ChatGPT plante unseren Wochenendtrip: Es war gar nicht so übel
Um ein Haar hätte unser Trip gar nicht stattgefunden: Am Samstagmorgen um 7:30 Uhr soll unser Zug in Aarau abfahren. Über Olten und Interlaken Ost, so versprach es ChatGPT, würden wir nach drei Stunden und elf Minuten Grindelwald erreichen. Dumm nur: Diese Verbindung existiert gar nicht.
Zum Glück haben wir es gemerkt, bevor wir auf dem Perron standen. Dank meiner vorsichtigen Freundin, die den Fahrplan am Tag zuvor noch einmal überprüfte. Tatsächlich fährt der Zug um 7:13 Uhr und wir kommen schon um 9:40 Uhr in Grindelwald an. Dort soll unser vom ChatGPT-Agenten geplantes Wochenende beginnen.
Dass Chatbots längst für alles Mögliche befragt werden – von Steuerfragen über Beziehungstipps bis zu Gesundheitsratschlägen –, ist bekannt. Weniger bekannt ist der sogenannte Agentenmodus. Er befähigt KI-Systeme zum Handeln: Buchungen zu tätigen, Dokumente zu erstellen, Formulare auszufüllen.
Für einen Wochenendtrip also perfekt, dachte ich. Denn das Zeitraubendste am Reisen ist doch die Planung: Wohin? Wie hinkommen? Wo übernachten, wo essen, wer reserviert?
Tatsächlich planen laut einer Umfrage fast neun von zehn Schweizerinnen und Schweizern, künftig künstliche Intelligenz (KI) für ihre Ferienplanung zu nutzen. Mehr als die Hälfte der Befragten hat das bereits getan. Meist, um Reiseziele zu recherchieren, die beste Reisezeit zu eruieren oder Restauranttipps zu finden. Ich wollte wissen, wie gut das wirklich funktioniert. Um den Agentenmodus zu aktivieren, starte ich bei ChatGPT einen neuen Chat, klicke im Chatfenster auf das Pluszeichen, wo man den «Agentenmodus» auswählen kann.
Die Ausgangslage
Wir sind drei Freundinnen mit einjährigen Töchtern und wollen im Oktober in die Berge. Unsere Vorstellung: hinauf wandern (rund 1200 Höhenmeter pro Tour), bergab mit der Bahn. Die Unterkunft soll einfach, kinderfreundlich und nicht zu teuer sein. Ein genaues Budget nenne ich nicht.
Ich schildere dem ChatGPT-Agenten unsere Wünsche und er legt los. Im Browser öffnet sich ein Fenster, in dem man live mitverfolgen kann, wie sich die KI durchs Netz klickt.
Sie scrollt durch Seiten wie Tripadvisor, MySwissAlps, Reddit, mir bislang unbekannte Reiseblogs eines Australiers («Journey Era») und eines Portugiesen («The Portuguese Traveler»). Für kinderfreundliche Wanderungen konsultiert sie unter anderem «Swiss Family Fun», verwirft viele Vorschläge wieder, weil die Aufstiege zu kurz sind oder keine Seilbahnen verkehren. Dann klickt sie sich durch Hotelangebote, füllt Formulare aus, prüft, ob am gewünschten Wochenende noch Zimmer frei sind. Sie sucht nach passenden Zugverbindungen und kontrolliert, wann die Bergbahnen fahren.
Das Gute am Agenten-Modus: Ich kann das Zepter jederzeit übernehmen, in den ChatGPT-Browser springen und mich selbst durch die Webseiten klicken. Ich tue es nicht – schliesslich soll diesmal ja die Maschine die Arbeit übernehmen.
Der Plan steht
Nach 13 Minuten steht denn auch der erste Vorschlag. Ziel: Grindelwald, Wanderung zum First, Unterkunft im Viersterne-Hotel Sunstar – das ChatGPT auch gleich buchen möchte: «Für den Abschluss benötige ich eure Angaben (Name, Adresse, Telefonnummer und eine Zahlungsverbindung für die Garantie)», bittet der Chatbot.
Die KI will also wirklich handeln. Das ist der eigentliche Clou am Agenten: Er will wirklich handeln. Nur unser Budget ist überschritten. Also bitte ich um eine günstigere Alternative sowie eine zweite Wanderung für den Sonntag. Rund zehn Minuten später liefert ChatGPT ein hübsch formatiertes Dokument: Programm, Packliste, Tipps fürs Reisen mit Kleinkindern («Die Wanderwege sind nicht kinderwagengeeignet; nutzt Tragehilfen») und Ideen für Schlechtwettertage.
Letztere seien grundsätzlich gut gewählt, bestätigt Tamara Forster von der Jungfrau Region Tourismus AG: Das Sportzentrum, das Museum sowie die Gletscherschlucht seien ideale Aktivitäten. Peinlich hingegen ist der wenig brauchbare Tipp von ChatGPT, das Tropenhaus in Frutigen zu besuchen. Dieses wurde letztes Jahr geschlossen. Zudem wäre Frutigen mit dem öV gut anderthalb Stunden von Grindelwald entfernt – nicht praktisch also.
Und als ich ihn frage, ob er uns die SBB-Tickets von Aarau nach Grindelwald kaufen und Sitzplätze reservieren könne, lautet die Antwort: «Leider kann ich die Ticketbuchung auf sbb.ch nicht direkt durchführen, da die Website hier im Browser nicht korrekt geladen wird.» Schade, obwohl die Selbstständigkeit des Agenten natürlich auch Risiken birgt: Was, wenn der Agent eine falsche Seite für echt hält und Kreditkarteninformationen weitergibt? Wenn er AGBs akzeptiert, die man selbst nicht akzeptiert hätte? Verbraucherschützer warnen bereits vor «übermächtigen KI-Bürokraten», die mehr Zugriffsrechte bekommen könnten als uns lieb ist.
Der erste Tag
Als wir schliesslich am Samstagvormittag in Grindelwald ankommen, starten wir zur ersten Wanderung hoch zum First, rund 1100 Höhenmeter. Nach den ersten 600 Höhenmetern erreichen wir Bort, wo wir eine Pause auf dem Spielplatz einlegen. Eine Freundin nimmt ab hier die Bahn weiter hinauf – wie von ChatGPT vorgeschlagen, «falls jemandem die Puste ausgehen sollte», hielt er bei der Planung fest.
Als wir kurz nach dem Mittag oben ankommen, rät der Bot zu einem «kurzen Abstecher zum Bachalpsee» – was in Wahrheit zwischen zwei und drei Stunden zusätzlich bedeuten würde. Wir verzichten gerne und geniessen stattdessen bei Pilz- und Gulaschsuppe die herrliche Aussicht auf die imposante Eigernordwand.
Am Abend essen wir im Hotel. Natürlich fragte ich ChatGPT auch, was man in Grindelwald unbedingt essen müsse. Cordon bleu oder Kalbsleberli mit Rösti, Käsefondue, Älplermagronen und «andere Schweizer Klassiker» wie Beef Stew – vermutlich meinte er Ghackets mit Hörnli – empfiehlt er. Naja, das sind eher Schweizer als typsiche Grindelwalder Klassiker. Immerhin empfiehlt er auch Meringue mit Doppelrahm, das aus Meiringen stammt, nicht weit weg von hier.
Der zweite Tag
Am Sonntag geht’s auf den 2342 Meter hohen Männlichen. Wieder hat ChatGPT den Höhenunterschied richtig berechnet, rund 1200 Höhenmeter. Nur führt der erste Teil der Route über eine Asphaltstrasse – wir nehmen also den Bus ein Stück weit. Ab dort wandern wir unter der Bergbahn entlang, obwohl es schönere Wege gäbe. Die KI hat sie aber nicht erwähnt.
Dafür entdecken wir oben auf dem Männlichen angekommen spontan die herrliche Panoramastrecke zur Kleinen Scheidegg – ein Klassiker, den ChatGPT schlicht und erstaunlicherweise übersehen hat. Kurz nach Mittag treffen wir dort ein und nehmen den Zug hinunter nach Grindelwald.
Um 16:30 Uhr soll laut ChatGPT der Zug nach Aarau zurückfahren. Aber wir wissen nun ja Bescheid und prüfen die Verbindung lieber selbst. Prompt stellt sich wieder heraus, dass es den Zug nicht gibt. Wir steigen deshalb in denjenigen, der uns um 15:47 Uhr auch wirklich nach Hause bringt.
Das Fazit
ChatGPT ist ein hervorragender Ideengeber. Es erspart stundenlanges Suchen in Foren, Blogs und Bewertungsportalen und macht Vorschläge, auf die man selbst vielleicht nicht gekommen wäre. Grindelwald im Herbst, mit seinen gelborange bis rot verfärbten Ahornbäumen, ist tatsächlich eine gute Wahl – auch, weil die Bergbahnen dort noch spät im Jahr fahren. Aber natürlich ist Grindelwald kein Geheimtipp.
Allerdings plant die KI nicht immer verlässlich – gerade beim Fahrplan lesen bekundet sie offensichtlich Mühe. Vor der Abreise die wichtigsten Programmpunkte zu überprüfen, ist daher ratsam. Und die Feinplanung sollte man ohnehin nicht der Maschine überlassen. Dafür braucht es weiterhin einen Blick auf gute Karten, eine Prise menschliches Gespür und vor allem eine ordentliche Portion Spontaneität. (aargauerzeitung.ch)
