Musig im Pflegidach

Torun Eriksen @ Musig im Pflegidach, Muri

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Wo Worte versagen, singt sie: eine Stimme wie ein Flüstern ins Herz

Keine Begrüßung, kein Auftaktapplaus, stattdessen Stille. Dann setzt die Musik ein. Sanfte Töne, fast wie ein fernes Meeresrauschen, füllen den Raum. Torun Eriksen steht in der Mitte der Bühne, die Augen geschlossen. Sie singt nicht, sie scheint in sich zu versinken. Es ist, als würde sie erst die Verbindung zu sich selbst herstellen, bevor sie sie mit dem Publikum teilt. Nach wenigen Sekunden ist klar: Das hier wird kein gewöhnliches Konzert, sondern ein intimes Erlebnis, das man nicht nur hört, sondern körperlich spürt.
13.10.2025, 08:5215.10.2025, 08:52
laurin schöb & katharina wolfisberg

Ein Raum voller gespannter Stille

Von Anfang an herrscht eine besondere Konzentration. Man hört kein Räuspern, kein Husten, nur das leise Rascheln von Jacken. Die Zuhörer wirken wie gebannt, jeder Ton steht im Raum, schwerelos, bevor er in die Stille zurückfällt. Es gibt keine überflüssigen Gesten, keine künstlichen Emotionen. Die Musik spricht selbst. Beim dritten Stück, Mothårs, geht Eriksen plötzlich in die Knie, der Körper ganz nah am Boden, als müsse sie sich verankern. Ein kurzer Moment, der das Publikum sichtbar aufhorchen lässt. Dann richtet sie sich wieder auf, die Stimme nun noch intensiver, fast dringlich. Es sind kleine Gesten wie diese, die den Abend so besonders machen. Nichts ist Show, alles ist Ausdruck.

Hinweis
Die Autoren sind Schüler an der Kantonsschule Wohlen. Im Rahmen ihresDeutschunterrichts verfassen die Schülerinnen und Schüler auch Konzertberichte,die in die Note einfliessen.

Ein Abend über Übergänge

Nach dem ersten Stück bricht Eriksen das Schweigen und spricht zum Publikum. Sie bedankt sich dafür, dass alle klatschen, und lacht. Erst jetzt erfolgt eine richtige Begrüßung. Es ist, als hätte sie den Raum erst einmal mit Musik aufgeladen, bevor sie ihn mit Worten betritt.

Sie erzählt von der langen Zeit seit ihrem letzten Auftritt hier, von den drei Alben, die seitdem entstanden sind, und davon, dass dieses Konzert vor allem dem neuesten gewidmet ist, einem Werk, das sie komplett auf Norwegisch geschrieben hat. „Es ist die Sprache, die in meiner Wirbelsäule liegt“, sagt sie in einem kurzen Interview nach dem Konzert. Man versteht, dass sie nicht nur singt, sondern sich selbst näherkommt, wenn sie in ihrer Muttersprache performt.

Der Abend kreist um große Themen: Zeit, Verlust, Übergänge. Immer wieder spricht Eriksen über Momente, in denen das Leben klarer wird, etwa beim Sonnenuntergang. „Wenn man die Sonne untergehen sieht, sieht man, wie sich die Zeit bewegt“, erklärt sie. Sie spricht über den Tod ihres Vaters und über das Gefühl, das bleibt: die Trauer, die Dunkelheit und das Licht, das trotz allem darin steckt. „Dieses Album ist nicht über den Tod, es ist über das Leben“, sagt sie, und man spürt, dass es nicht nur leere Worte sind.

Torun Eriksen - "Darkness" @ musig im pflegidach, Muri

Musik, die atmet

Die Setlist liest sich wie eine Reise durch diese Gedankenwelt: Overgang, Ha feste, Mothårs, Langs en vei, alles Titel, die von Aufbruch und Bewegung erzählen. Die Musik ist dabei nie aufdringlich, sondern lässt Raum. Pausen wirken, Töne dürfen verhallen. Das Klavier von Alessandra Bossa verschmilzt mit sanften elektronischen Klangflächen, die Klarinette von Nymo Atle fügt eine melancholische Wärme hinzu, Kjetil Dalland am Bass gibt dem Ganzen Tiefe und Fundament, und Eriksens Stimme liegt über allem, mal wie ein Hauch, mal glasklar, mal mit tiefer, vibrierender Kraft. Immer wieder sucht Eriksen den Blickkontakt mit ihren Bandmitgliedern. Man sieht, wie sie sich gegenseitig Zeichen geben, sich motivieren, einander zuhören. Das Konzert wirkt dadurch weniger wie eine Darbietung und mehr wie ein gemeinsames Miteinander. Man sitzt nicht nur im Publikum, man ist Teil davon.

Zwischen Nähe und Weite

Spätestens bei Darkness wechseln die Sprach- und Klangwelten. Nun singt Eriksen auf Englisch. „Darkness comes in the middle of the night“, singt sie, und es klingt nicht düster, sondern fast tröstlich. Ihre Stimme ist nah, verletzlich, als würde sie einem etwas ins Ohr flüstern. Der letzte Teil des Konzerts führt in eine andere Richtung. Das tiefrote Liebeslied Joy ist sinnlich, fast körperlich, voller Energie. Eriksen beschreibt mit ihrer Stimme eine Welt der Hingabe, die nicht schüchtern ist, sondern stolz. Hier lacht sie, hier strahlt sie.

Als Zugabe spielt sie Glittercard, den Titeltrack ihres ersten Albums. Es ist wie ein Kreis, der sich schließt: vom neuen, norwegischen Material zurück zu ihren Anfängen. „Manchmal ist man einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, sagt sie, und dieser Satz beschreibt den Abend perfekt.

Ein Konzert, das nachklingt

Nach dem letzten Ton bleibt es einen Moment still. Dann bricht der Applaus los, lang, warm, herzlich. Eriksen bedankt sich ein letztes Mal beim Publikum, bei ihrer Band und erwähnt das Team hinter den Kulissen. Es ist dieser Respekt, der sie auszeichnet. Jeder wird gewürdigt, niemand bleibt unsichtbar.

Wer das Konzert erlebt hat, geht nicht allein einfach nach Hause. Man nimmt etwas mit: das Gefühl, eine Stunde lang ganz präsent gewesen zu sein. Torun Eriksen singt nicht, um zu beeindrucken, sie singt, um zu verbinden. Ihre Musik ist eine Einladung, sich selbst zu spüren, die Zeit wahrzunehmen, die eigene Trauer, die eigene Freude. Und wenn man später hinaus in die Nacht tritt, fühlt man sich ein wenig leichter. Vielleicht, weil man spürt, dass Musik manchmal genau das tun kann, was Worte nicht schaffen. Sie flüstert direkt ins Herz.

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