Gespräch vorbei, andere beginnen eine Beratung, die aus drei bis acht Gesprächen besteht. Was danach passiert, ist natürlich die grosse Frage. Der Abschluss mit einer Evaluation und der Aufbau eines Nachfolgesystems sind fester Bestandteil der Beratung. Ist eine Therapie sinnvoll, vermitteln wir entsprechende Fachleute. Therapien werden von der Krankenkasse in der Regel auch übernommen, im Gegensatz zu unseren Beratungen. Generell kann man sagen, dass viele Männer vom Mannebüro Züri profitieren und zu einem gewaltfreien Leben finden.  

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