Das hat es seit über 50 Jahren nicht mehr gegeben. Mundartmusik steht in den Hitparaden in Deutschland und Österreich. Am Song «Juicy» des Wetziker Rappers EAZ mit albanischen Wurzeln gibt es kein Vorbeikommen. Natürlich auch in der Schweiz nicht, wo der Song seit sechs Wochen in den vordersten Rängen der Singles-Hitparade steht. Und selbst in nicht deutschsprachigen Ländern steht er in den Wartepositionen der Charts.
Die Streaming-Zahlen explodieren. Noch im März hatte der Sänger und Rapper bei Spotify 171'208 monatliche Hörerinnen und Hörer. Jetzt steht er schon bei über 1.3 Millionen. Insgesamt ist «Juicy» weltweit bald 10 Millionen Mal gestreamt worden. Auch das ist Mundart-Rekord. EAZ schreibt gerade Schweizer Musikgeschichte.
Übertroffen wird EAZ bei den Streamingzahlen nur noch von Ilira (3.8 Millionen monatliche Hörerinnen), der 28-jährigen Sängerin aus Brienz, sowie von der 27-jährigen Rapperin Loredana (1.7 Millionen). EAZ, Ilira und Loredana sind aktuell die erfolgreichsten Musikexporte aus der Schweiz - und alle sind albanischer Herkunft. Und auch Nachwuchsprobleme scheint die albanische Diaspora in der Schweiz keine zu kennen. Denn aus der Juniorenabteilung drängt Lorent Berisha nach oben.
Der Sänger mit albanischen Wurzeln hat gerade mit Erfolg die Schweizer Farben bei der deutschen Fernseh-Castingsendung «Deutschland sucht den Superstar» (DSDS) vertreten und den dritten Platz erreicht. Der 19-jährige Luzerner aus Dierikon will in die Fussstapfen von Gjon's Tears treten, der vor zwei Jahren beim Eurovision Song Contest das beste Ergebnis für die Schweiz seit langer Zeit herausgesungen hat und Dritter wurde.
Ja, auch er ist albanischer Herkunft. Gerade hat er sein wunderbares Debütalbum «The Game» veröffentlicht. Schweizer Musikerinnen und Musiker mit albanischer Herkunft sind die Rädelsführer einer neuen Generation. Die Gesichter des neuen Schweizer Pop.
Aktuell den besten Lauf hat Rapper und Sänger EAZ. Wir treffen ihn in Wetzikon, wo er geboren und in einer bescheidenen Blockwohnung aufgewachsen ist. Inzwischen wohnt er mit seiner chilenisch-schweizerischen Freundin in Villmergen AG, ist aber immer noch stark mit der Zürcher Oberländer Gemeinde verbunden.
Der Name EAZ ist sogar von Wetzikon und der Tarifzone 32 abgeleitet. E ist der 5. Buchstabe des Alphabets, A der 1. und Z der 26. Zusammengezählt ergibt das 32. Mindestens einmal in der Woche besucht er hier seine Eltern und Freunde. «Hier kenne ich alles und jeden, habe alles erlebt. Hier habe ich eine wunderschöne Kind- und Jugendzeit erlebt. Hier fühle ich mich zu Hause», sagt EAZ und erzählt seine spannende Geschichte.
Vater Rama kam 1984 mit 19 Jahren als Arbeitsmigrant in die Schweiz und fand schnell eine Festanstellung in einer Schreinerei in Bäretswil. Die Familie mit Mutter und drei Schwestern blieb zunächst noch in Kosovo und folgte ihm 1993 nach Wetzikon. Also noch vor der grossen kriegerischen Auseinandersetzung 1999 mit Serbien. Noch im selben Jahr, also 1993, ist EAZ als Jüngster der Familie als Arber Rama geboren. Die Familie war beliebt und integrierte sich schnell. Mama Rama hat in der Schweiz sofort einen sechsmonatigen Deutschkurs absolviert, erhielt eine Anstellung im Altersheim Wetzikon und schloss später sogar noch eine Lehre ab.
«Wir waren dankbar, hier zu sein, und haben uns schnell den Schweizer Verhältnissen angepasst», sagt Arber. Trotzdem wurde die Musterfamilie mit Vorurteilen konfrontiert. Eine Mitbewohnerin im Block sammelte Unterschriften gegen die Ramas. Doch ein Polizist, der im selben Block wohnte, setzte sich für die Familie ein, bis die Dame die Unterschriftensammlung zurückzog. Heute ist sie ein Fan von EAZ.
Zu Hause spricht die Familie ein Gemisch von Albanisch und Schweizerdeutsch. «Ich denke auf Schweizerdeutsch», sagt EAZ. Seine Texte sind denn auch meist Mundart, durchsetzt mit englischen Szenewörtern, und manchmal auf Albanisch. «Mir rolled s Haze (Hanf) i das OCB (Zigarettenpapiermarke)/ no no, more depression/ Seg, bisch du ready für die Odyssee?/ Aber numme du machsches special/ Baby girl, you're my motivé, you're my motivation», singt er zum Beispiel im Song «Motivé», der in der Kategorie «Best Song» für die Swiss Music Awards nominiert ist.
Arber war ein guter Schüler, bis er im Alter von elf Jahren vom Rap-Virus infiziert wurde. «Die Welt von 50 Cent, Eminem und 2Pac interessierte mich plötzlich viel mehr als die Schule. Ich schwänzte die Schule und ging stattdessen ins Studio,» erzählt er. Auch in der Ausbildung verlief nicht alles wunschgemäss. Er sagt:
Danach setzte er auf die Karte Rap, geriet aber auf die schiefe Bahn, hatte Schulden und musste sogar für eine Woche in den Knast. «Die Musik hat mir zuerst fast alles genommen, dann alles wieder zurückgegeben», sagt er rückblickend, «ich habe die Grenzen ausgereizt und eine Dummheit begangen, die ich tief bereue», sagt er und hat deswegen immer noch ein schlechtes Gewissen gegenüber seinen Eltern: «Sie haben mir nur Gutes gegeben.»
EAZ der Gangsta-Rapper? «Ich will kein Gangsta-Image. Ich möchte für gute Musik und positive Lebenseinstellung stehen», erklärt er dezidiert und distanziert sich von gewaltverherrlichenden, frauenfeindlichen Texten. «Ich bin mit Frauen aufgewachsen. Meine drei Schwestern und meine Mutter haben mir so viel Liebe gegeben. Wir haben unseren Frauen so viel zu verdanken», sagt er.
Seine grössten Hits «Motivé» und «Juicy» sind eigentliche Hymnen auf die Frauen. Er orientiert sich dabei an seinem grossen Vorbild 2Pac, der sich gegen die Diskriminierung von Frauen wehrte. EAZ hat denn auch ein modernes, differenziertes Frauenbild, das in Widerspruch zur eher patriarchalen albanischen Gesellschaft steht. «In vielen Belangen sind Frauen stärker und uns Männern überlegen», sagt EAZ. Auch seine Freundin habe ihn in die richtige Richtung gelenkt und seinem Leben die nötige Struktur gegeben. «Sie ist meine bessere Hälfte», sagt er.
Wie den meisten Kosovo-Albanern in der Schweiz ist ihm seine Herkunft wichtig. «Kosovo ist genau gleich Heimat wie die Schweiz», sagt er. Der Fussball-Fan würde sich aber für die Schweizer Nati entscheiden. Von Granit Xhaka als Fussballer ist er aktuell sehr beeindruckt. Als Person ist ihm Shaqiri aber näher. Wie dieser ist EAZ eher ein ruhiger Typ, mit einer Portion Schalk und einem grossen Herzen: EAZ, der Shaqiri des Schweizer Rap.
Doch wieso sind albanische Pop- und Rap-Künstler aus der Schweiz so erfolgreich? Wieso schaffen sie, was Schweizer nicht schaffen? Und weshalb laufen sie vielen Schweizern der Rang ab? «Wenn wir Albaner etwas machen, das wir lieben, geben wir alles und noch mehr», sagt EAZ. Der Vergleich zum Fussball drängt sich auch hier auf. Die albanischen Migranten hatten in der Schweiz seit den 90er-Jahren mit einem schlechten Image zu kämpfen.
Wie eine Diaspora-Studie des Bundesamtes für Migration von 2010 ausführt, wurden vor allem die männlichen Jugendlichen kosovarischer Herkunft oft mit Stereotypen wie «gewaltbereiter Balkan-Macho», «Raser» oder gar «Drogendealer» verbunden. Die jungen Albaner waren mit Vorurteilen konfrontiert, die sie im Alltag und insbesondere bei der Suche nach einer Lehr- oder Arbeitsstelle stark benachteiligen konnten. Der Fussball war lange eine der wenigen Möglichkeiten für junge Albaner, um in der neuen Heimat Bestätigung zu holen und sich Respekt zu verschaffen und um in der sozialen Hackordnung aufzusteigen.
Was für den Fussball galt, gilt auch für Rap und Gesang. Es ist jedenfalls auffällig, dass sich schon bald eine ganze Reihe von Albanern wie Drini, Baba Uslender, Marash, Bossnak sowie Xen dem Rap widmeten. Aus dieser Benachteiligung schöpfte EAZ auch Motivation und Mut: «Wir sind die Stimme für die Jungen, die nicht gehört werden», sagte EAZ noch vor kurzem. Heute wird er gehört.
Identität und Identifikation wird bei Albanern grossgeschrieben - Loyalität. Gegenüber seinen Freunden («Homies»), den Eltern, dem nächsten Umfeld, dem Block, gegenüber Wetzikon, dem Kosovo, der albanischen Gemeinschaft, aber auch gegenüber der Schweiz. Das Wort «Loyalty» hat er sich auf den Handrücken tätowieren lassen. Der Zusammenhalt der albanischen Community ist stark ausgeprägt. Heute leben knapp 120 000 Kosovo-Albaner in der Schweiz. Das sind 6 Prozent der kosovarischen Bevölkerung. Dazu kommen die Albaner aus Albanien und Nordmazedonien, die zur grossen Community gezählt werden. Millionen von Albanern sind verstreut auf der ganzen Welt. Sie alle unterstützen ihre Popkünstler. Ob sie Dua Lipa, Rita Ora und Ava Max heissen - oder eben Loredana, Ilira und EAZ.
Aber EAZ grenzt sich nicht ab und hat auch viele Schweizer Freunde. Die Schuld für seine Fehltritte sucht er nicht bei anderen, er will dazugehören und macht Musik für alle. Dieser Wille treibt ihn an. Er ist denn auch der Erste und bisher Einzige aus dieser albanischen Rap-Szene, der sich dem Mainstream nähert und sich traut, kommerziell ausgerichtete, internationale Popmusik mit eingängigen Refrains zu machen. Heute singt er auch mehr, als er rappt. Das alles macht ihn für andere zugänglich und offen. EAZ vermutet, dass inzwischen mehr Schweizer als Kosovo-Albaner zu seinen Fans gehören. Zusammen mit den Kosovo-Albanern macht das den Unterschied. Vielleicht der entscheidende Vorteil.
EAZ hat in der eben zu Ende gegangenen Fernsehsendung «Sing meinen Song - das Schweizer Tauschkonzert» auf dem CH-Media-Sender 3+ teilgenommen und dort die Herzen erobert. Peter Reber nannte ihn den «nettesten bösen Rapper, sensibel, liebenswürdig» und lobte sein rhythmisches Gefühl und Musikalität. «Ich bin ein Fan geworden», sagte er.
Die dritte Generation der Albaner kommt in der Mitte der Schweizer Gesellschaft an. Das Klischee vom Albaner als Hilfskraft auf der Baustelle ist überholt. Barbara Burri Sharani, die für die erwähnte Studie zuständig war, beobachtet heute, dass Albanerinnen und Albaner zunehmend den Weg an die Universitäten finden und sogar in die Politik. Aber auch in der Schweizer Gesellschaft werden die Vorurteile langsam abgebaut.
Die Schweiz ist bereit für EAZ.
(aargauerzeitung.ch)