Wer vor der Coronapandemie nach San Francisco reiste, dürfte beim Sightseeing auch hier Halt gemacht haben: am Union Square, direkt an der Powell Street, einer der Hauptstrassen der berühmten Cable Cars, und in unmittelbarer Nähe der Market Street. An beiden Strassen reihten sich die populären Modegeschäfte aneinander, von Gap über Uniqlo und H&M bis hin zu Old Navy. Dazu gesellten sich zahlreiche Souvenir-Shops.
Doch wer heute durch die Gegend läuft, ist mit einer gespenstischen Leere konfrontiert. «Retail Spaces Available», «For Lease» oder «Your Brand Here» heisst es auf Schildern, welche die zahlreichen Schaufenster bedecken. Sie alle haben die gleiche Botschaft: Nachmieter werden dringend gesucht. Die verbleibenden Shops sind laut lokalen Medienberichten derweil täglich Opfer von Diebstählen. In der Drogeriekette Walgreens sind inzwischen sogar Süssigkeiten wie Mars und M&Ms hinter Plexiglasscheiben weggesperrt.
«Seit Corona ist alles anders», sagt ein Polizist, der mit seinem Kollegen an der Powell Street eine Pause einlegt. «Die Touristen kamen plötzlich nicht mehr, und die Einheimischen kaufen schon längstens nur noch online ein. Also machte Geschäft um Geschäft zu.»
Auch das einstige Westfield Shopping Center an der Market Street ist kaum mehr wiederzuerkennen. Wo vor einigen Jahren noch auf mehreren Etagen rund 170 Shops Kasse machten, sind Shopper nun die Ausnahme. In den oberen Stockwerken sind die Lichter gelöscht, die verbliebenen Geschäfte muss man erst finden. Und zur apokalyptischen Stimmung tragen patrouillierende «Mall Cops» mit Schäferhund bei.
Aber nicht nur das Online-Shopping und die ausbleibenden Touristen sind für die Konsummisere verantwortlich. Mit ein Grund ist das Leid im angrenzenden Tenderloin-Stadtteil. Dieser wird von Einheimischen seit vielen Jahren gemieden, da dort die Drogenhölle Einzug gehalten hat. Die unzähligen Obdachlosen konsumieren Crack und Fentanyl in aller Öffentlichkeit, laufen mit gekrümmter Haltung durch die Stadt.
Menschliche Exkremente auf den Trottoirs sind keine Seltenheit. «Es ist wie ein Zombieland», sagt eine junge Frau, die um das Gebiet ebenfalls einen Bogen macht und im nördlichen Teil der Stadt wohnt, nahe der Bucht, wo das Elend noch nicht angekommen ist.
Mitschuld an der tragischen Entwicklung sind auch die Silicon-Valley-Riesen wie Meta, Apple und Alphabet, die ihre Angestellten fürstlich entlöhnen. Diese wollen wiederum «downtown» in San Francisco wohnen, von wo sie von ihren Arbeitgebern in Luxus-Privatbussen zur Arbeit chauffiert werden. Dadurch sind die Mietpreise in den vergangenen Jahren explodiert – und viele Geringverdiener wurden in die Agglomeration oder die Armut verdrängt.
Nun versucht die Stadt, das Steuer herumzureissen. Wie der «San Francisco Chronicle» berichtet, soll schon bald ein Kunstwerk die Gegend aufwerten – und die zahlungswillige Kundschaft wieder anlocken. Geplant ist Ende Januar die Installation der knapp 14 Meter hohen Skulptur namens «R-Evolution» des Künstlers Marco Cochrane. Diese stellt eine nackte Frau mit nach unten gestreckten Armen dar. Abends soll sie jeweils beleuchtet werden, und während einer Stunde pro Tag macht die Skulptur den Anschein zu atmen.
Shopbetreiber würden sich davon eine Verbesserung erhoffen, schreibt die Zeitung – auch, weil die nächste Schliessung einer Shopping-Institution in der Stadt bereits klar ist. Das Warenhaus Macy's am Union Square wird demnächst verschwinden.
«Dieses Kunstwerk wird ein grosser Anziehungspunkt für die Region sein», sagt Maris Rodriguez, Chefin der Union Square Alliance, gegenüber der Zeitung. Sie vertritt mehrere Geschäfte rund um den Platz. «Die Leute, die sich die Skulptur ansehen, werden auch einen Kaffee wollen oder ein Abendessen und eine Unterkunft.» Und vielleicht würden sie dann auch shoppen gehen. «Das wird einen grossen wirtschaftlichen Schub geben.» Zusätzlich sind auch Konzerte und Yoga-Klassen am Union Square geplant.
Die Detailhandelsorganisation lässt sich die Massnahme einiges kosten. Über 300'000 Dollar sind für die Installation der Skulptur und die Eröffnungsparty geplant sowie für den technischen Unterhalt.
Bereits im Sommer hatte die Union Square Alliance einen Plan für die darbende Powell Street präsentiert, an deren Ende die Cable-Car-Passagiere früher Schlange standen. Die Vision sieht eine attraktive Promenade vor mit Stühlen und Tischen sowie mit Pop-up-Geschäften und Essensständen, wobei die Cable Cars auch künftig im Zentrum stehen sollen.
Über der Strasse ist eine grosse LED-Lichtinstallation geplant, mit wechselnden Farben. Angesichts der grossen Hoffnungen des lokalen Gewerbes auf bessere Zeiten wäre Grün wohl am ehesten angezeigt.