Unser Gehirn führt ein Eigenleben. Es spielt uns immer wieder mal einen Streich, und zwar öfter, als wir meinen. Was steckt dahinter und was passiert dabei? Der Psychologe Daniel Kahneman, der 2002 für seine Forschung den Nobelpreis erhalten hat, präsentiert uns die Sammlung seiner Forschungsergebnisse in seinem Buch «Schnelles Denken, langsames Denken» aus dem Jahr 2012. Er erklärt, wie, wann und warum unser Gehirn falsch funktioniert und was wir dagegen tun können. Wie rational funktioniert dein Gehirn? Teste dich selbst.
Ein Schläger und ein Ball kosten 1,10 Franken. Der Schläger kostet einen Franken mehr als der Ball. Wie viel kostet der Ball?
Dieses Beispiel ist zwar alt, aber unser erster Impuls sagt uns trotzdem: Der Ball kostet 10 Rappen. Gemäss Kahneman hat System 1 die Lösung dieser Denkaufgabe übernommen, weil es meint, die Lösung zu kennen und weil es Energie spart. System 1 ist unser Autopilot, der uns blitzschnell handeln, entscheiden und eben auch antworten lässt. Oft oder meist liegt es richtig; aber manchmal eben auch nicht, und zwar unabhängig von unserer Intelligenz. System 2 ist im Gegensatz dazu langsamer, analytischer, kontrollierter und fokussierter. Deshalb verbraucht es auch massiv mehr Energie als System 1. Allerdings hilft uns System 2 wenig, wenn ein gefährliches wildes Tier auf uns zurennt, denn dann sind blitzschnelle Entscheidungen gefragt! Der Ball kostet übrigens 5 Rappen. Wenn du richtig lagst, hast du System 2 eingeschaltet.
Alle Rosen sind Blumen. Einige Blumen verwelken schnell. Deshalb verwelken einige Rosen schnell. Stimmt diese Schlussfolgerung?
System 1 möchte gerne eine leichte Analogie bilden. Es unterscheidet nicht immer zwischen Gleichem und Ungleichem: Rosen = Blumen = schnell verwelken ergibt bei ihm: einige Rosen verwelken schnell. Aber Rosen gehören nicht unbedingt zu «einigen Blumen». System 2 würde das erkennen... Aber es ist oft zu faul, sich einzuschalten. Die Schlussfolgerung, dass einige Rosen schnell verwelken, ist in diesem Zusammenhang falsch.
Patrick ist sehr scheu und verschlossen, immer hilfsbereit, aber kaum an anderen oder der Wirklichkeit interessiert. Als sanftmütiger und ordentlicher Mensch hat er ein Bedürfnis nach Ordnung und Struktur und eine Passion für Details. Ist Patrick eher Bibliothekar oder Bauer?
Die Beschreibung entspricht eher unserer Vorstellung, die System 1 von einem Bibliothekar hat. Das ist vielleicht nicht falsch. Aber statistisch gesehen gibt es sehr viel weniger Bibliothekare als Bauern...! System 1 entscheidet auf der Grundlage einer falschen Basis.
Gabi: intelligent – fleissig – impulsiv – kritisch – eigensinnig – neidisch.
Anna: neidisch – eigensinnig – kritisch – impulsiv – fleissig – intelligent.
Wer ist auf den ersten Blick sympathischer?
Die meisten tippen auf Gabi, denn die ersten Eigenschaften prägen unser weiteres Bild: Intelligent und fleissig konnotieren wir positiv; impulsiv und kritisch eher neutral, eigensinnig und neidisch negativ. Die intelligente, fleissige Gabi darf eigensinnig sein, die neidische, eigensinnige Anna wirkt eher bedrohlich, wenn sie intelligent ist. Beim Halo-Effekt schliessen wir von den bekannten Eigenschaften einer Person auf unbekannte – ob positive oder negative.
Hochintelligente Frauen heiraten tendenziell Männer, die weniger intelligent sind. Woran liegt das?
Es ist weder so, dass es mehr hochintelligente Frauen gibt als Männer, noch suchen sich hochintelligente Frauen mit Vorliebe weniger intelligente Männer aus, oder intelligente Männer Frauen, die ihnen keine Konkurrenz machen. Die Begründung ist einfacher als es uns (eventuell) unsere Vorurteile vorgaukeln: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine hochintelligente Frau Männer trifft, die weniger intelligent sind als sie, ist massiv höher, als dass sie Männer trifft, die gleich intelligent oder sogar intelligenter sind, weil es nicht extrem viele Hochintelligente gibt. Es geht also um Korrelation, nicht um Kausalität. Wenn du in dieser Beziehung ein Problem hast, wende dich an Emma Amour.
Die Landkreise mit den meisten adipösen (krankhaft übergewichtigen) Menschen liegen überwiegend in ländlichen, dünn besiedelten und traditionell republikanischen Bundesstaaten im Mittleren Westen, Süden und Westen der USA. Wie erklärst du dir das?
Mit den Vorgaben (ländlich, adipös, Republikaner) assoziieren wir vielleicht ungesunde Ernährung, wenig Bildung, viele Kinder, Alkohol, Armut, Hillbillies und Inzucht Schlimmeres. Die Begründung liegt aber in der Tatsache, dass in dünn besiedelten Landkreisen (kleine Zahl bzw. relativ wenige Menschen) extreme statistische Ausschläge bei allen Kriterien sehr wahrscheinlich sind. Man wird in einzelnen solchen Landkreisen auch die meisten hochintelligenten oder sehr schlanken Menschen finden, weil es dort statistisch schon relevant sein kann, wenn es auf wenige Menschen zwei von irgendetwas hat – Republikaner hin oder her. Aber wir lieben abgerundete Geschichten. Das GIF sollte dich in Richtung einer falschen Antwort «framen», das heisst, die Antwort eingrenzen oder in eine gewisse Richtung lenken. (Frame = Rahmen.)
Würdest du an einer Lotterie teilnehmen, die eine 10-prozentige Chance bietet, 95 Franken zu gewinnen, und eine 90-prozentige Chance, 5 Franken zu verlieren?
Oder würdest du 5 Franken bezahlen, um an einer Lotterie teilzunehmen, die eine 10-prozentige Chance bietet, 100 Dollar zu gewinnen, und eine 90-prozentige Chance, nichts zu gewinnen?
Falls dich nicht schon die Fragestellung schwindlig gemacht hat, wirst du dich wahrscheinlich für die zweite Variante entscheiden, weil bei dieser das Framing auf die Kosten ausgerichtet ist und bei der ersten auf einen möglichen Verlust. Unser System 1 liebt zwar Kosten nicht, aber es hasst Verluste. Beide Wetten haben übrigens die selbe Gewinnwahrscheinlichkeit. Selbstverständlich arbeiten auch Werbung und Politik mit Framing.
Welche Wörter fallen dir ein, wenn du die folgenden Vorgaben vervollständigst?
S...e
B..t
Die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich gross, dass dir eher Suppe als Seife und Brot statt Bart oder Boot eingefallen ist. Denn du wurdest geprimt: Was isst du?! Natürlich sollte dich auch das Bild primen. Falls nicht, perlt Priming an dir ab wie Wasser an der Ente. Es funktioniert nicht nur durch Wörter, sondern auch durch Erlebnisse, Ereignisse etc. Wenn du das Wort alt gelesen oder einen alten Menschen gesehen hast, ist es durchaus möglich, dass du eine Weile langsamer gehst als sonst.
Linda ist 31 Jahre alt, single, freimütig und sehr intelligent. Sie hat Philosophie im Hauptfach studiert. Als Studentin interessierte sie sich sehr für Themen wie Diskriminierung und soziale Gerechtigkeit, und sie nahm auch an Anti-Atomkraft-Protesten teil. Was ist wahrscheinlicher: Linda ist Bankkassiererin oder Linda ist Bankkassiererin und in der feministischen Bewegung aktiv?
Auch hier sollte dich das Bild framen. Oder eher primen? Natürlich ist es viel wahrscheinlicher, dass Linda nur Bankkassiererin ist. Sie müsste sonst ein zweites, zusätzliches Kriterium (Feministin) erfüllen, was die Wahrscheinlichkeit einschränkt.
Fazit: Daniel Kahneman zeigt uns auf, dass es mit dem vielbeschworenen «Homo oeconomicus» nicht so weit her ist. Ohne es zu merken, werden wir in unserem Alltag geframt, geprimt oder treffen aufgrund eines falschen oder mangelnden Basiswissens falsche Entscheidungen. Eine Kombination von (möglichen) Vorurteilen und Faulheit (System 1 und 2), wenig Kenntnissen in Statistik und dem Verlangen nach einer vollständigen, abgerundeten Geschichte (Kausalität) macht uns dann und wann zu Deppen. Die einen mehr, die anderen weniger...