Es geschah in einer Zeit lang, lang vor unserer Zeit. Die Parallelwelt Internet war noch unerforscht. Wer sie betreten wollte, musste sich via Modem einwählen, vernahm erst einen Einwahlton ohne jedes Gespür für Rhythmus und wurde dann mit einem Knistern begrüsst. Bilder krochen gemächlich und Pixel für Pixel auf die Bildschirme.
Kein Streaming vermochte damals einen echten TV-Star zu töten oder auch nur zu stören. Einen TV-Star wie Pamela Anderson zum Beispiel. Blond, sportlich, barbiegleich geformt und teilvergrössert. Der öfter mal stumme Superweltstar aus «Baywatch». Die Frau, die als Rettungsschwimmerin ständig im roten Badeanzug zu sehen ist. Es ist 1995. Die Auswahl im Unterhaltungsbereich ist überschaubar. Pro «Baywatch»-Folge schauen ihr weltweit über eine Milliarde Menschen zu.
Pamela Anderson, die Arbeitertochter aus Kanada mit finnisch-russischem Familienhintergrund, ist knallverliebt in Tommy Lee. Er ist der Drummer der Metal-Band Mötley Crüe, die in den 80er-Jahren gross war, jetzt aber schwer in den Schatten von Depro-Jungs in ausgeleierten Pullis wie Nirvana gerutscht ist. Er ist Halbgrieche, sein Vater war ein in Athen stationierter Militär, beide kommen aus einfachen Verhältnissen und leben nun den Rausch der Glückskinder.
Pam und Tommy beten einander an. Nach vier Tagen initialer Partydröhnung heiraten sie am Strand von Cancun, Mexiko, und danach begehen sie den einen Fehler, den alle unter allen Umständen immer vermeiden sollten: Sie machen Nacktaufnahmen. Filmen sich beim Knutschen, beim Nacktbaden, aber auch beim Sex. Schliessen die Filmkassetten zusammen mit Bargeld und Schmuck in einen Safe. Doch leider kriegt der Beine. Der Rest ist Videogeschichte.
Und hier geht nun die Hulu-Miniserie «Pam & Tommy» los. Sie basiert auf der umfangreichen Reportage «Pam and Tommy: The Untold Story of the World’s Most Infamous Sex Tape» von Amanda Chicago Lewis, die 2014 im «Rolling Stone» erschien, auf Tommy Lees Autobiografie und weiterem Originalmaterial. Je scheinbar surrealer ein Moment, desto verbürgter ist er. Etwa ein Dialog, den Tommy Lee mit seinem Penis führt.
Hauptregisseur ist Craig Gillespie, der 2017 mit dem Eiskunstlauf-Biopic «I, Tonya» bewies, dass attraktiv überzeichnete Milieuschilderungen und gut rhythmisierte Dialoge und Schnitte für ihn ein Leichtes sind. Und dass er der ambivalentesten Figur mit sehr viel Wärme zu begegnen weiss. Genau das ist es, was «Pam & Tommy» so einnehmend macht. Das Mitgefühl. Das zunächst bei einem Handwerker namens Rand Gauthier (Seth Rogen) liegt.
Gauthier soll in der Villa der dauerrammelnden Frischverheirateten (Lily James und Sebastian Stan) einen Raum zum Lusttempel umgestalten, Lees Wünsche ändern sich stündlich, Geld kommt keines, schliesslich bedroht Lee Gauthier mit einer Waffe, und dieser tüftelt einen Racheplan aus. Gauthiers Hobbys sind Kiffen, Weltreligionen und Erotikfilme, und über seine Ex-Gattin (Taylor Schilling), die eine Erotikdarstellerin war, geriet er früher selbst in die Lage, ab und zu mal in einem Film «auszuhelfen».
Doch an Pornos denkt er nicht, als er beschliesst, den Safe von Anderson und Lee aus deren Garage zu rauben. In ein Schaffell gehüllt (auch dieses Detail ist wahr), das ihn vor den Sicherheitskameras wie Lees riesigen Hund aussehen lässt (die Technik war damals wirklich noch nicht so gut), schleicht er sich durchs Haus in die Garage und verlässt das Grundstück samt Safe. Und weiss bald, dass er mit den Homevideos der Stars auf Gold gestossen ist. Denn hier sind nicht nur zwei berühmte Menschen und ihre Körper in nie gesehener Action. Hier ist auch ein Stück echter Liebe zu sehen, das er selbst gerne hätte. Und mit ihm Millionen anderer.
Aber wie lässt sich ein gestohlenes Video vermarkten? Übers Internet natürlich. Über eine Webseite, die mit Bankkonten in Montreal und Amsterdam verbunden ist. Vorfinanziert von einem Mobster namens Louis «Butchie» Peraino, der bereits 1972 den Pornofilm «Deep Throat» produziert hatte. Was Gauthier zu diesem Zeitpunkt nicht weiss: Der Verkauf des Videos wird innerhalb von 12 Monaten zwar gegen 80 Millionen Dollar einbringen (das zwanzigfache des erwarteten Betrags), doch das geht nicht an ihn.
Mit ca. 1,5 Millionen werden Pamela Anderson und Tommy Lee in einer vertrauliche Vergleichsvereinbarung entschädigt (der Safe-Räuber ist schnell gefunden, Lee setzt eine Biker-Gang auf Gauthier an), der Rest fliesst in die Kassen von Gauthiers Compagnons, er selbst arbeitet einen Weile als Geldeintreiber für Peraino, danach wird er wieder Handwerker mit Schwerpunkt Religion, was er auch heute noch ist.
Tommy Lee hat sich auf «Pam & Tommy» gefreut. Pamela Anderson nicht. Denn während Lee durch das Sex-Tape zum Grossritter der Potenz geschlagen wurde und einen neuen Beliebtheitsschub erhielt, war sie als Schlampe abgestempelt. Rollenverträge wurden gecancelt. Talkshow-Hosts wie Jay Leno konnten sich vor laufender Kamera nur ganz knapp davor zurückhalten, ihr an die Brüste zu langen. Sie war die Sünderin und die Verfügbare. So wollte es die Jahrhunderte alte Geschlechterlogik.
Die Macher von «Pam & Tommy» wollen Pamela Anderson rehabilitieren, und das gelingt auch. Wir sehen eine Frau, die weder von ihrem Arbeitsumfeld noch von der Öffentlichkeit ernst genommen wird, die Fleisch, Puppe und immer sehr freundlich ist, und in der kurzen guten Zeit mit Lee (die schlechte kam bald, er wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil er sie geschlagen hatte) so viele rührende Sehnsüchte, unsichere Träume und Liebenswürdigkeiten zeigt, dass sie uns echt zu Herzen geht.
Das «Narrativ», mit dem sie sich in Zukunft verkaufen will, soll «Freedom» sein. Die Freiheit, wie ihr Vorbild Jane Fonda, alles zu sein und sich nicht um die Meinung der anderen zu scheren: Sexsymbol, ernsthafte Schauspielerin, Aktivistin, Unternehmerin. Es wird ihr nicht gelingen. Der Traum ist dann doch grösser als das Können. Und die Öffentlichkeit verweist sie immer wieder mit unzähmbarer Lust in ihre White-Trash-Schranken.
«Pam & Tommy» zeigt nicht nur eine schillernde Nineties-Celebrity-Soap, sondern ein spannendes Stück televisionärer und digitaler Geschichtsschreibung. Die im Fall der Bilder, die «Baywatch» und das Sex-Tape lieferten, gar nicht so unterschiedlich war. Obwohl das eine damals als familientauglicher Mainstream und das andere als dunkle Gegenwelt der schmutzigen Fantasien galt.
Das erste Celebrity-Sex-Tape der Welt, dessen Erfolg später weder mit Erotikvideos von Paris Hilton oder Kim Kardashian erreicht wurden, war damals sowas wie die goldene Brücke zwischen TV und dem World Wide Web. Es gilt nämlich als Geburtsstunde des Celebrity-Reality-TVs. Es entfachte die Gier, berühmten Menschen, deren Umgangsformen sich nicht sonderlich von denen gewöhnlicher Menschen abhoben, beim Gewöhnlichsein zuschauen zu können. «The Osbournes» etwa entstand nach dem Vorbild von Anderson und Lee. Minus Sexszenen natürlich. Schliesslich lief es im ganz normalen MTV.
Vielleicht kann sich Pamela Anderson ja eines Tages überwinden, «Pam & Tommy» zu schauen. Sie dürfte sich darüber freuen. Über Lily James, Sebastian Stan und Seth Rogen, die alles geben, um eine blonde Legende, die ihre Kindheit und Jugend in Wellen springend und Leben rettend begleitete, jetzt selbst zu retten.
«Pam & Tommy» ist bei uns auf Disney Plus zu sehen. Die ersten drei Folgen sind bereits da, die weiteren fünf folgen jeweils mittwochs.
Kosten freuen.
Lasst sie doch einfach in Ruhe.