Die Josefwiese ist quasi mein Garten. Für die, die Zürich nicht kennen: Die Josefwiese ist, wie der Name vermuten lässt, eine Wiese – mitten in der Stadt. Sie ist nicht besonders krass schön. Sie ist eher, sagen wir, cool.
Das Publikum ist sehr gemischt. Viele Hipster mit ihren Kartoffeln, die dann alle Yuna, Henry, Kosmos oder Goa heissen, belagern am Wochenende die Plätze unter den Bäumen.
Dann sind da noch die Körper-Künstler. Sie spannen Seile zwischen Bäume und machen Kunststücke. Oder sie tanzen ihre Namen.
Menschen, die viele Drogen nehmen, hat es auch. Die spielen manchmal Boccia. Oder reden allesamt aneinander vorbei. Vielleicht sind das aber auch keine Menschen, die viele Drogen nehmen, sondern hundskomune Hipster. Oder beides.
Und dann sind da noch ganz viele normale Zürich-Menschen, die sich auf der Wiese tummeln und Ausschau nach Menschen halten, mit denen sie sich paaren können.
Vor ein paar Tagen jedenfalls packe ich meinen E-Reader, mein Tüechli und meine Sonnencréme ein, um mal wieder biz in «meinem Garten» zu chillen. Lust auf Gesellschaft hab ich nicht. Hab immer noch biz Herzschmerz und will drum alleine mit Buch, Musik und meinem Elend sein.
Ich liege nicht lange da, als ein Mann und eine Frau, ich schätze die beiden um die 30, neben mir Platz nehmen. Sie ist sehr dezent geschminkt, trägt ein hübsches langes Sommerkleid, ihre Haare hat sie zu Beachwaves frisiert. Sieht alles sehr zufällig und spontan aus. Was es nicht ist. Frauen wissen, was ich damit meine.
Anyhow.
Der Typ trägt Bermudas, ein weisses T-Shirt und gelbe Sneakers. Sieht alles sehr zufällig und spontan aus. Was es sicher auch ist.
Item.
Die beiden sitzen so nah bei mir, dass ich jedes Wort verstehen kann. Und da das so ist, will ich auch jedes Wort verstehen. Weil: Das hier, das ist ein Date. Das merke ich enorm schnell. Ich tippe auf Tinder. Sie findet, er sieht auf den Fotos ganz anders aus. Und auch er sagt, dass er sich sie anders vorgestellt hat.
Wie denn, will sie wissen.
«Weiss gar nicht so recht, vielleicht etwas kleiner …». Sie lacht und sagt: «Ich dachte dafür, dass du eher Typ Muskelpaket bist.» Er lacht, sie auch. «Enttäuscht?», fragt er. «Im Gegenteil», sagt sie.
Von mir aus können sich die beiden jetzt schon das Ja-Wort geben und dann nach Hause gehen, um noch eine Yuna oder einen Henry zu produzieren. Die Spielwiese braucht schliesslich Nachwuchs.
Sie reden nun über ihre Jobs. Ich glaube, dass sie das machen, weil man das halt so macht. Sie erzählt, er fragt nach (Bravo!) und umgekehrt. Viel auffälliger aber finde ich die Blicke, die sie tauschen. Immer wieder schauen sie sich an, halten inne und kichern.
So. Herzig. Hey.
Ob sie was trinken will, fragt er. «Ein Bier wäre cool», sagt sie. Er sagt, dass er ihr gerne eins holt. Ob es noch was zu essen sein darf. Oder ein Glacé. Sie bleibt beim Bier. Während er über die Wiese läuft, schaut sie ihm zufrieden hinterher.
Dann holt sie ihr Handy heraus, tippt recht schnell, lächelt, packt das Handy wieder weg.
Zwischenbericht an die Freundinnen. Jede Wette. Machen wir auch immer so.
Dann kommt er auch schon wieder zurück. Er hat zum Bier Nüssli, Kuchen und Schokoriegel dabei. Held.
Die beiden werden lockerer. Ihr Gespräch ist im Flow. Sie lachen und kommen sich immer näher. Die zufälligen Berührungen sind schon lange nicht mehr zufällig. Der Blickkontakt immer länger und mutiger. Sein Sprechtempo nimmt etwas zu. So wie die Dramatik seiner Geschichten.
Er will sie beeindrucken und sie lässt sich beeindrucken.
Läuft bei denen. Sehr schön. Wirklich. Dass ich die zwei unter meiner Sonnenbrille beobachte und belausche, merken sie nicht. Oder es ist ihnen egal. Spricht beides sehr für sie.
Irgendwann liegen sie nebeneinander. Sie erzählen sich jetzt, was für Formen, Gestalten und Muster sie in den Wolken erkennen. Er sieht Drachen, sie etwas von Harry Potter, das ich nicht kenne.
Eine Stunde später liegt sie auf seinem Oberarm. Und streichelt dabei ganz fein seinen Unterarm.
Finde das hier besser als jede Netflix-Weihnachtsschnulze.
Nun fragt mich ein Typ, ob da bei mir auf der anderen Seite noch frei ist. Es ist. Der Typ hat einen Buben dabei. Der ist eventuell 4. Oder 6. Keine Ahnung. Bin nicht so gut im Kartoffeln Schätzen. Er kann jedenfalls easy gut skaten. So wie sein Dad. Beide sind sie mit dem Skateboard gekommen. Zwei Männer, zwei Bretter, weit und breit keine Mama.
Schnell wird klar: Der Papa und die Mama sind getrennt. Was der Bub denn an diesem Papa-Wochenende alles machen will, fragt der Skater-Dad.
Skater-Dad. Es ist, wie es ist. Ich finde Skater-Dad wahnsinnig heiss. Und da mich das Date zu meiner anderen Seite gerade in hochromantische Stimmung versetzt hat, würde ich am liebsten den Abend mit Skater-Dad und Skater-Kartoffel beim Brötlen im Wald verbringen.
Nach der Max-Geschichte aber weiss ich: Ich muss weg hier. Mich selber aus der Schusslinie nehmen. Einerseits für mich selber, andererseits wegen dieser Kolumne. Sind wir ehrlich: Noch eine Max-ähnliche Geschichte und ihr schickt mir Asbest per Post. Das wollen wir ja nicht. Die Post hat schon andere Probleme. Hab neulich eine Doku über das Darknet gesehen und erfahren, dass die Post täglich enorm viele Drogenpakete ausliefert.
Ich schweife ab. Und dann haue ich ab. Schnell nach Hause in Sicherheit.
Paar Stunden später radle ich an genau der Stelle vorbei. Der heisse Dad ist weg (gut so!), das Wahrscheinlich-Tinder-Paar ist noch da. Es knutscht enorm wild herum (sehr gut so!).
Lächelnd entscheide ich, dass auch ich mich bald mal wieder in den Dating-Dschungel trauen will.
Vielleicht schreibe ich vorher husch Suff-SMS-Sandro*. Oder auch nicht.
*Update nach vier Stunden Bar-Tour und einigen - vielen - Drinks: Ich hab Suff-SMS-Sandro geschrieben. Was ich genau geschrieben habe, weiss ich nicht. Ich hab die Nachricht sofort wieder gelöscht. Suff-SMS-Sandro hat mit einem Selfie geantwortet. Auf dem er mir seinen Mittelfinger zeigt. Er hat einen guten Mittelfinger, dieser Suff-SMS-Sandro.
Adieu,
Evt. reicht die Zuverlässigkeit und das Verantwortungsgefühl für eine Katze.
Für das Paar freue ich mich aber sehr!