Justiz
Kinder

Kinderpornografie: Verurteilter Kinderarzt arbeitet jetzt als Oberarzt

Erik M.* auf dem Weg zum Gericht.
Erik M.* auf dem Weg zum Gericht.screenshot: Telem1
Bezirksgericht Aarau

Kinderpornografie: Verurteilter Kinderarzt arbeitet jetzt als Oberarzt

Ein heute 35-Jähriger konsumiert jahrelang kinderpornografische Bilder und Videos – und arbeitet gleichzeitig als Arzt am Kinderspital Aarau. Heute ist er Arzt für Innere Medizin an einem anderen Schweizer Spital. Wie das Gericht geurteilt hat und wieso er weiterhin Arzt sein darf.
25.02.2015, 08:3425.02.2015, 13:32
Mario Fuchs
Mehr «Justiz»
Ein Artikel von
Aargauer Zeitung

Die Dateien, die sich Erik M.* jahrelang herunterlädt, lassen einen erschaudern. So fest, dass es reicht, ihren Inhalt abstrakt anzudeuten: Nackte Buben mit nackten Männern. Geschlechtsteile. Flüssigkeiten.

Tele-M1-Beitrag zum Fall
Tele-M1-Beitrag zum Fallvideo: tele m1

2012 findet die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau bei einer Hausdurchsuchung zwei Notebooks und externe Festplatten. 12'346 Bilder. 699 Videos. 9 CDs und DVDs. Texte mit Titeln wie: «Die perverse Kindertagesstätte, Teil 1». Über Jahre heruntergeladen, www.gigatribe.com, 1 Million und 625 000 Nutzer haben dort ein Konto.

Die französische Plattform gibt es seit 2005, ein US-amerikanischer Ableger geht 2008 online. Die Seite ist insbesondere bei Strafuntersuchungsbehörden in den USA bestens bekannt. Immer wieder taucht sie in Datenauswertungen auf, die am Schluss zu Verfahren wegen Kinderpornografie führen.

Kinderporno-Ring aufgeflogen

Kinderarzt Erik M. begann 1999, Kinderpornos anzuschauen, gestern am Bezirksgericht angeklagt war eine Tatzeit vom 1. Januar 2008 bis zum 25. September 2012. Brisant: Während der heute 35-Jährige Bilder und Filme im Netz sucht, bei sich speichert und konsumiert, ist er als Kinderarzt am Kinderspital Aarau angestellt. Monatslohn: 12'000 Franken. Dann, im Herbst 2012, kommen die Behörden auf seine Spur – per Zufall.

In Skandinavien laufen umfangreiche Ermittlungen wegen kinderpornografischen Materials. Irgendwo auf der langen Liste derer, die auf diesem Weg Bilder und Videos heruntergeladen haben: eine IP-Adresse, die einem User in der Schweiz gehört. Der Tipp wird geprüft – und führt in eine Aargauer Agglomerationsgemeinde. Es ist Erik M.s Computer.

Ein Verfahren wird eingeleitet. Erik M. weiss, was er getan hat – und er entscheidet, in die Offensive zu gehen. Er begibt sich selbst in eine psychologische Therapie. Und er sucht das Gespräch mit seinen Vorgesetzten am Kinderspital Aarau. Erzählt ihnen von der laufenden Untersuchung, von den Straftaten: Mehrfache Pornografie, mehrfache Gewaltdarstellungen. In gegenseitigem Einvernehmen wird das Arbeitsverhältnis per sofort aufgelöst.

Heute arbeitet er zwar nicht mehr mit Kindern. «Das will ich auch nicht mehr», sagt er in Aarau vor dem Richter. Doch ist Erik M. nach wie vor als Mediziner tätig: Als Oberarzt für Innere Medizin an einem anderen Schweizer Spital. Die Ärztegesellschaft hat für die Aargauer Behörden ein Gutachten erstellt. Sie kommt darin zum Schluss, ein Berufsverbot brauche es bei Erik M. nicht – verbunden mit der Empfehlung, er solle künftig keine Tätigkeit mehr ausüben, bei der er mit Kindern in Kontakt komme. Der Angeklagte versichert dem Richter, dass dies bei seiner jetzigen Stelle ausgeschlossen sei. Und seine Therapie laufe nach wie vor erfolgreich.

Anwalt gibt Erkrankung schuld

Die Staatsanwaltschaft fordert in der Anklageschrift eine bedingte Geldstrafe von 300 Tagessätzen à 130 Franken, bei einer Probezeit von vier Jahren. Zudem soll Erik M. eine unbedingte Busse von 10'000 Franken bezahlen. Die Verteidigung ist damit nicht einverstanden. Es sei nicht erwiesen, dass jede einzelne der sichergestellten Dateien kinderpornografisch zu klassifizieren, sprich verbotenen Inhalts sei.

Und: Taten, die sich vor dem 24. Februar 2008 ereigneten, seien nach anwendbarem Recht bereits verjährt. Zudem sei eine Erkrankung schuld daran, dass Erik M. sich von kinderpornografischem Material erregt gefühlt habe. Er sei nicht vorbestraft, habe einen guten Leumund und sei beruflich wie auch sozial «gut integriert».

Uneinig waren sich der Richter und der Verteidiger zudem in der Frage, ob dem Angeklagten «nur» Konsum und Sicherung der Bilder und Videos oder aber auch die Produktion derselben vorgeworfen werden dürfen. Die Krux: Je nach Auslegung und Lehrmeinung gilt das Herunterladen und Abspeichern alleine schon als Produktion – oder eben nicht.

Schliesslich verurteilte das Bezirksgericht Aarau Erik M. zu einer bedingten Geldstrafe von 74'400 Franken (240 Tagessätze à 310 Franken). Eine Busse von 10'000 Franken muss der Arzt sofort bezahlen. Der Richter ging damit über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus. Er machte geltend, das kinderpornografische Material sei von der «absolut gröberen Sorte».

Auch wenn ein Teil der Taten inzwischen verjährt sei, sei der Ansatz angemessen, da das Einkommen des Verurteilten gestiegen sei. Die Kosten für Verfahren und Gutachten gehen ebenfalls zulasten von Erik M. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

*Name geändert

Jetzt auf
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
0 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!