Noch bevor meine Finger die Tastatur berühren, um diese Zeilen zu schreiben, habe ich Herzklopfen. Wegen Jan, dem Bergführer. Man darf sich jetzt den klischierten Bergführer vorstellen. Krasser Body. Dunkelblonde Locken, die ihm ins Gesicht fallen. Ein schönes Lachen. Lachgrübchen.
Wer jetzt nicht verliebt ist, hat kein Herz.
Ich jedenfalls habe ein Herz. Eines, das 1000 Mal über sich selbst stolperte, als ich Jan sah. Das war vergangenen Samstag auf irgendeinem Hügel hier in der Schweiz.
Jan musste neun Frauen den Berg hoch- und runter jagen. Ich war eine davon.
Wir sind hier, weil wir dieses Frauen-Yoga-Retreat gebucht haben. Meditieren, Yoga machen, wandern, lesen, gesund essen. Langweilig, ich weiss! Da mein Umfeld aber unisono fand, dass mir «sowas sehr gut tun würde», habe ich mich eingelassen und sehr viel bezahlt.
Hab dafür ein geiles Einzelzimmer. Das ich jetzt sehr gerne Jan zeigen würde.
Jetzt ist es aber so, dass die Gruppe hier viel Wert auf Gemeinschaft legt. Frauenpower statt Testosteron. Meditieren statt vögeln. Atmen statt stöhnen.
Nicht nur weil ich sehr viel lieber mit Jan den körperlichen Olymp statt den Berg hier erklimmen will, bin ich unglücklich. Mir ist in Gruppen nicht wohl. Man redet aneinander vorbei. Oder will lieber am Gespräch links teilnehmen, ist aber rechts mit der Gruppenlangweilerin beschäftigt.
Ines jedenfalls motzt ständig über ihren Mann. Kerstin hasst ihren Boss. Manuela sich selber. Ingrid ist derweil dauerübermotiviert. Mit Andrea und Simone rede ich nicht. Die haben null Interesse an anderen. Dann ist da noch die Yoga-Lehrerin Claire. Claire ist nett. Auch wenn sie bei jedem Atemzug theatralisch laut ein- und ausatmen muss.
Claire bemüht sich sehr, auch mich zum Atmen zu bringen. Beim Ausatmen soll ich Töne machen. Alles rauslassen. Ich kann mich dabei auch schütteln.
Gelingt mir nicht.
Zurück zu Jan. Ich will mich an seine Fusssohlen heften. Traue mich aber nicht. Hab Schiss vor all diesen Kerstins, Ines und Claires. Wir detoxen ja. Männerpause. Alkoholpause. Alles-was-Spass-macht-Pause. Uns wurde sogar ans Herz gelegt, das Handy daheim zu lassen. Habe ich getan und schon 8 Millionen Male bereut.
Also trotte ich hinter Jan her und blicke ihm dabei auf die Waden und auf den muskulösen Rücken. Dann haben wir Sex in meinem Kopf.
Jan erzählt irgendwas über Flora und Fauna. Dann geht es steil hoch. Ich bin ausser Atem. Die anderen hopsen wie Gazellen hoch.
Nun feuert mich Jan an und ich will sterben. Und/oder mit ihm schlafen.
Dann feuern mich alle an.
Es ist entwürdigend.
Irgendwann sind wir auf der Spitze. Alle geniessen die Aussicht. Nur ich sehne mich nach einem Sauerstoff-Zelt.
Jan findet, ich hätte es super gemacht. Er legt den Arm um meine Schultern. Ich bin elektrisiert. Und während ich so elektrisiert bin, kommt Kerstin, die ihren Boss hasst. Sie drängt sich nun zwischen Jan und mich und baggert ihn offensiv an.
Jan stellt sich dumm. Kerstin gibt nicht auf.
Dann kommts: Jan erzählt von seiner Frau und seinen Kartoffeln.
Adieu, (Sex-)Traum.
Jetzt aber, da Jan in die Ferne gerückt ist, kann ich easy sein. Immerhin. Kerstin hat sich ausgeklinkt.
Wir reden über dies und das und über Yoga und ich sage ihm, dass ich seit Jahren Yoga mache und es mag, aber alles drumherum doof finde. Dass ich nicht meditieren kann. Dass ich keine Freundin von Gruppen bin. Dass ich den Asphalt in der Stadt sehr viel lieber habe als all die Viecher hier in der Wiese. Ich rede und rede und Jan lacht.
Voll befreiend. Ich erzähle Jan fast mein ganzes Leben. Er hört zu und stellt Rückfragen und es ist toll. Die Friendzone ist vielleicht gar nicht so schlecht wie ihr Ruf.
Im Tal verabschieden wir uns. Ich gebe meinem neuen platonischen Freund ein High-Five.
Dann ist dieses Yoga-Retreat zu Ende. Gut so. Daheim angekommen, öffne ich meinen Laptop. Es macht «Bling, Bling, Bling». Sechs neue Mails. Eine Zahlungserinnerung von der Krankenkasse, ein paar mühsame Newsletter und dann ist da noch eine Mail. Von Jan. Mein Herz pocht.
Liebe Emma,
ich hoffe, du bist gut in der Zivilisation angekommen und hast den Duft des Asphalts tief durch deine Nase bis zu deinen Füssen geatmet, bevor du dann mit deinem Velo an allen Autos, Lastwagen, Trams und Bussen vorbeigefahren bist? Und damit mindestens den Zorn von drei anderen Verkehrsteilnehmern auf dich gezogen hast?
Ich hoffe, es ist in Ordnung, dass ich dir schreibe? Ich hoffe auch, dass es in Ordnung ist, dass ich dich gegoogelt habe? Bevor du nun denkst, dass ich ein übler Fiesling bin, der hier gerade seine Familie verrät, lass mich dir ein Geheimnis anvertrauen: Ich habe keine Frau und keine Kinder. Ich habe noch nicht einmal eine Zimmerpflanze, geschweige denn eine Katze. Ich hatte schlichtweg keine Lust auf Kerstin.
Was ich dafür habe, ist Interesse an dir. Deswegen frage ich dich: Gibst du mir noch eine Chance und lässt dich auf eine Wanderung zu zweit ein? Ich verspreche dir Bergzauber, der dein Stadtbeton-Herz zum Schmelzen bringen wird.
Dein Jan
Jan hatte diese Mail zwei Stunden nach der Wanderung abgeschickt. Ich hätte ihn also bereits am nächsten Tag treffen können. Ich habe also nicht nur 8 Millionen Mal bereut, dass ich das Handy daheim liess. Ich bereue es 8 000 001 mal sehr heftig!
Adieu.
Da habe ich lieber „kein Herz“, und kann nur Menschen mögen oder eine Bindung zu ihnen aufbauen, nachdem ich diese besser kenne. Auch Attraktivität erkenne ich erst, wenn ich eine Person besser kenne.
Aber gut sind wir alle verschieden.
Sonst würden „von der Allgemeinheit als weniger schön empfundene Menschen“, ja nur schwerlichst einen Partner finden können.
Solche Menschen wir Emma fragen sich sicher auch manchmal: „wie hat die nur so einen Kerl abbekommen“
Meine Antwort: Mit Herz.