Die eine Ohrfeige beschäftigt ganz Deutschland. Die andere die ganze Welt. Der Tiktoker und «arbeitslose, halbstarke Möchtegern-Rapper» (Amira Pocher) Fat Comedy haut am Rande eines Boxkampfes in der Dortmunder Westfalenhalle Oliver Pocher von seinem Stuhl. Etwas mehr als 24 Stunden später schlägt Will Smith während der Oscarverleihung in Los Angeles den Comedian Chris Rock ins Gesicht. Und die Welt fragte sich: Sind prügelnde Männer jetzt im Trend?
Will Smith verteidigt seine Frau gegen einen geschmacklosen Witz. Fat Comedy verteidigt einen Deutschrapper, der angeblich eine Frau vergewaltigt haben soll, sowie die Deutschrapszene im Allgemeinen. Rapper wie Szene wurden schon von Pocher hart gedisst. Will Smith entschuldigt sich. Fat Comedy entschuldigt sich nicht.
Oliver Pocher kriegt einfach aufs Maul von Fatcomedy pic.twitter.com/YlbKui7zIF
— zeldaking🪅 (@Zelda_king13) March 27, 2022
Beiden geht es angeblich darum, die «Ehre» anderer zu verteidigen. Beide begreifen sich in diesem Moment als starken Mann, der sich gegen ein Unrecht auflehnt. Beide haben nicht nachgedacht, sondern einfach mal zugeschlagen. Beide haben was gemacht. Sind handfest geworden. Handgreiflich auch. Waren spontan. Nicht überreflektiert woke-verweichlicht. Eher «Game of Thrones»-mässig konkret. Latent prä-zivilisiert. Pubertär auch.
Fat Comedys Schlag war, das sieht man im Video nur zu gut, dann doch nicht ganz so spontan, sondern entsprang offenbar einem saublöden Plan, sonst gäbe es den hysterisch lachenden Menschen nicht, der das Video gedreht hat. Auch bei Will Smith fragte man sich kurz, ob das nicht alles inszeniert war, um den Oscars den Aufmerksamkeits-Boost zu geben, den sie endlich wieder brauchten.
Smith hätte das auch mit Worten lösen können. Es wäre feiner gewesen, gentlemenlike, er wäre cooler dagestanden am Ende. Jetzt wird darüber diskutiert, ob seine Karriere mit seinem ersten Oscar nicht auch bereits wieder am Ende ist. Und ja, auch wir sassen elektrisiert vor dem TV und wussten: Diese Oscarnacht wird Quote machen.
Jetzt fällt ausgerechnet Smith, der sich als Rapper einst das Fluchen verbat, weil er es besser machen wollte, ins Güllenloch der toxischen Männlichkeit. Und da gibt es nun zwei Interpretationsschienen, die einander zwar widersprechen, aber dennoch fast parallel in die gleiche Richtung laufen. Sie führen direkt zur wiederbelebten Männlichkeit in Zeiten des Krieges.
Denn erst jetzt lernen wir Emmanuel Macron im Hoodie und mit Dreitagebart kennen – aus Solidarität mit Selenskyj. Erst jetzt erfahren wir, dass Elon Musk gerne Putin im Zweikampf um die Ukraine gegenübertreten möchte. Putin auf einem Bären. Musk mit einem Flammenwerfer. Man muss da unweigerlich an die Drachen aus «Game of Thrones» denken.
I see you are a tough negotiator!
— Elon Musk (@elonmusk) March 15, 2022
Ok, you can have 10% more pay per view money. pic.twitter.com/Nrbkz9IsTP
Die einen finden es degoutant, dass Will Smith direkt im Anschluss an die Schweigeminute für die Ukraine zuschlug und haben Bilder von russischen Angriffen im Kopf. Nun ist eine Ohrfeige bei allem Gewaltpotential, das sie beinhalten mag, nicht direkt mit einem Krieg vergleichbar, in dem Städte zerstört und Leben ausgelöscht werden. Eine Ohrfeige erniedrigt und tut weh und kann durchaus zum Arsenal häuslicher Gewalt gehören, das ist wahr. Aber eine Ohrfeige tötet nicht.
Damn. Macron bringing some startup hoodie culture to the president level. pic.twitter.com/wdTuWYl6pF
— Millennium Falck (@MillenniumFalck) March 15, 2022
Die anderen finden es super, dass echte Männer Konflikte jetzt wieder mit Fäusten regeln. Und dass einer seine Frau im Nahkampf verteidigt. Aus eigener Kraft. Ex-«Bild»-Chef Julian Reichelt, der angeblich Scheidungspapiere gefälscht haben und seine eigene Frau mehrfach mit jungen Mitarbeiterinnen betrogen haben soll, sieht sich im «Team Will Smith». «Ein Mann sollte seine Frau verteidigen dürfen, wenn jemand Witze über ihre Krankheit macht und sie vor Millionen Menschen blossstellt. Aber weil wir nicht mehr sehen wollen, dass es Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt, sehen wir auch das nicht mehr», schreibt er auf Twitter.
Ein Mann sollte seine Frau verteidigen dürfen, wenn jemand Witze über ihre Krankheit macht und sie vor Millionen Menschen bloßstellt. Aber weil wir nicht mehr sehen wollen, dass es Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt, sehen wir auch das nicht mehr. #TeamWillSmith
— Julian Reichelt (@jreichelt) March 28, 2022
Und weiter: «Und wenn ein weisser (gar alter) Mann eine schwarze Frau bei den Oscars so geschmacklos beleidigt hätte, würde die Identitätspolitik hier genau in die andere Richtung umschlagen und die ganze Welt wäre #TeamWillSmith.» Nein. Geschmacklosigkeit hat keine Hautfarbe. Und so bauchgefühlmässig nachvollziehbar Will Smiths Reaktion im ersten Moment war, man fände sie nach einmal darüber schlafen auch nicht besser, wenn statt Chris Rock Anthony Hopkins oder Steven Spielberg auf der Bühne gestanden hätte.
Ein Mann, der mit Körpereinsatz seine Frau verteidigt, ist auch ein Mann, der sein Haus, seine Familie, seine Stadt, sein Land verteidigt. Und sich nimmt, was ihm zusteht. Menschlich oder materiell. So will es das Museum der Männermythen. So will es die von einem halbnackt auf seinem Pferd reitenden Mann aus der Balance gebrachte Gegenwart.
Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis Wladimir Putin Will Smith von Mann zu Mann gratuliert. So, wie Putin auch schon J.K. Rowling mit Russland verglichen hat – beide seien Opfer der Cancel Culture. Rowling antwortete Putin mit: «Kritik an westlicher Cancel Culture wird möglicherweise nicht am besten von denjenigen geübt, die derzeit Zivilisten wegen des Verbrechens des Widerstands abschlachten oder die ihre Kritiker inhaftieren und vergiften.»
Critiques of Western cancel culture are possibly not best made by those currently slaughtering civilians for the crime of resistance, or who jail and poison their critics. #IStandWithUkraine https://t.co/aNItgc5aiW
— J.K. Rowling (@jk_rowling) March 25, 2022
Perfid ist nur, dass Will Smith mit seiner archaischen Aktion, ausgerechnet jenem Menschen am meisten geschadet hat, den er vor Unbill beschützen wollte. Seiner Frau. Die ganze Welt diskutiert jetzt ihre Krankheit, ihre Liebhaber, ihre Drogenvergangenheit. Ihr Mann hat sie mit einer unbedachten Watsche in die grell ausgeleuchtete Arena der Öffentlichkeit katapultiert. Genützt hat seine Aktion einzig den hungrigen Löwen der Medien. Sonst niemandem.
Ach ja, ein Land gibt es, da treffen sich Männer freiwillig zu Ohrfeigen-Fights. Da ist das schon länger im Trend. Es heisst Russland.
Auf dieser Vorlage einen Artikel über "die wiederbelebte Männlichkeit" zu schreiben, finde ich dann doch etwas weit her geholt.
"Früher" hätte man die Aktion von Smith beschrieben als "Der andere hat ihn wohl beleidigt, darum hat er ihm eine gezimmert". Die Diskussion wäre damit erledigt gewesen.
Die Aktion von Fat Comedy finde ich dagegen extrem unmännlich. Er haut ohne Vorwarnung auf ein wehrloses (da unvorbereitetes) Opfer ein. Er tut es auch weder für sich, noch für eine Frau, sondern für einen Kumpel. Warum? Weil dieser ein Schwächling ist?
Jemandem einfach mal so eine Ohrfeige geben ist eine Straftat !
Körperverletzung.
Stürzt das Opfer dabei blöd kann es für denjenigen der Ausgeteilt hat auch ganz übel ausgehen !
Ich hoffe so etwas lernt man auch an der Schule ....gerade in Zeiten wo das Vermehrt am TV zu sehen ist....
Wir leben nicht mehr im Mittelalter.
Das Faustrecht gilt nicht mehr - zum Glück !