Nichts im Gesicht von Pensionär Emil Feuz sieht wütend aus, als er diesen zornigen Satz unter seiner Kappe hervormurmelt. Schon der griechische Philosoph Aischylos habe vor mehr als zwei Jahrtausenden gesagt, im Krieg sei die Wahrheit das erste Opfer. «Und irgendwo muss ja auch die Schweizer Armee das Lügen üben.»
Zwei Stunden Gespräch sind diesem Spruch vorausgegangen, in einer behaglichen Wohnung im Haslital, Berner Oberland. Rund um einen Eichentisch sitzen sieben Anwohnerinnen und Anwohner des Militärflughafens Meiringen. Nussstängeli und Gläser mit Rivella stehen vor ihnen. Und mehrere Bundesordner, die den gesammelten Frust der Anwesenden bündeln: Zeitungsberichte, Briefe, Sitzungsprotokolle aus drei Jahrzehnten, viele davon handgeschrieben. Niederschriften des Widerstands.
Seit kurzem trainieren die ersten Schweizer Pilotinnen und Piloten in den USA den Einsatz mit dem F-35, dem teuersten und komplettesten Kampfjet der Gegenwart. In der Schweiz wächst die Skepsis vor der Abhängigkeit von Trumps USA, die das technische Wunderwerk mit sich bringt. Das zeitigte kürzlich eine Umfrage von Watson. Nirgends aber ist die Angst vor dem Flieger greifbarer als im Haslital.
Die Michels sind das, was man in der Schweiz Chrampfer nennt. Ein Hof, sechs Kinder, dazu bis vor kurzem Mitinhaber eines Baugeschäfts. Peter Michel ist gelernter Maurer und ein Bär von einem Mann, mit Händen wie Schraubstöcken. Seine Frau Maya ist etwas kleiner, und selten sagt sie einen Satz, ohne zu lachen. Sie ist die Schaltzentrale dieses Familienbetriebs.
Gemeinsam stehen die beiden auf der Wiese, die inzwischen die Tochter bestellt. Nur einen Steinwurf dahinter wird der F-35 losdonnern und über Brienzersee oder Susten in den Wolken verschwinden. Schon ab 2028 dürften die ersten Jets von diesem Typ hier landen. «Es ist einfach eine Frechheit», sagt Peter Michel. «So geht man nicht mit Menschen um, die hier wohnen.»
Im Januar 1996 vermeldet die Schweizer Armee stolz: «Der erste Schweizer F/A-18 fliegt». Eben habe im amerikanischen St. Louis (Missouri) der erste Schweizer Kampfjet dieser Art erfolgreich seinen Erstflug absolviert. Der Zufall will es: Im gleichen Monat tritt ein neues Gesetz für militärische Bauten in Kraft. Vorher gab es nichts dergleichen: Der Bundesrat plante, das Parlament sprach das Geld, die Armee baute und nutzte. Fertig.
«Wenn die Armee Platz gebraucht hatte, etwa für ein neues Lager, hat sie uns Bauern einfach das Land weggenommen», sagt Emil Feuz in der Stube der Michels. Die anderen nicken. Jeder hier am Tisch hat eine ähnliche Geschichte parat, die den Konflikt mit der Landesverteidigung dokumentieren soll.
Ähnliches gilt für den Lärm. Der F/A-18 fliegt längst in der Schweiz, als diese die Lärmschutzkataster für die Militärflugplätze erstellt. Erst 2001 liegt ein Entwurf zu einem Sachplan vor, der den Einsatz der Flieger ab Meiringen auf eine rechtliche Basis stellen soll. Etwas mehr als 10'000 Starts und Landungen sieht er vor.
Dagegen wehrt sich die Bevölkerung. Bis vor Bundesgericht streiten die Anwohner mit der Armee – und diese muss klein beigeben. Bevor es zu einem finalen Urteil kommt, zieht die Luftwaffe ihre Pläne zurück. Die Zahl der angenommenen Flugbewegungen sei zu hoch, argumentiert das Verteidigungsdepartement, und verspricht 2002, alsbald einen neuen Plan aufzulegen.
Allein: Darauf warten die Haslitaler bis heute.
Auf immer wieder neue Gründe beruft sich das VBS, um das Versäumnis zu erklären. Zuerst ist es die Armeereform XXI, dann ein neues Stationierungskonzept; auch die Initiative gegen Kampfjet-Lärm führt das VBS ins Feld.
Die Fronten sind zunehmend verhärtet. An einer Infoveranstaltung der Armee vor Weihnachten 2006 werden Nachfolgemodelle der F/A-18 besprochen. Die Luftwaffe verhalte sich in dieser Lautstärke-Debatte zunehmend arrogant, moniert ein Anwohner. «Die Armee/Luftwaffe muss arrogant sein, damit sie den Auftrag der Politik erfüllen kann», antwortet gemäss Sitzungsprotokoll darauf Flugplatzkommandant Paul Schild. In jener Turnhalle in Meiringen steht auch sein Nachfolger Peter Merz, heute Luftwaffen-Chef der Schweiz. Ähnliche Beispiele finden sich in den Aktenstössen der Flugplatz-Gegner zuhauf.
In der Diskussion um die Beschaffung des Gripen unternimmt die Luftwaffe 2007 nochmals einen Anlauf für einen Sachplan. Nach einer verlorenen Volksabstimmung 2014 verliert das VBS aber die Lust an einem raschen Mitwirkungsverfahren. Für die Haslitaler doppelt bitter: In derselben Zeit schliesst die Luftwaffe die Militär-Flugplätze Dübendorf und Sion. Seither ist Meiringen Heimat einer F/A-18-Staffel.
Die Militärvorsteher Adolf Ogi, Samuel Schmid, Ueli Maurer und Guy Parmelin versprachen schon, die Situation in Meiringen zu bereinigen; manche persönlich, manche per Brief. Vergangenen Sommer sass eine Delegation aus dem Berner Oberland ins Bundeshaus West an einem Tisch mit Viola Amherd. Seither hat die Kommunikationsabteilung des VBS den Sachplan bereits zweimal nach hinten verschoben. «Ende 2025», lautet die offizielle Sprachregelung. Peter Michel lacht: «Daran glaubt hier niemand.»
Auch Martin Pfister, der das Sicherheitsdepartement Anfang April übernahm, trauen die Meiringer wenig zu. Sie hatten auf Bauernpräsident Markus Ritter gehofft. Die Haslitaler kämpfen um Lärmschutz-Sanierungen, weniger Flugbewegungen und am allermeisten um Respekt. Doch ohne Sachplan fehlt ihnen dafür jegliche Zielscheibe.
Das Zimmer 3'008 befindet sich im zweitobersten Stock des Bundeshauses Ost. Blick auf den Bundesplatz, an den Wänden hängen Karten von Schweizer Seen. Als die Schweiz 2023 das Jubiläum ihrer Bundesverfassung feierte, fand in diesem Raum eine Ausstellung statt: «Neues Kampfflugzeug F-35A – Von der Evaluation bis zur Einführung».
An einer langen Tischreihe sitzt Bruno Locher. Kurzes, graues Haar, markante Brille. Seit bald dreissig Jahren ist er im VBS als Chef Raum und Umwelt zuständig für den Fluglärm in Meiringen. «Die Situation im Haslital ist schwierig», sagt er. Dass dem Flughafen eine eigentliche Betriebsbewilligung fehlt, räumt er ein. «Es ist richtig. Es wurde nie ein Verfahren bis zu Ende geführt, das eine saubere Basis für einen Flugbetrieb gegeben hätte.»
Für die Anwohner hat das handfeste Auswirkungen: Aktuell fehlt ihnen die Grundlage, um Enteignungsentschädigungen aufgrund des Lärms geltend zu machen. Dafür habe das VBS zweimal Beiträge für Lärmschutzfenster gezahlt. «Uns ist bewusst: Nirgendwo wohnt die Bevölkerung näher an der Piste als in Meiringen. Und die Felswände verstärken den Lärm subjektiv als Echo.»
Subjektiv.
Vieles in diesem Konflikt lässt sich auf dieses eine Wort zurückführen. Denn was ist Lärm überhaupt? Die Definition als «unerwünschter Schall» führt schnell ins Leere: Schlaflose können bereits einen tropfenden Wasserhahn als Marter empfinden.
Noch komplizierter wird es in jenen Sphären, die ein startender Jet auf der Dezibel-Skala erklimmt. Tonhöhe, einzelne Komponenten in einem Geräusch und wie schnell dieses sich verstärkt, haben einen grossen Einfluss auf das Gehörte. Dieses ist, zu einem Teil, auch subjektiv.
«Wenn ein Jet hier startet», sagt Peter Michel, «dann ist das ein körperliches Ereignis.» Er legt die Faust auf seine Brust. «Man spürt es tief hier drin.» Nur einmal hat Michel den neuen Flieger in Meiringen starten gesehen, als der Flieger zu Tests im im Berner Oberland war. Vergangenen Dezember reiste er aber mit anderen auf die Halbinsel Ørland in Norwegen, um sich ein Bild zu verschaffen. «Sehr interessant» sei das gewesen. Dort starten die Jets hinter zwei Zäunen und einem hohen Erdwall auf das offene Meer. In Meiringen führt eine öffentliche Strasse über die Piste. Direkt daneben weiden Kühe.
Im Restaurant Fliegertreff, der Kantine des Militärflugplatzes Meiringen, ist der F-35 bereits zu sehen, sogar mit Schweizer Kreuz. Er misst allerdings wenig mehr als eine Handfläche und würde die Schweiz im Notfall nicht verteidigen: 85 Franken kostet das Modell im Massstab 1:72. Und jemand hat den neuen Flieger mit Airbrush an die Decke gemalt. Die Vorfreude auf den Jet ist spürbar. Dieser ist auch ein Wirtschaftsfaktor: Der F-35 werde sicherstellen, «dass die bestehenden rund 220 Arbeits- und Ausbildungsplätze im Zusammenhang mit dem Flugplatz im Haslital erhalten bleiben», schreibt das VBS im August 2024 in einer Stellungnahme zuhanden der Gemeinde Meiringen.
Gleichzeitig ist der Flugplatz Meiringen so etwas wie das Réduit der Luftwaffe: «Es handelt sich aufgrund der Topografie um den bestgeschützten Flugplatz der Schweiz», sagt Locher. Nirgendwo sonst kann die Armee ihre Jets tief in Berg-Kavernen verstecken.
«Was uns Sorgen macht, ist das da drüben.» Maya Michel nickt mit dem Kopf genau zu jener senkrechten Felswand der Alp Oltscheren, die sich direkt hinter dem Flugplatz aufbaut. Die Wände, sagt Michel, würden den Schall im Tal hin- und herwerfen.
«Bei einem so grossen Direktschall spielt ein Echo rechnerisch eine untergeordnete Rolle», sagt dagegen Bruno Locher, und zeichnet zwei Spitzen auf ein Papier. «Ein Ereignis wird etwas länger, aber das Lärmmaximum bleibt gleich.»
Auftrieb erhält die Diskussion um Lärm auch durch Starts mit Nachbrennern. In die Abgase eingespritztes Kerosin entzündet sich und sorgt für zusätzlichen Schub – und ein lautes Röhren. Ursprünglich versprach die Luftwaffe, dass Nachbrenner-Starts jährlich nur 30 Mal vorkommen würden. Jahre später und erst auf Nachfrage gab das VBS zu, diese auf Wunsch der Piloten fast immer einzusetzen. Die Quote liege bei 80 Prozent der jährlichen 2250 Startmanöver, schrieb der Bundesrat 2016.
Auch darum haben Versprechungen des VBS in Teilen der Meiringer Bevölkerung keine Bedeutung mehr. Die Rechnung, der neue Jet sei zwar etwas lauter, starte aber seltener als sein Vorgängermodell: wertlos. «Wir vertrauen dem, was wir selber sehen und hören», sagt Peter Michel. Seit Monaten leistet er sich eine professionelle Lärmmessanlage. Auch nach Ørland nahm er ein kleines Gerät mit. So wollen Michels ihr Empfinden in nüchterne Zahlen übersetzen, um in Bern Gehör zu finden.
In ihrem Büro in Brienz zeigt Maya Michel auf einen grünen Graphen an ihrem Bildschirm. «Man kann erkennen, ob zwei Flugzeuge gleichzeitig oder gleich hintereinander starten», sagt sie. Die für Lärm zuständige Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) zweifle die Werte der Anlage nicht an, sagen Michels. Das sei auch in gemeinsamen Gesprächen so festgehalten.
Manchmal beginnen die Unstimmigkeiten aber schon vor dem Zahlenvergleich: Die Messungen in Norwegen beispielsweise habe Michel nicht mit der üblichen Einstellung am Gerät vorgenommen, sagt Locher. «Nicht jede Messung lässt sich vergleichen.»
Seit März ragen hinter dem ehemaligen Hühnerstall der Michels gleich zwei Eisenstangen mit Mikrofonen in den Himmel: eine der Firma Sinus, privat bezahlt von den Flugplatzgegnern. Und eine der Empa. So klein der Abstand zwischen den beiden Messgeräten, so gross ist inzwischen das Misstrauen zwischen Bund und Bevölkerung. Eine Wahrheit, auf die sich beide Seiten einigen können, haben die beiden Antennen noch nicht hervorgebracht.
Sie haben das tatsächlich geglaubt? Ich schmeiss mich weg 🤣