Die dürfen wir nicht erzählen, obwohl sie wahrscheinlich in wenigen Stunden einmal rund um den Globus getwittert sein dürfte. Wenn sie es nicht schon ist. Aber an der Pressevorführung, die parallel zur Welturaufführung stattfindet (bloss leider weder in London noch in Zürich, sondern in Spreitenbach, weil sich im Raum Zürich einzig da eine freie grosse Kinoleinwand gefunden hat), wird uns von sehr bestimmt dreinschauenden Männern ein Vortrag darüber gehalten, dass niemand, gar niemand aus dem Bond-Team auch nur den kleinsten Spoiler wünscht.
Die finalen Möglichkeiten, die es für den letzten Bond mit Daniel Craig gibt, sind eh begrenzt, also folgende: a) Bond gründet eine Familie, b) Bond wird Nachwuchs-Agenten-Trainer, c) Bond zieht sich auf eine der vielen schönen Inseln, denen er in seiner bereits 59-jährigen Amtszeit begegnet ist, zurück, d) Bond wird böse, e) Bond trinkt sich zu Tode, f) Bond schreibt seine Memoiren und wird depressiv, g) Bond versagt und wird depressiv.
Nein, kann man nicht! Und der Einstieg ist super. Wir sind in Norwegen, im eisigsten Winter, ein Mann mit weisser Maske nähert sich einem einsamen Haus. Es gehört Mr. White, einem Vorstandsmitglied der Verbrecherorganisation Spectre. Und Mr. White hat die Familie des Maskenmannes eliminiert. Dummerweise sind nur Whites Frau und seine kleine Tochter Madeleine zuhause. Der Maskenmann tötet die Mutter, Madeleine versucht ihn zu erschiessen, flieht, bricht im Eis ein, er rettet sie, das ist dramatisch, traumatisch und sehr, sehr schön.
Viele Jahre später flittert Madeleine (Léa Seydoux), die jetzt Madeleine Swann heisst, mit Bond durch Italien, wir befinden uns im direkten Anschluss an «Spectre». Sie streiten sich wegen Bonds toter Lieblings-Ex, er besucht das Grab der Ex, platzt fast vor Sehnsucht, das Grab explodiert und peng, sind wir mitten in der ärgsten Verfolgungsjagd, denn auch die Italiener hassen Bond plötzlich. Dann Bahnhof, Trennung von Madeleine, der Schmerz geht nahtlos über in Billie Eilishs betörenden Titelsong, dessen graphische Gestaltung ist allerdings eher dürftig.
Verwunderung. Daniel Craig liess sich auf «No Time to Die» nur ein, weil er nicht wollte, dass wir «Spectre» als seine Abschiedsvorstellung in Erinnerung behalten. Und damit ist er jetzt also glücklicher? Was von ihm bleiben wird, sind seine blauen Augen. Und dass er in engen weissen Shirts womöglich noch besser aussieht als nackt. Er war schon sehr sexy. Und er war der Kassenmagnet schlechthin. Wer auch immer jetzt kommt, wird das nicht schaffen.
Die Länge von 163 Minuten ist ... erschöpfend. Denn zwischen dem routinierten Zirkus der Bond-Action stehen Panzersperren aus pathetischen Mono- und Dialogen.
Es gibt ein paar Küsse und Erwachen am Morgen danach. Also nicht keinen Sex. Wir sehen bloss nichts davon. Keine haucht: «Oh, James!»
Doch! Da sind zum Beispiel ...
Bonds Adoptivbruder Ernst Stavro Blofeld (Christoph Waltz) sitzt seit «Spectre» einäugig in der Gummizelle, deshalb braucht es einen neuen jener hochintelligenten, pervers gelaunten Herren mit entstelltem Gesicht. Rami Malek erfüllt als Biowaffen-Fetischist Lyutsifer Safin alle Hoffnungen, er spielt nicht böse oder bedrohlich, er spielt seine Rolle wie ein wundes Kind, verletzlich, ein Unbehauster, der seine Heimat im kunstvollen Töten gefunden hat. Wie Bond. Beide sind melancholische Killer. Der eine (nicht mehr so richtig) im Geheimdienst Ihrer Majestät, der andere aus eigenmächtigem Grössenwahn.
«No Time to Die» ist ein Film über alternde Männer, deren Einfluss zu Ende geht. Bond ist bekanntlich nicht mehr im Dienst und grätscht aus dem Agentenjenseits in die Geschichte rein. Er, sein bester Feind Blofeld und sein bester Freund Felix Leiter vom CIA verlieren an Kraft, und M (Ralph Fiennes) macht Fehler.
Dafür gewinnen der noch immer recht jugendliche Q (Ben Whishaw) und Moneypenny (Naomie Harris) an Autonomie. Und Nomi (Lashana Lynch), die von Bond seine Dienstnummer, die legendäre 007, übernimmt, stellt sich Bond mit den Worten «Ich bin Taucherin, ich habe eine Schwäche für alte Wracks» vor. Die Schwäche ist allerdings keine erotische, eher eine schwesterliche.
Nomi erledigt ihren Job natürlich perfekt und bleibt dabei so amüsiert gelassen, als würde sie das neuste Aston-Martin-Magazin lesen. Bonds Knorz und Krampf lassen ihn im Vergleich noch älter aussehen.
Auf Kuba trifft er CIA-Agentin Paloma (Ana de Armas), die trotz einladendem Dekolleté ebenfalls kein erotisches Interesse am Frühpensionär hat und eine latent beschwipst wirkende, eigenwillige Kampfmaschine ist. Sie gleicht Eve aus «Killing Eve» von Phoebe Waller-Bridge. Von deren Aufwertung des Bond-Scripts allerdings nicht allzu viel wahrzunehmen ist.
Nichts Besonderes. Also auch nichts grundsätzlich Falsches. Aber eine atmosphärische und narrative Dichte und Originalität, wie Sam Mendes sie in «Skyfall» zustande brachte, die fehlt. Von Regisseur Cary Joji Fukunaga, der mit «Jane Eyre» und der Serie «True Detective» ästhetisch doch Bemerkenswertes schuf, war mehr zu erwarten. Und der Soundtrack von Hans Zimmer hangelt sich in seinen eingängigeren Momenten von Bond-Thema-Variationen zu Billie-Eilish-Zitaten.
Es ist mit Bond wie mit Rosamunde-Pilcher-Filmen: Sie bringen ganz einfach die besten Einschaltquoten, Pilcher nur am TV, Bond an den Kinokassen und am TV. Und auch wenn es von Generation zu Generation sanfte Renovierungsbemühungen gibt – Innovation geht anders. Bondfilme sind Tradition, sind Filme, die man mit seinem Vater zusammen schaut, sie gehören zum festen Mobiliar der Filmgeschichte.
Bond bedient ein sentimentales Bedürfnis nach Heldentum im Smoking, nach einem Mann, der in einer Bar nur ein einziges Getränk und einen einzigen Spruch kennt und bis ans Ende unseres Planeten Auto fahren wird. Bond ist sowas wie ein Film gewordenes Lieblingsspielzeug oder eine Lieblingsfantasie. Und es kann kein Zufall sein, dass der erste Bond-Roman von Ian Fleming im gleichen Jahr erschien wie Hugh Hefners erster Playboy, nämlich 1953. Bond ist der Playboy schlechthin, der nie richtig Erwachsene, der mit allem spielt, Frauen, Autos, Gadgets, Geld und Leben.
Daniel Craig brachte eine gewisse Gemütsschwere mit sich, die dem Playboy gut anstand, sie machte ihn definitiv zum romantischsten aller Bonds, was in «No Time to Die» noch einmal bis zur Rührungsschmerzgrenze ausgeschlachtet wird. Jetzt ist seine Ära zu Ende gegangen. In aller 25fach durchexerzierten, pompösen Formelhaftigkeit, samt Weltreise und Bösewichts-Insel mit fantastischer Architektur, aber unnötig in die längste Länge aller Bondfilme gezogen.
Es ist ja übrigens die Ironie der Geschichte, dass alle Filme über den Mann der Männer im Grossbritannien der bisher immergleichen Queen spielen. Sie ist der konstante Hintergrund seiner Märchen. Und es fragt sich, ob das Ende der einen nicht auch das Ende des anderen sein wird.
«No Time to Die» läuft ab dem 30. September im Kino.
Die Pointe ist doch, dass Bond eine Rolle ist, eine Projektion, eine Phantasie ... nun darf doch 2021 jede alles sein, wie es ihr beliebt, jede Rolle einnehmen, ohne dafür angefeindet zu werden. Bloss eines darf nicht sein: Die Rolle eines nicht mehr jungen, weissen Mannes mit Macho Allüren. Das geht dann doch nicht. Weil .. warum eigentlich nicht?