Am Sonntag war Muttertag. Da haben mal wieder alle ihren Mamas mit herzzerreissenden digitalisierten Analog-Fotos auf Instagram gratuliert (obwohl die Mütter es da nicht sehen, weil die sind meist nicht auf Instagram).
In meinem Freundeskreis gibt es auch schon einige Eltern. Und was tun die Partner meiner Freundinnen? Sie posten ein Foto ihrer Liebsten mit dem gemeinsamen Baby, auf Instagram, auf Facebook, auf Twitter. Die ganze Welt soll die jungen Mütter und vor allem den süssen Nachwuchs bewundern.
Neulich öffnete ich Instagram und scrollte lethargisch über meinen Newsfeed, da sah ich: Ein nacktes, schutzloses Wesen, zerknautschtes Gesicht, Schläuche an der Brust, sein kleines Ärmchen in einen Gips gesteckt. Es handelte sich nicht um ein Unfallopfer, sondern um das Neugeborene eines Freundes. Dazu der Text: «Willkommen in der Welt, Jonas. Babys sind toll». Toll, auch für die Likes meines Freundes. 111 Personen gaben ihm ein Herzchen für das Foto und kommentierten mit «Glückwunsch!» und «Wie süss!».
Wenn ich so etwas sehe, läuft es mir kalt den Rücken herunter. Auch weil ich anderes erwartet hatte von diesem Freund. Wir hatten uns vor einiger Zeit sogar mal über Persönlichkeitsrechte unterhalten. Für sein Baby gelten diese anscheinend nicht. Ich weiss nicht, ob die Hormone mit einem durchgehen, wenn man ein Kind bekommt und man es einfach teilen MUSS, aber fast alle meine Freunde posten ihre Babys. Und ich denke mir jedes Mal: «Ihr wisst nicht, was ihr tut.»
Bloggerin Toyah Diebel kritisierte die Inszenierung von Kleinkindern bis vor Kurzem auf ihrem Instagram-Account. Ihre 35'000 Follower amüsierten sich über ihre Fotos, die sie von anderen Seiten kopierte um ihr eigenes Gesicht auf das Gesicht des Kleinkindes zu setzen. Das gab dem Bild oft eine absurde, lächerliche Note und hielt natürlich auch den Eltern einen Spiegel vor.
Am Anfang fand Toyah es nur witzig, das Instagram-Game durch den Kakao zu ziehen, doch dann sah sie immer mehr Fotos von Kindern, die ihrer Meinung nach wirklich nichts im Internet zu suchen hatten.
Noch schlimmer findet sie es (und ich stimme ihr zu), wenn Eltern ihre Kinder gezielt für Marketing missbrauchen, ohne dass sie das jemals hätten mit entscheiden können. Das fängt zum Teil schon vor der Geburt des Kindes an:
Toyah bekam täglich über 500 Nachrichten, auch von Eltern, die beschlossen, Bilder ihrer Kinder nicht mehr zu posten, nachdem sie sahen, was mit den Bildern passieren kann. Natürlich regten sich auch viele Eltern auf und fühlten sich beleidigt. Am Ende wurde Toyahs Account gesperrt, da zu viele Eltern sie wegen Missachtung von Bildrechten meldeten. (Leider können wir keine Fotos einfügen, weil wir sonst auch Bildrechte verletzten würden, aber glaubt mir: Die Fotos sind zum Schreien)
Die Kinder und Jugendlichen von heute sind die erste Generation, deren Aufwachsen komplett im Internet dokumentiert wird. Unter dem Hashtag #instakids gibt es 14,9 Millionen Beiträge. Noch extremer sind eigene Kinder-Accounts, mit denen sich Eltern nicht nur Likes abholen, sondern sogar richtig Kohle machen.
Rechtlich gesehen müssten Eltern ihre Kinder ab dem 14. Lebensjahr ausdrücklich fragen, ob sie ein Foto von ihnen verwenden dürfen. Aber auch Babys und Kleinkinder haben ein Recht darauf, dass ihre Persönlichkeitsrechte nicht verletzt werden, denn Kinder haben laut UN-Kinderrechtskonvention das Recht auf Privatsphäre.
Bevor sie 14 sind, sind Kinder ihren Eltern schutzlos ausgeliefert und müssen mit den Konsequenzen der Veröffentlichungen leben. Denn Kinder, die als Säugling im Internet landen, werden vielleicht später in der Schule damit gehänselt. Schlimmer wird es, wenn Fotos ungefragt auf Werbe- oder auf Pornoseiten landen. Ich frage mich was die ganzen Mami-Bloggerinnen denken würden, wenn sie wüssten, dass sich jemand zu ihrem Baby einen runterholt.
Laut Kinderhilfswerk sind in Deutschland derzeit vier Millionen Kinder und Jugendliche davon betroffen, dass Fotos von ihnen ins Internet gestellt werden – in aller Regel ohne deren Zustimmung, die nur knapp ein Drittel der Eltern einholt.
Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert allerdings nicht, Kinder aus dem Internet zu verbannen. Im Gegenteil:
Luise Meergans rät Eltern unter anderem sich zu fragen, ob die Fotos den Kindern später peinlich sein könnten. Und dass es besser sei, Kinder von hinten zu fotografieren oder nur ihre Hände und Füße abzubilden. Auch die Lösung vieler Bloggerinnen, die Gesichter ihrer Kinder mit Emojis zu verdecken, findet sie gut.
Wer jetzt denkt: «Du hast gut reden, du hast ja keine Kinder und weisst nicht wie man vor Glück und Mitteilungsbedürfnis platzt», dem entgegne ich: «Stimmt. Aber ich habe den süssesten Neffen der Welt. Trotzdem sind mir seine Sicherheit und seine Persönlichkeitsrechte tausendmal wichtiger als mein Komplimente-haschendes Ego.»
Und deswegen kommt er nicht auf Social Media. Auch nicht mit einem Smiley auf dem Gesicht oder umständlich von hinten fotografiert, denn das sieht einfach nur unheimlich aus und dann kann man es meiner Meinung auch gleich lassen.
Cool, die Kleine wurde nach nem Pornostar benannt.
Klar hat man in dem Moment den Wunsch der ganzen Welt mitzuteilen, wie toll doch das eigene Kind ist.
Die analogen Bilder, die von mir als Kind existieren, da kann ich entscheiden, wer die sehen darf, bei den digitalen, die auf den SM-Kanälen verbreitet werden, hat man keine Chance, egal wie gut die Privatsphäre Einstellungen sind.
Ich habe auf FB nicht mal die Schwangerschaft bekannt gegeben und damit zähle ich heute wahrscheinlich auch eher zur Ausnahme.