Tourismus-Boom in Osttimor wird für Wale zunehmend zum Problem
Noch nicht einmal 25 Jahre ist es her, dass Osttimor seine Unabhängigkeit von Indonesien erlangte. Mit knapp 15'000 Quadratkilometern ist der Staat ungefähr so gross wie Schleswig-Holstein. Im Vergleich zu anderen Reisezielen im südostasiatischen Raum ist Osttimor touristisch noch wenig erschlossen.
In den vergangenen Jahren hat es sich aber zunehmend zu einem Geheimtipp unter Reisenden entwickelt, die nach Abenteuern und unberührter Natur suchen. An der Küste bieten sich vielerlei Möglichkeiten, um zu schwimmen, zu schnorcheln oder zu tauchen. Eine besonders gefragte Aktivität ist das Whale Watching.
Osttimor: Tourismus-Boom wegen Walen
Jedes Jahr passieren nämlich hunderte Zwergblauwale und andere Meeressäuger die Strasse von Ombai, eine Meerenge, die von Indonesien an Osttimor vorbei nach Australien führt. Insbesondere zwischen September und Dezember stehen die Chancen gut, dass man dort ein paar Wale zu Gesicht bekommt.
Manche Urlauber zahlen rund 5000 Dollar, um eine Woche Ausschau nach den Tieren zu halten und womöglich die Chance zu bekommen, mit den sanften Riesen zu schwimmen. «Auch wenn Begegnungen mit Walen nie garantiert sind, versuchen die Touristen immer ihr Glück», erklärt Rechelle Trasmonte, eine Mitarbeiterin eines lokalen Whale-Watching-Anbieters.
Laut dem Online-Portal «Reccessary» sind die Touranbieter sowohl für 2026 als auch 2027 ausgebucht. Die Nachfrage ist also enorm. Doch genau das birgt ein grosses Risiko.
Denn einigen Hinweisen und Beobachtungen von Tierschützer und Meeresfotograf zufolge missachten viele Anbieter grundlegende Regeln für verantwortungsvolles Whale-Watching. Boote und schwimmende Touristen kommen den Tieren teils zu nah. Manchmal sind auch zu viele Menschen gleichzeitig im Wasser, sodass die Tiere erheblich gestört werden.
«Reccessary» berichtet, dass manche Tour-Teilnehmer beispielsweise auf die Wale geraten, wenn diese zum Atmen auftauchen. Zudem mangelt es dem Bericht zufolge an systematischer Koordination zwischen den verschiedenen Betreibern. Das führe dazu, dass Wale in der Meerenge immer wieder von einer grossen Anzahl von Booten bedrängt werden.
Momentan würden sich die Betreiber von Instagram-Touris unter Druck setzen lassen, erklärt eine Tauchlehrerin. Viele Influencer würden glauben, ein Anrecht darauf zu haben, Wale zu sehen. Manche kämen in Meerjungfrauenkostümen oder knappen Bikinis, um das perfekte Bild zu schiessen.
Tierschützer warnen: Wale vor Osttimor könnten verschwinden
Deshalb schlagen Tierschützer nun Alarm: Wiederholte Störungen durch Boote und Menschen können die natürlichen Verhaltensweisen der Tiere – etwa Nahrungsaufnahme, Paarung, Geburt und Pflege der Jungtiere – beeinträchtigen. Gerade bei Populationen, die durch die Klimakrise ohnehin unter Druck stehen, ist das besonders problematisch.
Wissenschaftliche Studien zur Auswirkung des Tourismus auf die Wale vor Osttimor gibt es zwar bislang nicht. Wenn sich die Situation weiter verschärft, könnten bald immer weniger Wale vor Osttimor auftauchen, vermuten Experten.
Ein zentrales Problem ist, dass es keine verbindlichen, durchgesetzten Vorschriften für den Wal-Tourismus gibt. Zwar existieren teils Entwürfe für Regelwerke, doch diese sind bislang nicht in geltendes Recht umgesetzt worden, bemängeln Wissenschaftler und Tierschützer.
«Wenn Osttimor nachhaltigen Waltourismus will, müssen Regulierung, Durchsetzung und Einhaltung der Gesetze Vorrang vor der Expansion haben», ist Naturschützer Jafet Potenzo Lopes überzeugt. Erst wenn diese Grundlagen geschaffen sind, können die Anbieter glaubhaft behaupten, ethische «Whale-Watching-Touren» anzubieten.
