Musig im Pflegidach

Savannah Harris Trio @ musig im pflegidach, Muri

Savannah Harris Trio @ musig im pflegidach, Muri

Savannah Harris-Trio zerlegt die Turnhalle

Eine einfache Turnhalle, eine kleine Bühne – und doch: Wenn Musig im Pflegidach zur Konzertreihe lädt, verwandelt sich der Raum in einen Ort konzentrierter Aufmerksamkeit. Beim zweiten Konzert der Saison standen Savannah Harris, Emmanuel Michael und Dan Pappalardo auf der Bühne – drei Musiker, die zeigen souverän, wie intensiv und zugleich unangestrengt Jazz wirken kann.
05.10.2025, 00:0007.10.2025, 11:20
Amélie Scilingo

Hohe Erwartungen fürs Pflegidach

Vor Konzertbeginn liegt eine ruhige Spannung im Raum. Im Hintergrund läuft bereits Jazzmusik, allerdings nicht von der Band selbst. Das Publikum besteht überwiegend aus Jazzkennern und -liebhabern; man merkt, dass es sich mehrheitlich nicht um Gelegenheitsbesucher handelt. Viele Gäste kennen sich untereinander, die Stimmung wirkt fast familiär.

Auf die Frage «Was erwarten Sie heute Abend?» antwortet ein Befragter im Publikum: «Gueti Musig natürlech». Die Erwartungen sind also hoch, denn die Serie „Musig im Pflegidach“ ist bekannt für ihre Qualität – und dennoch ist die Band für die meisten neu.

Hinweis
Die Autorin ist Schülerin an der Kantonsschule Wohlen. Im Rahmen ihresDeutschunterrichts verfassen die Schülerinnen und Schüler auch Konzertberichte,die in die Note einfliessen.

Auftakt mit „Printmakers“

Als die drei Musiker die Bühne betreten, ist ihre Konzentration spürbar. Jeder scheint zunächst mit sich selbst beschäftigt, die Spannung liegt in der Stille. Mit dem ersten Stück, „Printmakers“, einem Tribut an die Pianistin und Komponistin Geri Allen, fällt die Zurückhaltung. Alles ist, wie Savannah Harris in einer kurzen Pause erwähnt: «Eine grosse Inspiration für das Trio, als Pianistin und als Komponistin».

Der Groove ist sofort präsent, sofort steckt die Band das Publikum an und entzündet den Raum. Das Publikum hört konzentriert zu. Manche wippen mit dem Fuß oder bewegen unmerklich den Kopf im Takt. Harris treibt an, Michael und Pappalardo greifen die Energie auf. – und plötzlich legt Savannah richtig los und es wird klar: Hier wird niemand geschont, schon gar nicht das Herzrhythmuszentrum.

Schon hier ist bemerkbar: Das Trio kommuniziert nicht über große Gesten, sondern über kleine Signale. Ein Blick von Emmanuel zu Dan, ein kurzes Kopfnicken von Savannah – und sofort wechseln sie zwischen Rhythmen, Tempi und Stimmungen. Die Interpretation der Band verleiht dem Stück von Allen eine besondere Tiefe, die sich auch auf das Publikum überträgt. Allen hatte als Pianistin das Stück ursprünglich für Klavier geschrieben, das Trio spielt ein Cover des Werkes.

Savannah Harris Trio - "More Is" @ musig im pflegidach, Muri

Dynamische Musiker oder musikalische Dynamik

Die Verständigung innerhalb der Band ist beeindruckend. Ohne viele Worte bewegen sich die Musiker sicher durch komplexe Takte, abrupte Pausen und dynamische Steigerungen. Für das Publikum ist es faszinierend, wie selbstverständlich diese Absprachen wirken: Da reicht ein kaum merkliches Signal, um den Verlauf eines Stückes zu steuern. Für Außenstehende ist diese Selbstverständlichkeit beeindruckend: Die Musik wirkt frei, bleibt aber stets kontrolliert – fast wie ein Gespräch ohne Worte. Jazz eben: reden, ohne zu reden.

Die Musiker selbst scheinen ganz bei sich, fast so, als gäbe es das Publikum gar nicht. Das Trio spielt für den Moment, nicht für den Applaus – der aber natürlich regelmässig einsetzt. Im Gegensatz zu der Art, mit der normalerweise bei Konzerten die Musiker mit dem Publikum interagieren, so haben die Musiker am Sonntagabend das Publikum kaum eines Blickes gewürdigt. Die Musiker wirken dabei so versunken in ihr eigenes Spiel, dass sie die Reaktionen kaum beachten. Gerade das verstärkt die Intensität: ein Konzert, das eher geteilt als vorgeführt wird.

Beim Beobachten der Körpersprache der drei Musiker fällt auf, dass Dan Pappalardo sein Instrument fast tänzerisch spielt. Während er mit dem Kontrabass interagiert, entsteht der Eindruck, er bewege sich im Rhythmus mit dem Instrument, anstatt ihm nur Töne zu entlocken. Was ungewöhnlich ist, denn normalerweise wirken die Bassisten eher stoisch in ihrem Spiel. Man hat das Gefühl er tanze mit dem Kontrabass. Die Basslinien sind kraftvoll, geerdet, aber nie schwerfällig – sie verleihen der Musik Struktur.

Für Michael ist das Pflegidach ein besonderer Ort: Er erzählt, dass er hier überhaupt erst Zugang zum Jazz gefunden habe, da er früher die Videos vom Musig im Pflegidach geschaut habe und so überhaupt auf die Musikrichtung aufmerksam geworden ist. Sein Sound ist beeindruckend, manchmal fast zurückhaltend, dann wieder voller Energie. Technisch ein absoluter Profi, wie er den Klang manipuliert und sich so virtuos zwischen Tradition und modernen Klängen, ohne sich in Effekten zu verlieren. Er ist das verbindende Glied zwischen Rhythmus und Melodie und verleiht dem Trio einen offenen, modernen Sound.

In der Jazzszene, in welcher Frauen und insbesondere Schlagzeugerinnen immer noch unterrepräsentiert sind, beeindruckt Harris nicht durch „Beweisdrang“, sondern primär durch souveräne Gelassenheit. Sie kombiniert komplizierte rhythmische Abfolgen mit dynamischen Läufen, setzt kraftvolle Akzente, wechselt dann mühelos in lockere Backbeats und gibt den Mitspielern Raum. Technisch präzise und gleichzeitig improvisatorisch flexibel, wie Sie mit einem 5 Minuten langen Solo beweist , trägt sie den Groove, ohne sich in den Vordergrund zu drängen.

Musikalisch überzeugt das Trio durch Präzision und Timing, vor allem im Zusammenspiel. Harris’ Schlagzeugspiel bildet das Rückgrat, während Bass und Gitarre flexibel agieren. Musikalisch abwechslungsreich, mit klugen Spannungsbögen und überraschenden Wendungen, entsteht ein Jazz, der gleichermaßen zugänglich wie anspruchsvoll ist. Emotional entfaltet sich die Musik weniger über große Gesten oder grossen Ansagen, sondern über ihre Intensität. Es ist keine Performance, die sich durch Showeffekte definiert, sondern durch Ernsthaftigkeit und Genuss. Die Stücke nehmen sich Raum, lassen Pausen wirken und bauen Spannung über feine Dynamikwechsel auf.

Ein Statement für die Musik

«Musik kann den Menschen so viel geben», betont Savannah Harris in einem anschliessenden Interview. Man solle sich nicht auf einen Stil beschränken, sondern neugierig bleiben und möglichst viele Richtungen erforschen. Dieser Gedanke schien über dem ganzen Abend zu schweben: ein Konzert, in dem experimentelle Eigenkompositionen sowie in der Jazzwelt bekanntere Stücke, sogenannte Standards gleichermassen vorgetragen werden.

Das Trio zeigte, dass Jazz im Kern eine Einladung ist – zum Zuhören, zum Mitdenken, zum Mitfühlen. Wer sich darauf einließ, verließ die Turnhalle mit mehr als nur guter Laune: vielleicht mit der Erkenntnis, dass Musik keine Grenzen zieht, sondern sie vor allem aufhebt.

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quelle: patrick britschgi
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