Der Funke springt fernab der Erde: Bei Sophie* und Marco* knistert es im Flugzeug. Er, ein Berner, noch sehr müde und erschöpft nach einer durchzechten Nacht im Berliner Nachtleben. Sie, eine Deutsche, redefreudig und wissbegierig auf dem Weg in die Schweiz.
Aus dem Treffen wird Liebe. Auch nach Jahren der Beziehung schwebt das Paar auf Wolke sieben, beim Versuch, ein Kind zu bekommen. Doch aus den Wolken wird zunehmend ein Orkan aus Zweifel, Selbsthass und Sehnsucht. Die gewünschte Schwangerschaft tritt einfach nicht ein. Die Liebe wird auf eine harte Probe gestellt.
Über die anfängliche Aufregung, die mentale Unterstützung der Obamas und die letzte Hoffnung auf ein Kind.
Sophie ist 31, als sie ihre Hormonspirale entfernen lässt. Nach fünf Jahren Beziehung möchten sie und Marco ein Kind. Der Sex wird wortwörtlich zur schönsten Sache der Welt: «Der Babymach-Sex ist das Aufregendste überhaupt», erinnert sich Sophie.
«Doch die Aufregung lässt mit der Zeit nach», fügt Marco hinzu. Trotz Gelassenheit und Geduld erfüllt sich der Kinderwunsch auch nach sechs Monaten nicht. Das Paar lässt sich medizinisch untersuchen.
Bei Marco weist das Spermiogramm auf eine leicht eingeschränkte Motilität (Beweglichkeit) der Spermien hin. Der Frauenarzt rät dem Paar bereits zu diesem Zeitpunkt zu einer künstlichen Befruchtung (IVF). Diese Empfehlung macht das Paar stutzig. «Dass uns geraten wird, dass wir jetzt schon eine künstliche Befruchtung in Betracht ziehen sollten, empfanden wir als etwas gar überstürzt. Ein Spermiogramm ist ja immer nur eine Momentaufnahme», sagt Sophie.
Eine Zweitmeinung lässt das Paar weiter hoffen: «In der Kinderwunschklinik des Inselspital teilte man uns mit, dass bei uns alles in Ordnung sei und es mit dem Kinderkriegen eigentlich funktionieren sollte. Der Spezialist meinte zwar, dass die Spermienqualität leicht eingeschränkt sei, doch da so viele Spermien vorhanden seien, sollte sich dies wieder ausgleichen. Quasi Quantität vor Qualität», erzählt Marco.
Das Paar probiert es weiterhin auf natürlichem Weg – doch der erhoffte Match zwischen Sophies Eizellen und Marcos vielen Spermien trifft nicht ein.
Alleine sind sie damit nicht. 10 bis 15 Prozent der Paare in der Schweiz haben Schwierigkeiten, sich den Kinderwunsch zu erfüllen. Vom unerfüllten Kinderwunsch sprechen Fachpersonen, wenn es innerhalb eines Jahres auf natürlichem Weg nicht zur Schwangerschaft kommt.
Doch es gibt noch andere Wege.
Zur Unterstützung nimmt Sophie eine Hormonstimulation der Eierstöcke (FHS-Behandlung) in Kauf. Dabei wird der Eisprung durch eine kleine Spritze ausgelöst. «Etwa 18 Stunden später muss man zusammen in die Kiste», erklärt Sophie. «Das ist der Zeitpunkt, wenn die Romantik flöten geht», scherzt Marco.
Aus der schönsten Sache der Welt wird nun quasi eine Pflichtübung nach Zeitplan.
Heute kann das Paar über den Sex nach Plan lachen – auch über die skurrilen Situationen, welche die Behandlung zur Folge hat: «Eines Abends mussten wir mitten auf der Autobahn auf einer verlassenen Raststätte halten, damit ich den Eisprung auslösen konnte. Ich stellte den Sitz zurück und spritzte mir die Hormone. Dabei fühlte ich mich wie eine Fixerin. Das war so absurd, dass wir uns einen Spass daraus machten», so Sophie.
Doch auch die Stimulation bringt Sophies Eizellen und Marcos Samen nicht in Stimmung.
Die Beziehung leidet. Wie soll es weitergehen? Für Sophie ist klar, dass sie Marco «freigeben» muss, wenn er unbedingt Kinder haben möchte. Trennungsgespräche werden Realität.
Selbstzweifel, Hass, Schuldgefühle setzen den beiden gleichermassen zu. «Ich kann schwer in Worte fassen, was da in einem vorgeht, wenn man andere Schwangere sieht. Das löst so viel Selbsthass auf den eigenen Körper aus», sagt Sophie. «Jeder Geburtstag war die reinste Qual. Immer mehr verschwindet die Hoffnung auf ein Kind.»
Die Fruchtbarkeit beginnt bereits im Alter von 26 Jahren zu sinken. In der Schweiz sind Frauen bei der Geburt des ersten Kindes durchschnittlich 31 Jahre alt – und gehören somit zu den ältesten Müttern in Europa. Bei einem höheren Alter der Frau kann in der Schweiz eine Insemination in Anspruch genommen werden. Dabei werden die Samenzellen des Mannes direkt in die Gebärmutter der Frau übertragen.
Marco überlässt Sophie die Entscheidung, ob sie dies über sich ergehen lassen möchte. Denn der Beitrag des Mannes ist bloss Selbstbefriedigung.
Dreimal beansprucht das Paar die künstliche Besamung, welche von der Krankenkasse übernommen wird. Ohne Erfolg.
Nach den erfolglosen Versuchen wird dem Paar ein Wechsel zu einer anderen Reproduktionstechnik empfohlen.
Die beiden stehen vor so vielen Fragen, dass der Entscheidungsprozess sie beinahe ohnmächtig macht: Wie weit sollen wir gehen? Wie weit darf man überhaupt gehen? Wann greift man zu fest ein? Was steht uns zu? Sind wir überhaupt bestimmt füreinander?
«Ich habe mich oft gefragt, ob uns die Natur damit sagen will, dass wir genetisch nicht zusammenpassen und einen Schlussstrich ziehen sollten», sagt Sophie. Zu Beginn hat die Ökonomin und Juristin eine künstliche Befruchtung ausgeschlossen. Lange empfindet sie den Vorgang als zu grossen Eingriff. Marco ist hin- und hergerissen. Er überlässt die Entscheidung nach wie vor seiner Frau.
Zufällig stösst Sophie auf ein Video von Michelle Obama. Für Sophie eine Frau mit den perfekten Werten – «eine Halbgöttin». Darin offenbart Obama, dass auch sie Probleme hatte beim Kinderkriegen und es letztendlich mittels einer künstlichen Befruchtung doch noch geklappt hat.
Für das Paar ein höheres Zeichen.
«Wir dachten uns: Wenn die Obamas es für richtig empfinden, eine künstliche Befruchtung in Anspruch zu nehmen, dann muss es ethisch korrekt sein», erzählt Sophie.
Die Entscheidung ist gefällt – nach fünf Jahren unerfülltem Kinderwunsch. Das Paar wählt nicht die klassische Befruchtung, sondern eine natürlichere Variante namens IVF-Naturelle.
IVF heisst In-Vitro-Fertilisation und bedeutet so viel wie Befruchtung im Glas. Bei der Behandlungsmethode IVF-Naturelle wird der Frau im Gegensatz zur klassischen Variante nur eine Eizelle entnommen, die anschliessend mit der Samenzelle des Partners befruchtet und in die Gebärmutter eingesetzt wird.
Der Grund: ethische Bedenken. «Mit der klassischen IVF-Befruchtung hatte ich etwas Mühe. Der Frau werden in der Regel 10 bis 12 Eizellen entnommen und befruchtet. Doch nur eine wird eingesetzt, die restlichen werden eingefroren», erklärt Sophie. Zudem benötigt man beim Abzupfen der Eizelle beim natürlicheren Verfahren keine Sedierung oder Vollnarkose.
Die Behandlungsmethode liefert noch mehr Vorteile. «In vielen Fällen funktioniert eine IVF-Therapie auch mit weniger Aufwand und Hormonen», sagt Prof. Dr. med. Michael von Wolff von der Frauenklinik des Inselspitals Bern. Der Chefarzt der gynäkologischen Endokrinologie und Reproduktionsmedizin hat die Technik 2009 in die Schweiz gebracht. Jährlich führt er rund 500 IVF-Naturelle-Behandlungen durch. Die Kosten pro Behandlungszyklus: 2500 Schweizer Franken.
Gesamthaft sind in der Schweiz 2021 über 2400 Kinder mittels künstlicher Befruchtung zur Welt gekommen. Die Zahl steigt jährlich. Der Hauptgrund ist Unfruchtbarkeit. Männer sind häufiger davon betroffen als Frauen. Die Kosten für eine künstliche Befruchtung müssen Paare selbst übernehmen.
«Glücklicherweise waren wir finanziell in der Lage, die Kosten für eine künstliche Befruchtung aufzubringen», so Marco.
Doch auch eine künstliche Befruchtung ist noch lange keine Garantie für ein Kind. Das erfahren auch Sophie und Marco.
Warum es bei den beiden einfach nicht klappt, darauf hat niemand eine Antwort. Innerlich haben die beiden den Traum vom Kind schon abgehakt. Damit sie sich nicht vorwerfen müssen, nicht alles versucht zu haben, nimmt das Paar einen letzten Anlauf.
Eine letzte künstliche Befruchtung. Noch einmal IVF-Therapie. Den Entscheid werden sie nicht bereuen.
«Fassungslos schaute ich einige Wochen nach der Behandlung auf den positiven Schwangerschaftstest», erinnert sich Sophie. «Wir hätten wirklich nicht mehr damit gerechnet.»
Doch letztendlich hat es auch zwischen Sophies Eizelle und Marcos Samen noch gefunkt. Sophie scherzt: «Vermutlich hat meine schroffe deutsche Eizelle die Spermien vom unaufdringlichen Schweizer immer etwas abgeschreckt.»
*Die Namen sind zum Schutz des Kindes geändert worden.
Wenn ihr das Bedürfnis habt einem Paar die nervige „Und? Wann ist es bei euch endlich soweit?“-Frage zu stellen dann lasst es einfach bleiben. Wenn diese Menschen das Bedürfnis haben mit euch über ihre Fortpflanzung zu reden werden sie es von sich aus tun.
Wir mussten nach rund drei Jahren, inkl. 3 Inseminationen und 3 In-Vitros akzeptieren, dass wir zu zweit bleiben. Es hat etwas gedauert, aber mittlerweile sind wir glücklich.
Wir sind mit dem Thema zwar sehr offen umgegangen, die ständige Nachfrage "wanns denn soweit ist" tat trotzdem jedesmal weh. Und dann häufig noch "Ja aber was ist denn mit Adoption?"
Bitte lasst diese Sätze einfach sein! Glaubt mir, man hat sich darüber Gedanken gemacht! Und ist eventuell zum Schluss gekommen, dass man eigene Kinder möchte!