Heute, liebe Leute, geht's um Gefühle. Auch bekannt als Tränen. Ich habe mir ein paar Folgen der aktuellen Staffel GNTM gegeben, also alle Folgen bis zum und mit dem einsamen Staffel-Höhepunkt, dem «Umstyling». Junge Frauen, die sonst jede Erniedrigung mitmachen, die Heidi Klum ihnen befiehlt, brechen da zusammen, weil ihnen die Haare geschnitten werden. Schliesslich wachsen Haare NICHT nach. Deshalb müssen wir auch nur EINMAL im Leben zum Coiffeur.
Quatsch beiseite, ich bin zum Schluss gekommen, dass man das Problem mit den Haaren ernst nehmen muss. Weil? Sigmund Freud! Der Gottvater der Psychoanalyse hat schon 1900 in «Die Traumdeutung» geschrieben, dass «Haareschneiden» der Kastration gleichkomme. Genauso wie «Kahlheit, Zahnausfall und Köpfen». Also alles Praktiken, die an einem Kopf vorgenommen werden. Der bei Freud ganz klar stellvertretend für einen Penis steht. Im Traum natürlich. Im Leben hat ein Penis nun wirklich nichts mit einem Kopf zu tun.
Aber wie wir ja alle wissen, haben geträumte Ängste die Eigenschaft, uns in der Realität äusserst brutal zu verfolgen, schliesslich haben wir sie quasi aus unserem Unterbewusstsein in einen Traum erbrochen. Und deshalb muss man die betroffenen GNTM-Grazien Selma, Anya und Sarah schon ernst nehmen. Weil? Sie haben radikale Panik vor dem haarigen Penisverlust! «Penis» steht bei ihnen für Selbstvertrauen und Identität.
Natürlich schwört Heidi, dass sie ihre «Girls» – sie nennt sie jetzt seltener «Meeedchen», «Girls» ist next level Feminismus – im grossen Umstyling eben gerade NICHT ihrer Identität berauben, sondern diese vielmehr unterstützend zum Blühen bringen wolle. Natürlich. Identity und Personality sind alles, wonach Heidi sucht. Und was findet sie? Unterwerfung und Gehorsam. Wie blöd! Doch Heidi scheitert. Zum Beispiel an Sarah.
Sarah kann bei jeder Gelegenheit in ein derartiges Schluchzen ausbrechen, dass sie beinahe daran erstickt. Sarah ist sehr, sehr hübsch. Definitiv eine Favoritin. Doch Sarah hat sooooooo lange gebraucht, sich mit sich selbst wohlzufühlen, und ihre Haare sind ein so wesentlicher Teil dieses Wohlgefühls, dass sie ob Heidis düsterem Plan aufgibt, weil sie sich dann keinen langen Zopf mehr, sondern nur noch «so'n Pimmelzopf» flechten könne. Sie geht mit den Worten: «Ich will mich nicht verstellen, ich will so bleiben, wie ich bin.»
Anya hat «empfindliche Ohren», aber keine Freundin, weshalb sie sich immer selbst loben und umarmen muss. Anya ist beleidigt, weil nicht sie, sondern Selma das krasseste Umstyling kriegt. Und sie ist enttäuscht. Sie hat sich so sehr eine andere Frisur gewünscht, doch jetzt passiert das Schlimmste, was passieren kann, sie kriegt – Hiiiilfe, schliesslich sind wir im 18. Jahrhundert – eine Frisur «wie ein Mann»! Vollkurze Haare! Tränen ohne Ende! Schliesslich findet sich Anya damit ab.
Heidi ist gut im Aufspüren von Unsicherheiten. Und welche Farben kann Selma auf den Tod nicht ausstehen? Lila, Rosa, Pink! Welche Farbe kriegt sie wohl? Na? Quäääääl! Träääänen! Schliesslich findet sich Selma damit ab.
Leider verlässt auch die statueske Tracy, die andere Favoritin neben Sarah, GNTM vorzeitig. Die medizinische Assistentin, die gerne mit Naomi Campbell verglichen wird, liebt Ruhe. Sie meditiert und legt jeden Tag mehrere «Ruhephasen» ein, in denen sie nicht kommuniziert. Jetzt ist ihr alles zu stressig. Und zu intrigant. Kann man verstehen.
Und sonst so? Oh, es ist ein wüstes, unterbegabtes Gestolper ohne Tracy und Sarah, und die produktionstechnischen Absichten sind klar, Anya ist das spinnerte Mobbingopfer und die österreichische Coiffeuse Elsa das Huhn, das keine Ahnung von Geflügel hat.
Und eine Cassy liess sich ihren pofreien Auftritt vom Designer des fehlerhaften Textils, einem Schweizer, damit schönreden, dass Nacktheit nicht das Thema sei: «Es geht darum, Fragen zu stellen.» Darum geht es immer.
Elsa hat übrigens für den ersten «Skandal» der heurigen Staffel gesorgt – nur für den Fall, dass er in den Echokammern der Jetztzeit ungehört verhallt sein sollte. Sie trug einen echten Pelz und konterte die Kritik der anderen mit: «Der Pelz kann ja nachwachsen!» Wo soll man bei so viel Nichtwissen überhaupt ansetzen? Wo???
Und wird Elsa jemals den bildungsbürgerlichen Scherz verstehen, den sich die GNTM-Crew machte, als sie ihr den Schwan auf den Kopf setzte? Ich sage nur: Richard Wagner! «Lohengrin»! Eine Oper, in der ein Ritter auf einem Schwanenboot einer Herzogin namens Elsa zu Hilfe eilt. Im Gegenzug darf sie ihn nicht nach seinem Namen fragen, sondern soll sich sagen: «Wie heisst er? Franz? Nee. Egal. René» oder so. Natürlich fragt sie ihn doch, schliesslich geht es darum, Fragen zu stellen, und Schwan samt Ritter verschwinden.
Übrigens ist das mit den Haaren nicht nur ein weibliches Problem: Im Alten Testament gab es den jähzornigen und langhaarigen Samson, der so stark war, dass er einen Löwen mittendurch zerriss. Die Quelle seiner Kraft lag in seinem Haar. Als es mithilfe einer schönen Frau geschoren wurde, verkam er zum Schwächling. Ich sage ja, man muss das ernst nehmen.
Wegen den informativen Anektoden über Freud, Samson und Geschlechtsteile.