Musig im Pflegidach

Daniel Dor feat. Nitai Hershkovits @ Musig im Pflegidach, Muri

Daniel Dor feat. Nitai Hershkovits @ Musig im Pflegidach, Muri

Berechnete Blütenblätter

Am vergangenen Sonntag spielten Daniel Dor (Klavier, Schlagzeug) mit Nitai Hershkovits (E-Piano, Synthesizer) die Debutshow seines neuen Albums “Four Petals”. Sie bewegen sich in konzeptionellen Welten, streifen Mathematik bis Mystik und erzählen dabei von Persönlichem, Menschlichem. Das Projekt ist ein Paradebeispiel für Veranschaulichungen und Diskussionen neuer Tendenzen im Jazz.
29.05.2024, 22:07
christoph gebhard
Mehr «Musig im Pflegidach»

Musikalische Mandalas

“Four Petals”, das Soloalbum von Daniel Dor, beruht auf einer einzigen, klaren rhythmischen Idee. Ein rhythmisches Muster verschiedener Gruppen kann gleichzeitig auf vier Ebenen rhythmischer Unterteilungen gespielt werden und kreiert so das musikalische Pendant zu einem Mandala. Dor nennt es passend “The Flower”. Eine symmetrische Struktur mathematischer Herkunft, die fast hypnotisierend wirkt. Die Umsetzung, Interpretation und Darstellung liegen aber in den Händen des Musikers. Die Klavieraufnahmen des Albums führen so zu einer wahrlich intimen und inspirierenden Atmosphäre führen.

Diese Aufnahmen entstanden in engster Zusammenarbeit mit dem Pianisten und Produzenten Nitai Hershkovits. Dors Motivation war anfangs, die rhythmisch mathematischen Muster wie ein Roboter nachspielen zu können. Hershkovits war es, der Dor dazu inspirierte und anregte, das menschliche Element in die Kompositionen, später in die Aufnahmen einfliessen zu lassen. Sie entstanden nicht im Studio, sondern auf dem Klavier Dors Kinderzeit in seinem Elternhaus.Das unvergleichliche Konzeptalbum ist das erste Produkt von Dors Forschungen und seinem persönlichen Eintauchen in die Welt von Pendeln und Balancen im Rahmen einer spirituell verstandenen Geometrie. Die Thematik wird übersetzt in Rhythmus, Komposition, Interpretation sowie sprachliche und bildliche Metaphern aller Art. Auf dem Albumcover befinden sich geometrische Visualisationen der 15 Kompositionen.

Hinweis
Der Autor ist Schüler an der Kantonsschule Wohlen. Im Rahmen ihres Deutschunterrichts verfassen die Schülerinnen und Schüler auch Konzertberichte, die in die Note einfliessen.

Die bewusste Stille

Schon zu Beginn des Konzerts wurde klar: Den Gästen des Pflegidachs wird dieser Abend auf eine besondere Art in Erinnerung bleiben. Auch wenn an Sonntagabenden in Muri den verschiedensten Klängen eine Bühne geboten wird, kommt die meiste Musik aus einem klaren Jazzkontext, der wiederum zu einer gewissen Erwartungshaltung beim Publikum führt. Es war deshalb umso beeindruckender, dass zwischen den einzelnen Stücken zu Beginn des Konzerts niemand klatschte. Dor war darüber äusserst glücklich. Er überlegte vor der Aufführung sogar, das Publikum zu bitten, nicht zu klatschen. Damit hätte er, ähnlich zu einem klassischen Rahmen, das Bewusstsein für Pausen und die intendierte Stille hervorgehoben. Aus Neugier, wie das Publikum reagieren würde, tat er es allerdings nicht. Es war das erste Live-Konzert zu diesem Projekt. Das Publikum liess sich ein auf diese eigene Welt. So bildete sich unter der Zuhörerschaft ein genereller Konsens, die Stille zu bewahren und die Spannung zu halten.

Daniel Dor: Four Petals - feat. Nitai Hershkovits - "NM Locust" @ musig im pflegidach, Muri

Für die beiden Musiker ist und bleibt es ein stetiges Herausfinden: Welche Stimmung soll und kann erzeugt werden? Das persönlich enge Verhältnis zwischen Dor und Hershkovits kommt hier zum Vorschein. Vor Jahren, als Dor in Brooklyn in einer Wohnung lebte, stellte er immer wieder sehr zarte, leise Schlagzeugkombinationen zusammen und spielte nachts Konzerte für seine Nachbarn. Hershkovits war immer wieder als Mitspieler dabei. Von Anfang an war für beide klar, dass diese ganz bewusste, ruhige Atmosphäre ein Ideal für die Shows dieses Projekts ist.

Die Blume in neuem Kleid

Daraus ergibt sich die Frage, wie die Setlist geplant wird. Welche grossformale Struktur zieht sich durch das gesamte Konzert? Eine erste Version war am letzten Sonntag zu hören. Nach der Hälfte der Zeit wechselte Dor an das Schlagzeug, um das gleiche Konzept von einer zweiten Seite zu beleuchten. So spielten Dor und Hershkovits Musik des Folgealbums, mit dem sie bereits fast fertig sind. Es behandelt im Grundsatz das gleiche rhythmische Konzept, geht mit den dadurch entstehenden Regeln aber viel lockerer um. Auch die Instrumentierung ist neu: nicht mehr ein einziges, filigranes Klavier, sondern rein synthetische Sounds. Vor allem Hershkovits ist ein grosser Fan der von Prophets und Moogs geprägten Klangwelt der analogen Synthese. Auch alle perkussiven Klänge werden so erzeugt. Die Vision für ein zukünftiges Live-Konzept ist deshalb noch sehr offen und könnte sich als Arrangement für Symphonieorchester, als auch als Kreis aus acht Synthesizern entpuppen. Da die Inspirationen aus den verschiedensten Ecken von modernerklassischer Musik bis zu elektronischer Ambientmusik wie Aphex Twin reichen, verlangt die momentane Diskussion genau diese Art von Positionierung.

Was bleibt, ist eine einzigartige Zusammenführung aus Konzept-, Groove-, und Ambientmusik, dargeboten in einem Jazzkontext.Dor meint dazu, dass die Entwicklung mit dazugehöriger Diskussion sich in eine Richtung bewegt, die von produzierter Musik geprägt ist. Man stellt sich im Gegensatz zum modernen Jazz nun öfter Fragen wie: Welche Rolle hat mein Instrument an dieser Stelle? Oder: Welches Element bewegt sich an dieser Stelle wie stark in Richtung Improvisation und warum?Es geht immer öfter um die grossen, architektonischen Fragen und artistischen Entscheide, als um den individuellen Ausdruck im Moment.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Daniel Dor feat. Nitai Hershkovits @ Musig im Pflegidach
1 / 10
Daniel Dor feat. Nitai Hershkovits @ Musig im Pflegidach
Daniel Dor feat. Nitai Hershkovits @ Musig im Pflegidach, Muri
quelle: christoph biegel
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
0 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!