Ich weiss nicht, warum Paare ständig andere Paare zum Znacht einladen und ich weiss auch nicht, in welchem Alter das anfängt. Ich weiss nur, dass ich das irgendwie verpasst habe, weil ich in meinen Dressigern vor allem Single war und das Glück hatte, meine Freitag- und Samstagabende entweder in aller Freiheit in zerrissenen Leggings vor dem TV oder mit zerrissenen Höschen nach Outdoor-Sex auf den Tanzflächen dieser Stadt zu verbringen.
Jetzt bin ich nicht mehr solo und muss Znacht essen. Bei Verwandten, potentiellen Schwiegereltern, liierten Freunden und bei Vorgesetzten.
Neulich zum Beispiel bei Suff-SMS-Sandros Boss. Der geht auf die 50 zu. Sei saucool, sagt Sandro ständig. Ein Filou. Kein Wunder, verstehen sich die beiden auch privat so gut.
Er würde mich sicher lieben. Und noch sicher anbaggern, sagt Sandro, als wir auf dem Weg zu dieser Zürichberg-Villa sind, in der der Boss-Mensch mit seiner, logisch, viel jüngeren Partnerin lebt.
Ich hasse es jetzt schon. Einfach, weil der Gastgeber ein Boss ist. Und ich einen mir unerklärlichen Boss-Komplex habe. Als Kind habe ich meine Lehrer in den Wahnsinn getrieben. Das war super. Ich war sehr frei von Respekt gegenüber Autoritätspersonen.
Später dann, als ich Vorgesetzte hatte, mutierte ich zum Mäuschen. Dabei waren die meisten Chefs easy, nett, kulant. Ausser der eine. Mit dem ich schlief. Aber das ist eine andere Geschichte. Der Sex aber war super. Vielleicht grad weils der Boss war.
Wie auch immer.
Als wir die Villa betreten, fühle ich mich schon deplatziert. Hier stehen nur die allerkrassesten Designer-Möbel auf Marmor-Boden (hässlich) rum. Hier kostet nur schon das winzige Möbel neben dem riesigen Designer-Sofa 1000 Stutz. Die Lampe im Wohnzimmer knapp 10’000 und die schwarze Lederliege rund 6000 CHF, sagt Google.
Ausserdem stehen hier so riesige Panther aus Glas herum. Auf dem Boden derweil liegen grosse Kuhfell-Teppiche.
Warum?
Der Boss trägt eine wirklich sehr gut sitzende Jeans, dazu kombiniert er einen dunkelblauen, sauteuren Pulli. Sein Küken trägt hohe Haken. Sie kichert viel. Ich kichere nicht. Ich lache auch nicht. Ich sage nicht mal was ausser «Hallo, ich bin Emma».
Der Chef umarmt mich und führt mich ins riesige Esszimmer. XXXXL-Tisch, drumherum 16 (!) Stühle. Was ich trinken will. Ich stammle was von Wasser. Ob mit ohne Sprudel sei egal.
Der Boss lässt mich nicht los.
Er habe schon viel von mir gehört. Sandro blühe regelrecht auf seit ich da bin. «Und jetzt, da ich dich sehe, kann ich das bestens nachvollziehen». Ich finds unangenehm. Die Boss-Lady kichert weiter. Die scheint sich sowas gewohnt zu sein.
Irgendwann winde ich mich aus diesen zwar sehr sexy, aber mir fremdem Armen raus. Nach einem Apéro, ich hab den Drink etwas zu schnell runtergespült, gehts mir besser. Ich antworte nicht nur in Fragmenten und wage auch mal ein Lachen. Und das, obwohl die hier über Themen reden, von denen ich gefühlt NULL Ahnung habe. CS-Drama, die WM in Katar, Autos.
Sandro schlägt sich krass gut. Dass er null Plan von Autos hat und sich null dafür interessiert, merkt man nicht mal dann, wenn man es weiss.
Jetzt gehen Sandro und die Boss-Lady rauchen. Der Boss und ich bleiben im Wohnzimmer sitzen. In die Küche muss er nicht. Die haben da tatsächlich einen Koch angeheuert, der uns heute einen Sieben-Gänger zaubert. Proleten halt!
Der Boss rückt etwas näher. Jetzt, mit 2 Cüpli intus merke ich erst, wie heiss er wirklich ist. Dass er es ist, hab ich schon an der Haustüre geschnallt, aber dieses Gesöff macht alles nur fataler.
Er lächelt mich an. Ich lächle zurück.
Peinliche Stille.
Ich habe absolut keine Ahnung, was ich sagen soll und worüber man mit so einem Boss/Glaspanther-Halter spricht.
Also lächle ich weiter und nippe am Glas.
So tuts auch er.
Da ist er wieder. Dieser Boss-Komplex. Fuck you.
Irgendwann kommen Sandro und die Blondine zurück. Ich weiss, dass er sie heiss findet und er weiss, dass ich den Boss heiss finde. Wir quittieren diesen Fakt mit einem Lächeln.
Guter Sandro.
Irgendwie bringen wir dieses Dinner hinter uns. Und verlassen die Zürichberg-Villa kurz nach Mitternacht. Gut angetrunken steigen wir ins Uber, wo er mich, wie in guten alten Zeiten, so gekonnt fingert, dass ich irgendwo zwischen Bellevue und Enge ganz leise komme.
Am Montagabend erzählt mir Sandro, dass mich der Boss «total heiss» findet. Aber ein bisschen «steif und unlocker». Den Abend fand er dennoch sehr stimmig und ist sich sicher, dass wir als Vierer-Combo gut harmonieren würden.
Ich habe Panik, dass er uns beim übernächsten Treffen in irgendeinen trümmligen Edel-Swingerclub einladen will.
Ob wir Mitte Januar Zeit für ein Essen im teuersten Restaurant Zürichs haben, will der Boss wissen.
Haben wir. Im Januar 2045.
Übrigens: Hier bei Watson ist Lina mein Boss. Bei Lina habe ich keinen Boss-Komplex. Müsste ich wirklich mal mit einem Boss in den Swingerclub, liebe Lina, wärst du meine erste, einzige und beste Wahl.
Gömmer?
Und nächste Woche: Taxifahrer erzählen von ihren Awkward Moments :D
habe das Talent, dann immer sehr unpassende Sachen zu sagen. Weil Small Talk ist nicht so meins, leider...