Eines Tages vor gut 20 Jahren beschloss Yannik Zamboni, dass es Zeit war. Er war 17, lebte auf dem Land im Baselbiet, dort, wo bei der Durchfahrt jedes Dorf noch kleiner ist als das letzte, dort, wo die Kirschblüten im Frühling eine zweite Schneeschicht auf die Wiesen legen. Dort also, wo Schwulsein nicht unbedingt das Naheliegendste war. Praktischerweise war seine Schwester da gerade 16 und schwanger und hatte dies den Eltern ebenfalls noch nicht gestanden. Die Geschwister traten also gemeinsam vor Mutter und Vater. Schwul und schwanger. Es änderte sich nichts. Die Zambonis waren schon immer eine gute Familie.
Heute trägt die ganze Familie Yanniks Mode. Jedenfalls die alltagstauglicheren Stücke. Eines davon, eine weisse Trainerhose mit grünen und grauen Flecken, die natürlich keine Flecken, sondern ein Print sind, trägt Yannik bei meinem Besuch in seinem Atelier. Das Grün ist politisch. Es ist 2022 anlässlich der New York Fashion Week in sein Design gekommen, das Grün war das Bekenntnis der Fashion Week zu den Protesten der Abtreibungsbefürworterinnen in Südamerika. Die Frauen trugen grüne Bandanas.
Doch grundsätzlich ist Yanniks Farbe Weiss. Alle möglichen Schattierungen von Weiss. Sein Label heisst maison blanche. Seine Haare und Brauen sind platinweiss gefärbt. «Meine Beziehung zu Farben ist eine sehr distanzierte. Ich arbeite grundsätzlich mit farblosen Materialien, weil ich mit Design, Silhouette, Schnitt überzeugen will, nicht mit einer schönen Farbkombination.» Und dazu: mit Haut. Er selbst trägt Tattoos, die seinen Prints ähneln. Und er liebt Nacktheit über alles.
Ein paar blutte Füdlis waren auch bei seinem Auftritt in «Germany's Next Topmodel» 2023 zu sehen, als er Heidi Klums Models in komplett gender-, aber eben auch hinternbefreite Outfits steckte, ihnen jeden Funken von femininem Catwalk-Gehabe abtrainierte und sie zu lebenden Skulpturen formte. Es war ein ausserirdischer Moment, in dem sie alles vergessen mussten, was sie bis dahin gelernt hatten.
Seine aktuelle Kollektion, die eben erst im New Yorker Club The Box Premiere feierte, ist eine Kollektion gegen sexualisierte Gewalt. Zwei Freundinnen haben ihn auf die Idee gebracht, eine war Survivor eines Angriffs, eine hatte einen sexuellen Übergriff erlebt, beide Fälle schafften es vor Gericht, beide blitzten ab. «Bei beiden hiess es: Hättet ihr eure Kleider nach dem Angriff nicht gewaschen, so hätte sich möglicherweise die DNA des Täters nachweisen lassen.»
Und: «Ihre Kleidung enthält wichtige DNA-Beweise. Waschen Sie dieses Kleidungsstück nicht, sondern stecken Sie es in eine Papiertüte und bringen Sie es zur nächsten Polizeistelle, um die DNA des Angreifers zu sichern.» Die Kollektion heisst denn auch «DNA».
Ist das nicht zynisch? Schliesslich geht die Anweisung von einer bereits vollzogenen Gewalttat aus und will diese nicht verhindern. «Ich vergleiche meine Aktion gerne mit einem Nothelferkurs. Man hofft, dass man ihn nie brauchen wird, ist aber doch froh darum und merkt sich ein paar nützliche Dinge.»
Für «DNA» haben Yannik und sein Team lange recherchiert, sich Statistiken einverleibt – «nur drei Prozent aller Sexualstraftäter werden verurteilt» –, mit NGOs, Betroffenen, der Polizei geredet, «es ist grusig, einfach nur grusig». Und Yannik hat die Medien geröntgt: «Wenn ich schon wieder in der Presse lese, was eine Frau bei ihrer Vergewaltigung getragen hat, dann lüpft's mich. Dadurch sucht man eine Mitschuld bei den Betroffenen und die Tat wird auf eine perfide Art legitimiert.»
Oder wie er anlässlich der «DNA»-Premiere im amerikanischen Online-Magazin «them» sagte: «Die Kleidung gibt keine Zustimmung – das kann nur die Person. Und wir sollten in der Lage sein, zu tragen, was wir wollen, ohne Angst zu haben.» Die Frau, der Mann, der Minirock, es ist eine Debatte, die noch immer nicht zu Ende ist. Dass junge Frauen jetzt im öffentlichen Verkehr gelegentlich T-Shirts in Übergrösse tragen, um sich damit sexuell weniger attraktiv zu machen, gehört dazu.
Und wie haben sich seine ganzen Recherchen auf die Kollektion ausgewirkt? Sehr sichtbar. Einerseits hat Yannik Muster aus DNA-Bändern gedruckt. Andererseits hat er die Doppelhelix, also die spiralförmige Struktur der DNA-Moleküle, zum Anlass genommen, seine Kreationen zu «verdrehen». Was vorne wäre, ist jetzt hinten, innen wird zu aussen.
Alles ist derart de- und rekonstruiert, dass ich an frühe Arbeiten des belgischen Mode-Dekonstruktivisten Martin Margiela denken muss. War der irgendwann einmal ein Vorbild von Yannik? «Ja! Ich finde ihn groooooossartig! Also, bevor er so seine Fehlerchen gemacht hat, bevor er seinen Namen verkauft hat.»
Ein gaaaanz klein wenig hat allerdings auch Yannik seinen Namen verkauft. Vorübergehend jedenfalls. Und nur in Einzelteilen. Aber an Amazon. Denn 2022 gewann er die Amazon-Designer-Castingshow «Making the Cut». Seine Ermöglicherin hiess damals Heidi Klum. Yannik gewann eine Million Dollar, das klingt nach enorm viel, ist allerdings nicht so viel, wenn es darum geht, ein Unternehmen zum Laufen zu bringen, «eines in der Schweiz, mit Schweizer Löhnen, fairen Löhnen und nachhaltigen, in der Schweiz gefertigten Stoffen».
«DNA» etwa arbeitet mit Schweizer Superbaumwollstoff, der so dicht gewebt ist, dass er wasserdicht ist. Allerdings kauft Amazon Yannik auch Kleider in grösseren Stückzahlen ab, nicht ewig lange, aber so lange man sich versteht und sich die Mode verkauft, und so finden sich jetzt ein paar «massenproduzierte» Zambonis zu einem Bruchteil des üblichen Preises auf Amazon.
Mit Heidi Klum ist er heute befreundet, sie habe ihm schon einige Türen geöffnet, sagte er in einem Interview, und an «Making the Cut» hat er nur die besten Erinnerungen: Erst im Flugzeug nach Los Angeles realisierte er, dass die Show von Hello Sunshine, der Produktionsfirma von Reese Witherspoon, produziert wurde. Die Realität der Reality fand er: «Amazing, megatoll, es gab nur Kamerafrauen und Produzentinnen und kein weisser, alter, fetter Dude kam rein und schrie rum, alles war total feministisch und LGBTQ-freundlich, und alle waren auf Augenhöhe.»
Ist ihm eine Kritik zu entlocken? An Heidi Klum ganz klar nicht, aber vielleicht an einem Format wie GNTM? Das Problem sei, sagt er, dass viele dafür noch zu jung seien. Beim Reality-TV müsse man sich in jedem Moment bewusst sein, dass man selbst der Inhalt sei und sich zu hundert Prozent exponiere. Man müsse auf der Hut sein. Das gelte auch für Erwachsene, aber doch etwas weniger. Mit dem Material, das du lieferst, wird eine Realität hergestellt, die vielleicht nicht deiner Vorstellung deiner Realität entspricht.
«Achtzig Prozent meiner Abendgarderobe bestehen aus Röcken oder Kleidern. Nun tragen einheimische Männer in Dubai auch Kleider, aber die haben dann doch eher eine sehr traditionelle Funktion.» Es wird sich eine Lösung finden. Vielleicht wissen ja die guten Eltern einen guten Rat.
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