Rupperswil-Vierfachmörder Thomas N. erzielt vor Gericht einen überraschenden Erfolg
Derzeit sitzt Thomas N., der Vierfachmörder von Rupperswil, in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies in Regensdorf ZH. Seit seiner grauenvollen Tat kurz vor Weihnachten 2015 sind inzwischen fast zehn Jahre vergangen. Doch der Mann, der zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt und verwahrt wurde, beschäftigt auch heute noch die Aargauer Justiz. Dies zeigt ein Urteil des kantonalen Verwaltungsgerichts, das vom 17. September stammt und am Mittwoch publiziert wurde.
Gericht ordnet Abklärungen bei Thomas N. an
Das Gericht hatte sich mit einem Antrag von Thomas N. zu befassen, der eine Therapie forderte. Und es entspricht dieser Forderung, wie aus dem Entscheid hervorgeht – obwohl sich die Aargauer Staatsanwaltschaft und das Amt für Strafvollzug dagegen aussprachen. Thomas N. hatte am 4. November 2024 bei dieser Behörde ein Gesuch um Genehmigung einer deliktorientierten Therapie durch den Psychiatrisch-Psychologischen Dienst Zürich bzw. für den Eintritt in die «therapeutische Eingangsabklärung» für eine solche Therapie gestellt.
Das Amt für Justizvollzug und später auch der Rechtsdienst des kantonalen Innendepartements wiesen das Gesuch jedoch ab. Das Verwaltungsgericht hat nun anders entschieden: Es heisst die Beschwerde von Thomas N. teilweise gut und weist das Verfahren zurück ans Amt für Strafvollzug. Laut dem Gericht ist der begonnene Abklärungsprozess wieder aufzunehmen und eine deliktorientierte Therapieprüfung zu ermöglichen. Diese werde abschliessend «den Entscheid über die Aufnahme in einen ordentlichen Behandlungsprozess beinhalten», heisst es im Entscheid.
Das Gericht hält fest, bei Thomas N. sei von einer grundsätzlichen Therapierbarkeit und einem ausreichenden Behandlungswillen auszugehen. Das Amt für Justizvollzug habe den Abklärungsprozess beim Täter vorzeitig abgebrochen, «in der unzutreffenden Annahme, dass eine freiwillige Therapie von vornherein ausscheide». Grund dafür war die Aussage des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes, eine solche Therapie würde sich inhaltlich mit einer ambulanten Behandlung decken – eine solche hatte das Bundesgericht Thomas N. zuvor verwehrt.
«Pflicht» für Therapieangebot auch bei Verwahrten
Im Entscheid des Verwaltungsgerichts heisst es, die Vollzugsbehörde habe eine «verfassungs-, konventionsrechtliche und gesetzliche Pflicht», Thomas N. «trotz eingeschränkter Behandelbarkeit eine Therapie anzubieten». Diese müsse bei einem erfolgreichen Verlauf eine realistische Perspektive auf eine Wiedererlangung der Freiheit bieten. «Soweit eine Person therapeutisch ansprechbar ist, liegt es grundsätzlich auch im Interesse der Allgemeinheit, die Zeit des Vollzugs zu nutzen, um das Rückfallrisiko zu senken», begründet das Gericht.
Eine solche Therapie müsse über die psychiatrische Grundversorgung hinausgehen und auf «eine Verbesserung der Legalprognose» ausgerichtet sein, schreibt das Gericht weiter. Damit ist gemeint, dass der Täter nach Abschluss der Therapie möglicherweise freikommen könnte – sofern die Behörden zum Schluss kommen, dass er keine Gefahr für die Öffentlichkeit mehr darstellt. So argumentierte auch Thomas N: Zwar bestehe keine gesetzliche Grundlage für eine freiwillige deliktorientierte Therapie, das Vollzugsziel müsse jedoch die Wiedererlangung der Freiheit sein.
Entlassung in fünf Jahren wegen guter Führung?
Damit bestehe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass «die Gefahr weiterer mit der psychischen Störung im Zusammenhang stehender Straftaten» innerhalb von fünf Jahren deutlich verringert werden könne, führte er weiter an. So liesse sich eine tatsächliche Reduktion des Rückfallrisikos erreichen, zumal er bereit sei, den langwierigen und herausfordernden Therapieverlauf anzugehen. Gemäss Thomas N. gebe es «keine belastbaren Argumente, die gegen seine Behandlungswilligkeit und -fähigkeit sprächen».
Zudem weist der Mörder darauf hin, dass er sich im Vollzug vorbildlich verhalte und deshalb in rund fünf Jahren «aus der lebenslänglichen Freiheitsstrafe zufolge ausserordentlich guter Führung entlassen» werden könnte. Danach würde bei ihm die Verwahrung greifen, doch Thomas N. sieht offenbar Möglichkeiten, diese zu vermeiden. Vor dem Übertritt in die Verwahrung sei zu prüfen, ob deren Vollzug erforderlich sei oder ob stattdessen eine therapeutische Massnahme in Betracht komme.
Staatsanwaltschaft: «Priorität auf Schutz der Bevölkerung»
Die Oberstaatsanwaltschaft habe vom Entscheid des Verwaltungsgerichts Kenntnis genommen, teilt Sprecher Adrian Schuler auf Anfrage mit. Das Gericht halte fest, «dass die Vollzugsbehörden verpflichtet sind, einem Täter im Rahmen einer lebenslangen Freiheitsstrafe eine minimale Perspektive auf eine mögliche Resozialisierung zu eröffnen». Schuler betont: «Es geht dabei nicht um eine Entlassung oder Lockerung des Vollzugs, sondern um die Frage, ob überhaupt geprüft werden soll, ob eine Therapie im Grundsatz denkbar ist.»
Der Sprecher sagt weiter: «Uns ist bewusst, dass dieser Entscheid bei vielen Menschen Unverständnis und auch Sorge auslöst.» Die Oberstaatsanwaltschaft teile die Einschätzung, dass der Schutz der Bevölkerung in einem solchen Fall oberste Priorität haben müsse. Die Umsetzung des Gerichtsentscheids liege nun bei den Vollzugsbehörden, «die die weiteren Schritte sorgfältig und verantwortungsbewusst beurteilen werden».
Laut Schuler zeigt der Entscheid auch, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen in diesem Bereich anspruchsvoll sind. «Zwischen dem Schutz der Gesellschaft und den Rechten eines Täters auf menschenwürdige Behandlung muss immer wieder eine schwierige Balance gefunden werden.»
Gerichte beurteilen Therapiefrage unterschiedlich
Die Frage, ob Thomas N. eine Therapie erhalten soll, beschäftigte die Justiz schon früher. Am 16. März 2018 verurteilte das Bezirksgericht Lenzburg den Vierfachmörder zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe, ordnete eine ordentliche Verwahrung sowie eine ambulante Therapie an. Staatsanwältin Barbara Loppacher hatte eine lebenslängliche Verwahrung beantragt, Verteidigerin Renate Senn lediglich eine ambulante Massnahme, also eine Therapie im Gefängnis.
Die Forensiker Josef Sachs und Elmar Habermeyer diagnostizierten eine Persönlichkeitsstörung und Pädophilie. Die Gutachter kamen zum Schluss, dass der Täter therapierbar sei, das Gericht verzichtete deshalb auf eine lebenslängliche Verwahrung. Diese hätte eine Rückkehr in die Freiheit praktisch unmöglich gemacht. Die ordentliche Verwahrung, die N. erhielt, wird hingegen regelmässig überprüft.
Bundesgericht wies Antrag auf Therapie ab
Thomas N. zog das Urteil ans Aargauer Obergericht weiter und focht die ordentliche Verwahrung an. Staatsanwältin Loppacher forderte erneut eine lebenslängliche Verwahrung und die Aufhebung der Psychotherapie. Bei der Frage der Verwahrung bestätigte die höchste kantonale Instanz das Urteil des Bezirksgerichts Lenzburg. Die Therapie für den Vierfachmörder wurde hingegen gestrichen – diese könne die Wahrscheinlichkeit für weitere Straftaten nicht vermindern, befand das Gericht.
Für den Rupperswil-Mörder bedeutete dieser Entscheid eine Niederlage. Während des Prozesses betonte seine Verteidigerin, dass ihr Mandant therapiewillig sei. Thomas N. focht das Obergerichtsurteil in Lausanne an, blieb aber auch damit erfolglos. Das Bundesgericht entschied im Juni 2019: Es gibt keine vollzugsbegleitende Psychotherapie. Die Verwahrung und die Anordnung einer solchen Massnahme würden sich rechtlich ausschliessen, hiess es zur Begründung.
Gutachter: Erfolge erst nach vielen Jahren möglich
Die Bedingung für eine Verwahrung sei die langfristige Untherapierbarkeit eines Verurteilten, schrieb das Bundesgericht. Die Voraussetzung für eine vollzugsbegleitende therapeutische Massnahme sei eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass eine Therapie innerhalb von fünf Jahren Wirkung zeige. Dies schlossen die beiden psychiatrischen Gutachter aus – sie erklärten Thomas N. zwar für grundsätzlich therapierbar, sagten aber auch, bis zu ersten Erfolgen könnte es viele Jahre dauern.
Das Bundesgericht wies darauf hin, dass der Täter im Gefängnis – auch ohne ambulante Therapie – die nötige Unterstützung erhalten könnte. So könne er Sprechstunden der psychiatrischen Grundversorgung besuchen, zudem gebe es auch für Verwahrte eine freiwillige Therapie. Allerdings gibt es dabei einen wichtigen Unterschied: Anders als bei einer ambulanten Massnahme schreiben diese Therapeuten keine Berichte an die Behörden.
Warum pochte Thomas N. auf die Psychotherapie?
Thomas N. hatte vor diesem Hintergrund argumentiert, eine ambulante Therapie könnte allenfalls dazu führen, dass die Verwahrung nicht vollzogen werden müsse. So gebe es für ihn eine Perspektive für eine mögliche Entlassung aus dem Gefängnis – diese Möglichkeit wird in seinem Fall nach 15 Jahren erstmals geprüft. Dies ist bei «lebenslänglich» üblich, doch ein Straftäter kommt nur frei, wenn er nicht mehr als Gefahr für die Gesellschaft eingestuft wird.
Mit der Psychotherapie hätte Thomas N. die Möglichkeit gehabt, schon früh Argumente zu sammeln, um seine allfällige Ungefährlichkeit zu belegen. Doch nach einem möglichen vorzeitigen Ende der Freiheitsstrafe greift bei ihm die Verwahrung, die zeitlich nicht begrenzt ist. Diese muss zwar jährlich überprüft werden, allerdings ist die Chance auf eine Freilassung sehr gering. In einer Studie aus dem Jahr 2019 zeigte sich, dass nur zwei Prozent der ordentlich Verwahrten vorzeitig entlassen werden.
Vierfachmörder hatte bereits weitere Taten geplant
Der Fall Rupperswil ist eines der grauenvollsten Verbrechen der Schweizer Kriminalgeschichte. Am 21. Dezember 2015 klingelt Thomas N. an der Türe einer Familie aus seiner Nachbarschaft und verschafft sich mittels einer Täuschung Zugang zum Wohnhaus. Er fesselt und knebelt die Mutter, ihre beiden Söhne und die Freundin des älteren Sohnes. Den jüngsten Sohn missbraucht er. Später schneidet er allen vier die Kehlen durch, giesst Fackelöl über Möbel und Kleider und steckt das Haus in Brand.
Es dauert fast fünf Monate, bis der Täter gefasst wird: Am 12. Mai 2016 verhaftet ihn eine Sondereinheit der Kantonspolizei Aargau im «Starbucks» in Aarau. Zuvor war eine Belohnung von 100'000 Franken für Hinweise ausgesetzt worden und eine Sonderkommission hatte intensiv ermittelt. Bei der Medienkonferenz der Strafverfolgungsbehörden tags darauf wird klar: Thomas N. hatte offenbar weitere Taten geplant, einen Rucksack mit dem entsprechenden Material hatte er schon gepackt.
Urteil WBE.2025.163 vom 17. September (bzbasel.ch)