Madame Breillat, Sie sind 71 Jahre alt, Sie haben mit Rocco Siffredi pornografische Arthouse-Filme gedreht, Sie haben als 17-Jährige einen pornografischen Roman geschrieben ...
... Ja! Dabei war ich damals noch Jungfrau.
Sie haben als Jungfrau Pornografie geschrieben?
Schon mit 12 hat mich das Thema Sexualität wahnsinnig fasziniert und ich habe mit einem 14-jährigen Jungen rumgemacht. Allerdings hatten wir nicht viel Ahnung. Aber ich habe enorm viel gelesen, Bücher grosser französischer Schriftsteller, sie schrieben leidenschaftlich, sie schrieben anschaulich, physisch, roh, brutal, voller Lust und Gewalt. Das habe ich bewundert, das hat mich geprägt.
Und was hat das Schreiben über und später auch Filmen von Sexualität für Sie bedeutet?
Ich wollte nichts Damenhaftes, Hübsches machen, ich wollte das Gleiche machen wie die Männer, das Problem war bloss: Sie waren alle komplett misogyn. Sie haben Frauen gehasst. Aber das ist sowieso das Problem der französischen Gesellschaft. Sie ist ungeheuer frauenfeindlich. Daran hat auch die Revolution nichts geändert, im Gegenteil: Man feiert die Egalité, die Liberté – und vor allem die Fraternité, die Brüderlichkeit. Wo ist die Schwesterlichkeit, die Sororité? Wenn ich mit Filmen einzig auf Frankreich angewiesen wäre, ich wäre schon längst verarmt, sie hassen mich da.
Ehrlich? Für mich sind Sie eine französische Ikone.
Wir dürfen nie vergessen: Die französischen Revolutionäre köpften die Schriftstellerin Olympe de Gouges, weil sie ihre «Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin» verfasste.
Und deshalb beschlossen Sie, selbst pornografisch zu arbeiten?
Ja, ich habe das umgekehrt, was die Männer schon lange machten, meine eigenen Gesetze aufgestellt. Und ich habe es verschärft. Weil ich mit Erotik nichts anfangen kann. Pornografie ist ehrlich, Erotik, gerade im Film, hat etwas Verlogenes, Sentimentales. Jean-Luc Godard und François Truffaut haben mir gesagt: «Das kannst du nicht machen, das macht man nicht, man filmt keinen Geschlechtsverkehr! Das ist unangebracht»
Bitte?
Wieso ist es angebracht zu zeigen, wie jemand Tee trinkt, aber nicht, wie er Liebe macht? Ich wollte das Wunder der menschlichen Transzendenz durch die Liebe zeigen, doch für sowas gab’s damals als Referenzgrösse nur Pornos. Ich suchte also für meinen Film «Romance» (1999) einen Schauspieler ...
Und dann kam Rocco.
Ja. Rocco Siffredi war in Italien ein riesiger Star, dem die Frauen auf der Strasse hinterher kreischten. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie einer, der in der Branche arbeitete, derart berühmt und beliebt sein konnte. Er sagte: «Kein Problem, ich betrachte mich nicht als Schauspieler, denn Schauspieler beschäftigen sich mit Fiktionen, ich hingegen mache bloss einen Job und ich mache ihn gerne. Porno hat nichts mit Fiktion zu tun.» Nie habe ich etwas Intelligenteres aus dem Mund eines Schauspielers gehört, Rocco ist wirklich schlau.
Und wie war die Reaktion der französischen Autorenfilm-Szene?
Mehrere Männer sagten: «Was soll das? Willst du uns eigentlich erniedrigen?» Als ob Frauen nicht andauernd irgendwie erniedrigt würden! Ein Beispiel: Ich war sehr jung und sah Sophia Loren im «Playboy». Sie trug ein absurdes Ensemble aus schwarzer Spitze, das ich so nur von Prostituierten in Bordellen kannte, und ich dachte: Wieso muss diese wunderbare Frau, dieser Superstar, sich derart erniedrigen? Sich zu einer Nutte machen, die dennoch halb prüde verhüllt ist? Wieso wird das von ihr verlangt? Ich finde das beschämend.
Sie sind nicht die einzige französische Künstlerin, die sehr hart und schmerzfrei mit Sexualität arbeitet, sei es als Autorin oder Filmemacherin, auch Virginie Despentes gehört dazu oder Catherine Millet und Christine Angot. Sie alle scheinen ganz radikal keine Opfer sein zu wollen.
Nein, sind wir nicht.
Das gilt auch für Catherine Deneuve und ihr Manifest, in dem sie dafür plädierte, in Sachen MeToo etwas härter im Nehmen zu sein.
Ich liebe und bewundere Catherine und gebe ihr total recht. Allerdings hätte das Manifest dringend besser redigiert werden müssen, es ist viel zu salopp geraten. Dummerweise war ich damals in Portugal, sonst hätte ich ihr dabei geholfen. Wenn man ein Manifest schreibt, muss jedes Wort ganz exakt sitzen, das muss enorm sorgfältig gemacht sein, sie hat zu Vieles geschrieben, was sich missverstehen lässt.
Was kritisieren Sie an MeToo?
Oh, ich finde nicht, dass man Missbrauch nicht ahnden sollte. Aber wenn eine kommt und sagt: «Da war mal was vor zwanzig Jahren auf einem Hotelzimmer, ich habe mich nicht getraut, Nein zu sagen, und jetzt denke ich, dass man das als Missbrauch deuten könnte», dann habe ich kein Verständnis. Es gibt immer die Möglichkeit, Nein zu sagen. Und wenn sich eine Frau nicht getraut, Nein zu sagen, so ist dies der Fehler ihrer Sozialisierung, ihrer Erziehung.
Also ein gesellschaftliches Problem. Aber haben Sie nie Missbrauch erlebt?
Die Hotelzimmer-Situation gab's auch bei mir, und ich war da nicht 21 oder 25 wie die Frauen, die später MeToo initiierten, ich war 14. Der Mann war älter, es war ein äusserst aggressiver Flirt, aber ich habe ihm klar gemacht, dass ich sicher nicht mit ihm schlafen werde, das war’s. Alles, was ich damals über Männer und ihre Absichten wusste, kam aus der Literatur. Sie kam mir sehr zu Hilfe.
Apropos Hilfe: Auch wenn Sie Erotik nicht mögen, so schrieben Sie doch das Drehbuch für den Softerotik-Hit «Bilitis» (1977) von David Hamilton und sorgten damit für die erotische Erziehung einiger Teenager in den 70er- und 80er-Jahren.
«Bilitis» ist ein überflüssiger Film, bloss eine Fussnote, ein Nichts!
Unterschätzen Sie die nicht, ich kannte ein paar ältere Mädchen, denen der Film, na ja, geholfen hatte.
Ehrlich? Na, das freut mich aber! Ich war damals gut mit David Hamilton befreundet. Leider hat er nicht den Film gemacht, den er eigentlich machen wollte, etwas viel Radikaleres mit zwölfjährigen Skandinavierinnen. Die Mädchen aus dem Norden waren damals ja völlig hemmungslos und hatten überhaupt kein Problem mit Nacktheit, dagegen waren wir Französinnen superprüde. Und es gab keine Zensur. Alles wäre damals möglich gewesen. Der grösste französische Produzent, der sonst Familienunterhaltung für den Samstagabend machte, stand bereits hinter dem Projekt, aber aus undurchsichtigen Gründen hat David sich dann doch dagegen entschieden und lieber «Bilitis» gemacht.
Was sie mit den nackten 12jährigen Skandinavierinnen wollte, möchte ich gar nicht wissen. Tönt nach Pädophilie irgendwie.
Und "Porno hat nichts mit Fiktion zu tun"? Uff.