Bigler und das Tessin: un amore grande
Die Liebe begann früh. Schon Otto Bigler zog es in den Süden. Ihn faszinierten die warme Gastfreundschaft, die Sprache und nicht zuletzt das stolze Metzgerhandwerk des Tessins. So sehr, dass er als junger Mann Italienisch lernte – nicht aus Pflicht, sondern aus echter Begeisterung. In den 1960er-Jahren belieferte Bigler erstmals Macellerias im Tessin, damals noch mit Körben voller Fleisch, die auf dem Leiterwägeli zum Bahnhof gebracht, mit Eisblöcken gekühlt und per Zug über den Gotthard transportiert wurden. «Unsere erste Kundschaft war im Tessin, unser erster Aussendienstmitarbeiter hiess Vescovi», erinnert sich Jürg Bigler, Präsident des Verwaltungsrats.
Auch die Salami war früh Teil der Bigler-Welt. Schon in den 50er-Jahren holte man italienische Spezialisten nach Büren. Doch Mitte der 1980er-Jahre öffnete sich eine Türe, die alles veränderte: In Davesco führte Sandro Aresi das junge Familienunternehmen Orello Carne, einen der wichtigsten Abnehmer von Bigler. Die Zusammenarbeit lief so gut, dass Otto und Jürg Bigler nach Lugano reisten – und mit einem Handschlag die Zukunft besiegelten. Der Kauf von Orello brachte nicht nur einen Standort im Tessin, sondern vor allem das Wissen um die Kunst des Salami- und Schinkenhandwerks direkt ins Haus.
Bis heute trägt Gérard Bigler diese Leidenschaft weiter. Sein Herz schlägt für den Rohschinken – so sehr, dass er die im Tessin hergestellten, von Hand gesalzenen Schinken in seinem eigenen, gekalkten Gewölbekeller zu Hause reifen lässt. «Dieser Prozess kann mehrere Jahre dauern. Ich begleite jede Phase persönlich und halte alles fest», sagt er. Wer einen solchen Schinken anschneidet, riecht das Salz, den Keller, die Geduld – und schmeckt die Zeit, die darin steckt.
Auch Orello selbst ist eine Geschichte von Kontinuität. Obwohl die Firma seit Jahrzehnten zu Bigler gehört, blieb sie eigenständig – mit derselben Hingabe wie am ersten Tag. Heute arbeiten knapp 30 Mitarbeitende in Davesco, viele seit Jahren, manche seit Generationen. Unter ihnen bis 2024 Marcello Bigi, Schwiegersohn von Sandro Aresi und über 35 Jahre lang die Seele der Salamiherstellung. Man nannte ihn den «Salamipapst» – weil er jeden Tag persönlich die Würste prüfte, von Hand umhängte, die Luftfeuchtigkeit nachjustierte und mit Schimmelsporen veredelte. Kein Industrieverfahren, sondern ein Ritual, bei dem Geduld und Intuition entscheidend sind. Wer eine Orello-Salami probiert, schmeckt dieses Wissen, das man nicht maschinell herstellen kann.
Seit Juli 2023 führt Gérard Bigler die Manufaktur offiziell zusammen mit Michele Capra, einem langjährigen Mitarbeitenden. Marcello Bigi hat sich zurückgezogen, hilft aber immer noch, wenn sein Fachwissen gebraucht wird. So geht die Geschichte weiter – als Verbindung zweier Familien, zweier Kulturen und eines Handwerks, das Zeit, Hingabe und Liebe zum Produkt verlangt. Das Tessin ist für Bigler eben nicht nur ein Ort. Es ist eben un amore grande.