Kenny hat mich ja auf den ersten Buchstaben von sich überzeugt. Kenny ist der, dessen Mutter seine Tinder-Bio schrieb. Und als wir matchten neulich, da fragte er mich, ob ich das erste Kapitel unserer Geschichte schreiben will.
Als Mensch, der doch gerne schreibt und den eloquenten Mann auf Papier sehr sexy findet, war ich angetan. Kenny und ich fackeln nicht allzu lange und treffen uns genau drei Tage nach dem Match.
Wir verabreden uns an einer Bushaltestelle. Mit der Option, dass wir, wenn wir uns nicht sehr lässig finden, ohne viel Tamtam in den nächsten Bus steigen und wegfahren dürfen. Lieber so als gefangen in einer Bar, in der man eeeewig auf den Service warten muss, während man einfach nur weg weg weg weg will.
Menschen, die Dating-Apps benutzen, wissen, wovon ich rede. Die anderen dürfen happy darüber sein, dass sie es nicht wissen.
Zurück zu Kenny. Ich sitze also schon da auf dem Bänkli. Neben mir ein Psycho. Hab ein Händchen für Menschen, die grundlos Passanten (mich!) anschreien. Der Psycho warnt mich vor Molekülen. Okay.
Da kommt Kenny! Er winkt von Weitem schon sehr euphorisch und hüpft mir freudig entgegen. Unter all den Tinder-Matchos, die sonst immer versuchen, ultramännlich rüberzukommen, finde ich Kenny gerade sehr sympathisch.
Kenny umarmt mich sehr, setzt sich hin, zündet eine Zigi an. Dann fischt er aus seinem Gym-Bag zwei sehr hippe Drinks im Einmachglas raus. Super fancy. Von einem Pop-up-Store gleich da drüben. Voll angesagt. Von den ganz hippen Bar-Betreiben, sagt Kenny. Ich kenn' die Truppe nicht.
Wir plaudern ein bisschen über dies und das. Nein, Kenny plaudert. Über sein Atelier hier ganz in der Nähe. Im Raum nebenan haben die geilsten DJs der Stadt ihr Studio. Dann erzählt mir Kenny von seiner Wohnung. Ein Loft. Im, logisch, Industriequartier. Mit seinem grasgrünen Fixie ist er sehr schnell überall.
Zürich, findet Kenny, ist sowieso winzig. Als sehr metropolitaner und modebewusster Mensch hat Kenny schon in New York, Mailand, Tel Aviv und – logisch – Berlin gelebt. «Da lernst du dann, was Distanzen wirklich sind.»
Von Beruf ist Kenny übrigens Journalist. Viele glauben ja, dass auch ich eine Journalistin bin. Was ich nicht bin. Was ich manchmal schade finde. Weil ich mir eine Journalistin sexy vorstelle. Ich wäre gerne eine knallharte Reporterin, die enorm krasse Fälle aufdeckt, löst und dann der Polizei übergibt, um dann tagelang die Titelseiten zu füllen.
Aber eben. Ich bin keine Journalistin. Leider.
(Hey Mo, falls du Lust auf eine Quereinsteigerin hast, meine Nummer hast du ja? Zwinker-Zwinker-Hihihi!)
Kenny ist kein knallharter Reporter. Also so halbwegs. Er schreibt am liebsten über Finanz & Wirtschaft. Ich derweil hab null Plan von Finanz & Wirtschaft. Als Freelancer schreibt er für verschiedene Titel. Die meisten davon lese ich nie. Nicht mal im Flugzeug, wenn mir todlangweilig ist.
Er will eben über «Gescheites» schreiben, sagt Kenny. Über korrupte CEOs, Kryptowährungen und Ungerechtigkeiten im System.
Okay.
Er komme aber nicht immer voll und ganz dazu, zu recherchieren. Kenny hat eben nicht nur ein Loft, ein Fixie und ein Atelier, Kenny hat enorm viele Freunde. Da illegale Partys, hier Dachterrassen-Sausen und dort private Festchen auf privaten Segelbötchen.
Hier überlege ich mir, ob ich den nächsten Bus nach ganz egal wohin nehmen soll.
Ich bleibe sitzen. Irgendwie fasziniert mich Kenny. Weil er alles hat. Und alles kann. Und mir alles zu erklären weiss. Und weil er jeden kennt. Vielleicht öffnet er mir ja die Türen zu Ryan Gosling? Wenn nicht Kenny, wer dann?
Was er denn in seiner so raren Freizeit macht, frage ich. «Sauerteigbrot backen» und «ein Buch schreiben». Worüber er denn schreibt? «Mein Leben, also besser gesagt über meinen Werdegang, ein Ratgeber quasi.»
Ich lächle.
Kenny meints ernst. Er bräuche kein Studium, geschweige denn einen Bachelor oder Master, um viel Geld zu verdienen. Er könne auch mir zu Ruhm und Geld verhelfen. Leider aber, findet Kenny, verkaufen sich vor allem Frauen sehr schlecht im Business.
Wir können zu ihm ins Atelier, er kann mir ein Coaching geben. Und mich dabei filmen. Damit ich mal selber sehe, wie ich wirke. Dann Feinschliff, dann Reichtum, easy!
Ich lehne dankend ab. Und sage, dass ich mich langsam auf den Heimweg mache. Das sei grad gut, findet Kenny. Er müsse eben noch mit den mega geilen DJs vom Studio neben seinem Atelier an ein Opening von einem Irgendwas. Vielleicht, wenn wir uns mal besser kennen, stelle er mich all seinen Freunden vor.
Für mich ist grad gut.
Dann kommt der Bus. Eine flüchtige Umarmung und Tschüss. Ich überlege mir, ob alle Journalisten so sind? Sind sie? Seid ihr? Mo? Lina? Seid ihr die DJs?
Ein paar Tage später, ich habe keine Sekunde mehr an Kenny und sein ach-so-geiles-fancy Leben gedacht, vibriert mein Handy. «Hey, hast morgen schon was vor? Meine Kumpels vom xy-Kollekt feiern eine private Party in der Suite des XY-Hotels. Magst mitkommen? Fände es cool, dich noch einmal zu sehen. Du bist spannend.»
Hmmm.
Woraus Kenny wohl schliesst, dass ich spannend bin?
Ich kann mich nämlich auch nach reiflicher Überlegung nicht an mehr als die eine Frage erinnern, die er mir an diesem Abend gestellt hat. Und die war: «Wartest du schon lange?»
Also frage ich Kenny, was er denn spannend an mir findet.
Tagelang antwortet er nicht. Dann erscheint sein Name auf meinem Display. Ich bin sehr gespannt. Was ich dann aber lese, ist so viel besser als alles, womit ich gerechnet hätte:
«Hey Friends, da dä Link zu mim neuschte Projekt. Wenn dich regischtriersch, chunnsch extrem gheimi Infos und Iiladige zu dä härtischte Aläss und krassischte Partys national und international über. Mee Infos uf Bla Bla Bla. LG, K.»
Haha.
Adieu,
Hat bis heute seinen anteil an die stromrechnung nicht bezahlt.