Sie ist stur, gradlinig, furchtlos. Anti-mädchenhaft. Sie beherrscht den ökonomischen Einsatz weniger, dafür knallhart perfektionierter Mittel auf dem Weg zu einem sehr, sehr grossen Ziel. Und nein, die Rede ist nicht von Greta Thunberg, sondern von Arya Stark. Dem Mädchen mit dem schlanken Schwert, das sich allem verwehrt, was an Erwartungen und Konventionen so an sie herangetragen wird. Arya weiss, was sie will: Nicht das, was alle andern wollen. Arya und Greta könnten Schwestern im Geist und im Trotz sein.
Und irgendwie geht es in «Game of Thrones», der amtierenden Serie aller Serien, ja auch um eine Klimakatastrophe. Nicht um eine Überhitzung, sondern um eine drastische Unterkühlung des Planeten. Oder hab ich das falsch verstanden mit dem «Winter is coming»?
Nicht absichtlich natürlich, aber vielleicht wurde ihr der Weg zum Erfolg im kollektiven Unterbewusstsein mitgeebnet. So, wie sich viele Amerikaner dank Präsident David Palmer in der Serie «24» plötzlich einen afroamerikanischen Präsidenten vorstellen konnten. Die Populärkultur kann sowas. Wenn sie kühn ist. Wenn sie was wagt.
Wenn es nach mir ginge, müsste Arya im Finale von GoT den Eisernen Thron erklimmen. Wieso nicht zusammen mit Yara Greyjoy, Königin der Eisernen Inseln? Der Name Yara ist ja nicht nur ein Anagramm von Arya, nein, Yara, die pansexuelle Kriegerin, die Frauen wie Männer verschlingt, ist ja auch sowas wie die erwachsenere Arya. Eine ruchlose Kampfmaschine mit Führungsqualitäten, den Männern in allem ebenbürtig, sexuell vollkommen frei, von keinem Reproduktionsgedanken belästigt.
Angenommen, die beiden würden das erste lesbische Royal Couple der Seriengeschichte, so gäbe es natürlich nur eine, die sie zu ihrer wichtigsten Beraterin machen müssten: Die Ritterin Brienne of Tarth, so gross, wie Arya klein ist, stärker als alle aus der Stark-Dynastie, eine Riesin an Loyalität und Gerechtigkeitsempfinden mit einem sentimentalen Hang zu kleineren, einhändigen Herren (aka Jamie Lannister).
Allerdings stehen die Wetten in Sachen GoT-Frauenpaar gerade auf Yara und Ellaria Sand aus dem erotomanen Fürstenturm Dorne. Im klimatisch mild bis heissen Dorne haben sich nämlich restlos alle furchtbar gern, und uneheliche Bastard-Kinder werden fast besser behandelt als der ehelich gezeugte Nachwuchs, weil sie schliesslich Früchtchen lodernder Leidenschaft und nicht biederer Beischlafpraxis sind. Ein äusserst hedonistisches, dekadent schillerndes Gesellschaftsmodell.
Der Wille zum aufgesexten Mittelaltermarkt-Ausverkauf schien mir offensichtlich. Mehrere Staffeln lang verschob ich deshalb die Sichtung auf eine Zeit jenseits von Jetzt. Aufs Altersheim zum Beispiel, wo ich mich dereinst auf den irrsten Binge-Watching-Trip meines Lebens begeben werde. Nun, ich hatte mich geirrt. Natürlich ist GoT unwiderstehlich. Denn GoT ist das beste Königsdrama seit Shakespeare.
Da ist die inzestsüchtige Cersei Lannister, die auch schon mal ungerührt ein Kind opfert. Oder Aryas grosse Schwester Sansa Stark, die als naive Prinzessin ins GoT-Abenteuer ging und seither mehrere sadistische Männer überlebt und erledigt hat. Und schliesslich Daenerys Targaryen, die «Mother of Dragons», die keine Kinder, sondern drei Drachen ausbrütete, mit deren Hilfe sie Heere zusammen ramüsierte. Dies stets unter dem Vorwand, Unterdrückte zu befreien und Revolutionen anzuzetteln, in Wahrheit jedoch, um immer mächtiger und – so scheint es vor der letzten Staffel – unbesiegbar zu werden.
An ihrer Seite: die befreite Sklavin Missandei, die einem von vielen kastrierten Männern (auf jede vergewaltigte Frau kommen in GoT mehrere Kastraten. So wie auf jeden wahnsinnigen Ramsay Bolton eine mindestens so wahnsinnige Lysa Tully kommt) beibringt, dass einer Frau die orale Befriedigung mindestens so viel Spass macht wie die konventionelle Penetration. Während wiederum der adelige Jon Snow schon vor dem ersten Sex so gut erzogen ist, dass er die wilde Kriegerin und Rammlerin Ygritte in der Thermalhöhle auch erstmal mit einem Blow Job beglückt, bevor er überhaupt nur an sich denkt. Herzig.
Nicht ein «Lagerfeuer» etwa wie die TV-Institution «Tatort», um das sich alle versammeln, schon eher ein Weltenbrand. Randvoll mit Intrigen, Erotik, menschlichen und fantastischen Bestien allerlei Geschlechts, primitiv, erhaben, wundervoll.
Und ebenso voller Menschen, die nicht nur auf der Suche nach dem Thron, sondern genauso nach sich selbst sind. Quasi nach dem Gral der Identitätsfindung. Cersei und Daenerys dürften ihn gefunden haben, Figuren wie Arya, Yara, Brienne und Missandei können wir noch begleiten (und ein Heer von ihnen ebenbürtigen Herren). Was für ein Privileg.
Ayra hat kein Schwert aus valyrischem Stahl. Lediglich den Dolch, mit dem Brann einst hätte getöt werden sollen. Ihr Schwert Nadel ist aus herkömmlichem Stahl gefertigt.
Klugscheisser Modus off
Bild, verschwinde!