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Wenn Zürich zu sehr an den Aargau denkt, kann 2014 noch ganz schön hässlich werden

Held der Normcore-Bewegung: Präsident Obama im perfekten Vorstadt-Look auf dem Weg zum Golf mit Dächlikappe, Blouson, leicht zu kurzen Hosen und weissen Socken.Bild: AP/AP
Der neue Modetrend Normcore

Wenn Zürich zu sehr an den Aargau denkt, kann 2014 noch ganz schön hässlich werden

New Yorker Trendfoscher verkünden, dass Normal das neue Hip ist. Jedenfalls modisch gesehen. Eine Idee, von der wir nicht begeistert sind.
29.03.2014, 22:2923.06.2014, 13:03
Simone Meier
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Der Aargau. Die Agglo. Modisch müssen das schwarze Löcher sein. Stellt man sich in Zürich jedenfalls so vor. In Basel auch. Obwohl man einmal nachzählen müsste, wie viele Aargauer eigentlich nach Zürich und Basel eingewandert sind. Wie viele aus der Agglo dort arbeiten. Und den wenigsten sieht man es an. Weil modisch gesehen jeder Mensch anpassungsfähig ist. Formbar und normierbar.

Je teurer und erlesener die Modenorm, desto elitärer fühlt sich der Mensch, desto hipper ist er und damit – ja, genau, ein Hipster. Je preiswerter die Modenorm, desto egalitärer fühlen sich ihre Träger. Sie sind dann – dies ist der aktuelle Hype von New York über London bis Berlin – Normcore. Also der Hardcore unter den selbst ernannten Normalen. Bodenlos bieder. So, wie man sich eben in Zürich den Aargau vorstellt, beziehungsweise, wie man den imaginierten Aargau bald einmal nachstellen wird, wenn Normcore auch in Zürich gross sein wird. 

Die Mode der Unauffälligen

Die Idealisten und Schönrednerinnen unter den Normcore-Aposteln (also jene Designer und Stylistinnen, die als Erste bewusst damit gearbeitet haben), nennen Normcore eine demokratische Bewegung. Eine, die angeblich auf Masse statt Kasse setzt. Auf die amerikanische Mall. Oder, auf die Schweiz umgerechnet: Normcore heisst, seine Kleider in der Migros zu kaufen, nicht mehr in der Hipster-Boutique. Normcore ist die Mode der Unauffälligen, der Bequemen, derer, die bloss ein Teilchen unter Vielen sein wollen. 

Zu den Stilvorbildern von Normcore gehören zum Beispiel Touristen. Oder Lehrer. Oder Mütter und Väter.

Überspitzt liesse sich sagen: Normcore ist die Mode der inneren Werte. Ist sie natürlich nicht. Normcore ist nur eine andere Form von Retrochic und, seien wir ehrlich, eine besonders hässliche. Denn das Stildiktat von Normcore will, dass der Mensch aussieht wie das Klischee einer als besonders stillos gebrandmarkten Bevölkerungsgruppe. Natürlich nur aus Sicht der jungen, urbanen Stildiktatoren, die im Fall von Normcore zufälligerweise alles Kinder der 90er- beziehungsweise junge Erwachsene der 00er-Jahre sind.

Zu ihren Stilvorbildern gehören zum Beispiel Touristen. Oder Lehrer. Oder Mütter und Väter. Oder der Schauspieler Ryan Gosling, der jetzt verkündet hat, er wolle nie mehr auffallen. Was ungefähr die absurdeste Aussage ist, die ein Hollywood-Star machen kann. Oder Barack Obama in seiner Freizeit. Das Herrenmagazin «GQ» etwa bezeichnet Obama als «Normcore practitioner», als Normcore-Anwender also, und zwar, weil er nach Büroschluss total angesagte «Mom-Jeans» tragen würde, Jeans, die nach Tatendrang und nach Vorstadt aussehen: «Das sagt nicht: ‹Schaut mich an!› Das sagt: ‹Hört mir zu!›»

Von der Horrorschlappe zum Style-Teil: Normcore verklärt den Croc zum Kult-Schuh.Bild: Keystone

Mom-Jeans waren bis heute noch nie angesagt. Denn Mom-Jeans sind, wie der Name sagt, hochgeschnittene Jeans mit angenehm weiten Beinen für Frauen, die Kinder und viel zu tun haben. Jetzt kommen sie also zurück, gemeinsam mit ebenso hochgeschnittenen Bundfaltenhosen, Fleece-Pullis (am besten von North Face), Rollkragenpullis, Trainerhosen, Crocs und Dächlikappen für alle.

Überhaupt gehört die omnipräsente Outdoor-Fashion zur Grundausstattung der Normcores. Sie signalisiert aktive Freizeitgestaltung, eine praktische Ader, ein anhaltendes «Zurück zur Natur», selbst wenn man ein Stadtbewohner ist, und eine kollektive Sehnsucht nach den Schulreisen von damals, als die Normcores von heute noch klein und behütet waren und noch nicht unter einem Modediktat standen. Und auch noch nicht richtig wussten, was Sex ist. Damals, im Aargauer Einfamilienhaus mit Garten, wo es immer nach Meister Proper roch. Jedenfalls in der verklärten Erinnerung der Normcore-Apostel.

Ob das eine Massenbewegung wird? Wohl kaum

Selbstverständlich handelt es sich beim Normcore genauso sehr um ein ausgetüfteltes Totaldesign wie beim Hipster, der ja vom Barthaar bis zur Velo-Pedale ein Gesamtkunstwerk ist. Denn natürlich kann man jetzt nicht einfach die Kleider der Eltern aus dem Mottenschrank nehmen, nein, die Mom-Jeans müssen neu und an der exakt richtigen Stelle abgewetzt sein. Sie sollen eine klare Referenz an die 90er-Jahre darstellen und überhaupt am besten ein bisschen nach der übertriebenen Provinzästhetik auf den Fotografien eines Martin Parr aussehen, sonst sind sie falsch und fallen unangenehm auf in der Masse derer, die von Normcore erfasst werden sollen.

Wobei es diese Masse ausser in gewissen urbanen Quartieren sowieso nie geben wird. Also ausserhalb von New York, London, Berlin und Zürich. Im Aargau jedenfalls nicht. Der wird modisch weiterhin machen, was er will. Und der wahre Schrecken der Mode aus dem Aargau oder aus der Agglo ist in Wirklichkeit wohl gar nicht so sehr diese Mode selbst. Der wahre Schrecken ist die Vorstellung, die sich die Modemacher in Zürich und Basel davon machen.

Und so würden glückliche Normcores am liebsten aussehen: Wie diese Rollschuhfahrer 1997 in Lugano.Bild: KEYSTONE GIORNALE DEL POPOLO
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