Wie weit geht eine Balletttänzerin für Erfolg, Ruhm und Ehre? Wie viel ist eine sogenannte Ballerina bereit zu geben? Von ihrem Körper, ihrer Energie, ihrem Leben? Wie starke – zum Teil tägliche – Schmerzen sind aushaltbar für ein paar Jahre im Rampenlicht? Die Antworten auf all diese Fragen gab die 24-jährige australische Ballerina Louisa Paterson in einem Interview mit dem Portal fitbook, das diese Woche erschienen ist.
Bereits der Start in Louisas Karriere verlief harzig, Stichwort Os-trigonum-Syndrom. Beim Os-trigonum handelt es sich um einen zusätzlichen Knochen im Sprungbein, dieser kommt bei rund sieben Prozent der Bevölkerung vor und verursacht starke Schmerzen. Bei Louisa trat das Os-trigonum-Syndrom ausgerechnet dann auf, als sie, 14-jährig, durch Europa reiste und an verschiedenen Ballettschulen vortanzte. Die Schmerzen wurden unerträglich, Heimreise nach Australien, eine operative Entfernung des Knochens sei notwendig, hiess es von den Ärzten.
Nach der Operation sass Louisa mehrere Monate im Rollstuhl, dann Krücken, doch der Knochen wuchs nach. Die Mediziner weigerten sich, das Kind erneut zu operieren und rieten Louisas Eltern, dass ihre Tochter den Traum der Ballettkarriere aufgeben sollte. Louisa wurde erst ein zweites Mal operiert, als sie die Ärzte anschrie, sie sollten verdammt noch mal ihren Job machen. Erneute OP also, wieder Rollstuhl, die junge Ballerina musste bei Null anfangen.
Doch die ganzen Strapazen haben sich – zumindest aus Louisas Sicht – gelohnt: Zwei Jahre ist sie Primaballerina im renommierten Berliner Friedrichstadt-Palast. Sie spielt in der hochgelobten Show «The Wyld» die Rolle der Nofretete, ist ein Star.
Was die junge Frau aber bis dorthin investieren musste, klingt absurd. Dass sie nicht Skifahren und Skateboarden durfte, ist machbar. Doch auch Essen und Sex waren an einer der renommiertesten Ballettschulen Deutschlands nicht gern gesehen. Louisa erzählte gegenüber fitbook:
Zudem habe ihre Schule völlig alte Ernährungsmythen verbreitet, Kohlenhydrate beispielsweise seien als sichere Dickmacher verpönt gewesen. Regelmässig sei eine der Ballerinas zusammengeklappt, dann einen Apfel runterwürgen, damit Fruchtzucker laden und weiter ging das exzessive Training.
Auch weitere Erzählungen aus dem Gespräch mit «fitbook» schockieren. Als Louisa eine Hauptrolle für das nächste Stück ergatterte, wurde sie von einer Mitschülerin die Treppe heruntergeschubst. Das Sprunggelenk war kaputt, die Schubserin erbte die Hauptrolle.
Zur Frage, warum Louisa die Schubserin vor der Schule geschützt hat, sagt sie:
Eine weitere Anekdote, die den enormen Druck an Ballettschulen veranschaulicht, waren Reissnägel oder Scherben, die man den Konkurrentinnen in die Spitzenschuhe legte.
Louisa, heute 24-jährig, hat eine Pause vom professionellen Tanzen eingelegt. Auch wegen der Schmerzen, die sie schon ihre ganze Karriere begleiten. Fast ununterbrochen tat ihr alles weh, heute kann sie ohne Spritzen nicht mehr laufen. Alle sechs bis acht Wochen werden bei der Ballerina Entzündungshemmer in ihre grossen Zehen injiziert. Pro Gelenk sind aus gesundheitlicher Sicht eigentlich nur acht Spritzen erlaubt, Louisa kommt bei ihren beiden grossen Zehen locker auf 20 Spritzen pro Gelenk. Damit sie nicht auffliegt, muss sie regelmässig den Arzt wechseln, schreibt fitbook. Bereits als 17-Jährige schluckte Louisa derart viele Schmerzmittel, dass sie ein Magengeschwür bekam.
Vor wenigen Wochen hat die Ballettänzerin ein eigenes Fitnessprogramm präsentiert, sie ist angehende Ernährungswissenschaftlerin und glaubt, dass Ballettschulen eine Entwicklung erfahren haben – die Lehrpläne hätten sich verbessert. «Tänzer, die in punkto Ernährung und Trainingsformen besser Bescheid wissen, werden nicht nur eine längere Karriere haben, sondern diese auch geniessen können.» Allerdings: «So viele Theaterhäuser müssen zumachen. Die Chancen auf einen Arbeitsplatz schwinden und der Druck auf die Schüler wird so immer grösser.»
Trotz aller Kritik, trotz aller Schmerzen und Entbehrungen, trotz der Tatsache, dass Louisa für ihren Traum vom Tanzen ihre Gesundheit geopfert hat, bereuen tut die Ballerina nichts: «Kein Leben, kein Geld und ein kaputter Körper – aber ich würde alles genauso wieder machen!»