Vor gewissen Begegnungen wäscht man sich zweimal die Haare. Nicht weil Stars uns Pressemenschen positiv in Erinnerung behalten würden, sondern damit sie uns ganz gewiss nicht unangenehm in Erinnerung behalten. Stars wie Juliette Binoche etwa. Die Frau aus «The Unbearable Lightness of Being», «Les amants du pont-neuf», «Trois couleurs: Bleu», «Le hussard sur le toit», «The English Patient» (für den sie einen Oscar gewann), «Chocolat» (mit Johnny Depp), «Clouds of Sils Maria» (mit Kristen Stewart), «Cosmopolis», «High Life» (beide mit Robert Pattinson) und, und, und. Eine wandelnde, von allen Leinwänden überirdisch leuchtende Protagonistin der Filmgeschichte.
Und dann setzt sie sich zu uns fünf Journalistinnen und zwei Journalisten an den Tisch und ist von Nahem, was sie auch im Kino ist, sowas wie die Verkörperung von Energie und ewiger Frische. Trägt an diesem Nachmittag Jeans und Stiefel mit hohen Absätzen, eine Bluse in Rosatönen, eine schwarze Lederjacke, leichtes Parfum, leichtes Make-up, die Haare offen, keine Maske. Trinkt Tee. watson sitzt direkt neben ihr. Für ganze zwanzig Minuten.
Dies ist eine Aufzeichnung dessen, was sie auf unsere gesammelten Fragen geantwortet hat:
«Eigentlich sollte ich jetzt in Amerika beim Dreh für einen Film mit dem Titel ‹Paradise Highway› sein. Ich spiele eine Truck-Fahrerin. Dafür hatte ich vor dem Lockdown eine Woche lang geübt, ich fuhr mit einer anderen Truck-Fahrerin mit, ich fuhr selbst, mit 13 Gängen, ich bin ziemlich gut! Ich schlief im Truck und fühlte mich wie ein Kind – ich lebte ein neues Lebens! Nur das Essen entlang der Highways ist wirklich unmenschlich. Aber das war keine besonders tief gehende Vorbereitung, das war bloss das Allernötigste. Eigentlich wollte ich wegen des Klimawandels damit aufhören, in Paris mit dem Auto rumzufahren, aber – ähm, ich bin dazu noch nicht in der Lage.
Heute leben wir in einer Zeit der Veränderungen, es ist hart und es wird noch härter, besonders für die Ärmsten. Ich denke, wir sollten uns alle verantwortlich fühlen und nicht nur an unsere kleinen Leben denken, sondern an die Menschen auf der andern Seite des Planeten. Es gibt eine Dringlichkeit, dass wir unsere Gewohnheiten und Denkweisen ändern. Neulich habe ich den Pestroman ‹Le hussard sur le toit› von Jean Giono wiedergelesen und da heisst es, dass das Gegenteil von Liebe nicht Hass ist, sondern Egoismus. Und eine konservative Geisteshaltung. Was treffend wiedergibt, was in der Welt gerade vor sich geht.
Das Bewusstsein der Menschen zu verändern, ist schwierig. Ich bin eine Geberin. Ich versuche zu senden. So viel wie möglich. Wenn ich was tun kann, dann tu ich es. Auch als Schauspielerin. Aber ganz ehrlich? Ich könnte mir durchaus vorstellen, theoretisch, mich aufs Land zurückzuziehen und in Ruhe alt zu werden. Könnte! Denn die Dringlichkeit treibt mich an. Es geht mir nicht um mein Ego, mein Ego habe ich hinter mir.
Was ich am Schauspiel liebe, ist, dass ich mich dabei vergesse. Wenn ich mich mit andern zusammen vergessen kann, ist es umso schöner. Sich eins zu fühlen mit der Regie, der Technik, den andern Schauspielerinnen und Schauspielern ist für mich das höchste Hoch, das ich erreichen kann. Es ist grösser als ich und es ist wahrhaftig. Etwas vertieft sich. Es gibt nichts Besseres. Ihr solltet alle Schauspieler werden!
Einen Award persönlich entgegenzunehmen wie jetzt in Zürich ist eine Sache der Höflichkeit, denn ein Award ist ein Bekenntnis zu meiner Arbeit. Der iranische Regisseur Abbas Kiarostami fragte mich mal: ‹Wie viele Awards hast du?› Ich sagte so: ‹Keine Ahnung, vielleicht fünfzehn?› Er sagte: ‹Ich hab achtzig!› Ich ging in seinen Keller und fragte mich, wozu er die alle braucht, aber dann begriff ich, dass sie seine Reisesouvenirs sind. Dass sie ihm ermöglichten, andere Länder zu sehen.
Die wichtigste Begegnung meines Lebens ist die mit meinem Engel. Er oder sie ist immer mit mir. Ich glaube an Engel. Ich spüre sie. Das ist ein sehr natürliches Gefühl. Wenn man an sie glaubt, existieren sie. Die Kraft des Glaubens lässt sie Realität werden. Deshalb ist das Potential unser Kreativität so unerschöpflich. Und wir sind uns dessen nicht bewusst.
Wenn ich zum Beispiel als Schauspielerin um Hilfe oder um einen Rat bitte, erhalte ich etwas dafür. Um etwas zu bitten, heisst, etwas zu kreieren. Es ist sehr wichtig, dies zu verstehen. Ich wünschte mir zum Beispiel, bei einem Dokfilm über den Klimawandel mitzumachen. Und plötzlich treffe ich diese Investigativjournalistin, und wir machen einen Dokfilm über das Ungleichgewicht in der Biodiversität, das entsteht, wenn Wälder gerodet werden. Und wie dies mit der Pandemie zusammenhängt. Ein Projekt, das mich sehr glücklich macht.»
«La bonne épouse» läuft ab dem 29. Oktober im Kino.