Die Geschichte ist schnell erzählt: Sandro* kauft zusammen mit seinem Kollegen Manuel* ein Geburtstagsgeschenk für den gemeinsamen Freund Amar*. Zu diesem Zweck zahlt Sandro von seinem Konto bei der Raiffeisenbank 100 Franken auf das Postfinance-Konto von Manuel ein. Um die Überweisung kenntlich zu machen, schreibt er «Geschenk Amar» in die Mitteilungszeile. Prompt meldet sich die Raiffeisenbank: Postfinance verlange Vor- und Nachname, Nationalität, Geburtsdatum und Wohnort von Amar. Postfinance werde «den Betrag ohne die genannten Angaben weder retournieren noch dem Kundenkonto von Manuel gutschreiben», heisst es im Brief.
Beim Namen Amar, der aus dem Raum Afghanistan stammt, läuten bei der Postfinance offensichtlich die Alarmglocken. Tatsache ist, dass sämtliche Geldinstitute in der Schweiz die Transaktionen ihrer Kunden elektronisch überwachen. Das müssen sie. Das fordert das Geldwäschereigesetz. Die Finanzdienstleister müssen wissen, wer über ihre Plattformen Zahlungen abwickelt. Sie sind haftbar, nicht nur für Geldwäsche, sondern auch für Terrorismusfinanzierung. «Die Umsetzung liegt aber immer bei den einzelnen Geldinstituten», so Tobias Lux von der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma). Dabei hat jede Bank ihr eigenes Risikomodell.
Unter anderem füttern sie ihre Systeme mit der vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) veröffentlichten Liste sanktionierter Personen und Organisationen. Gibt es eine Übereinstimmung, geht die rote Ampel an. Dies bestätigt auch Postfinance: «Offenbar stimmte ein Name in Zusammenhang mit der Transaktion mit einem Namen auf einer Sanktionsliste überein», so Postfinance-Sprecher Marc Andrey.
Und wirklich: Schlägt man beim vom Seco angebotenen Suchformular den Namen Amar nach, erscheinen verschiedene Einträge, unter anderem von Taliban-Führern der ersten Garde.
Allein: Amar ist ein geläufiger Name in der arabischen Welt. Es stellt sich daher die Frage nach der Verhältnismässigkeit. Genügt ein diffuser Verdacht, begründet lediglich auf einem Vornamen, damit eine Transaktion gestoppt wird? Ja, heisst es bei Postfinance. Wenn das System eine Übereinstimmung mit einem Namen auf einer Sanktionsliste melde, sei Postfinance verpflichtet, die Transaktion zu prüfen, um eine tatsächliche Übereinstimmung auszuschliessen. Der Betrag spielt offenbar keine Rolle: «Sämtliche Transaktionen werden geprüft», so Andrey.
«Schweizer Banken sind beim Monitoring klar strenger geworden – es gilt der Grundsatz: Wehret den Anfängen», sagt Wirtschaftsprofessor Peter V. Kunz. Die Milliarden-Busse der BNP Paribas habe gezeigt, dass man bei der Einhaltung von internationalen Sanktionen besser zweimal hinschaut. Für ihn ist klar: «Die Aufmerksamkeit für Transaktionen mit Bezug zum islamischen Raum ist gestiegen.» Und: «Personen mit arabisch klingenden Namen stehen gewissermassen unter Generalverdacht», so Kunz.
Ob solche Verdachtsfälle zehnmal, hundertmal oder gar Tausende Male pro Jahr vorkommen, will Postfinance nicht sagen. Nur so viel: «Der Aufwand für das Monitoring ist gross. Das System muss unterhalten, aktualisiert und verifiziert werden.» Zudem benötigen diese Arbeiten auch entsprechendes Personal.
Doch dieses leisten sich die Geldinstitute anscheinend gerne – katastrophal wäre der Reputationsverlust, würde sich herausstellen, dass man zur Finanzierung des internationalen Terrorismus beigetragen hätte. So nehmen die Compliance-Abteilungen auch in Kauf, das eine oder andere Mal übers Ziel hinauszuschiessen.
Das Nachsehen haben dabei die aus ihrer Sicht zu Unrecht bestraften Kunden. Sandro jedenfalls weiss noch nicht, ob er die verlangten Angaben an Postfinance liefern will: «Es widerstrebt meinem Verständnis von Privatsphäre.» Was dann mit den blockierten 100 Franken geschieht, ist unklar. Laut Peter V. Kunz hätte Sandro Anrecht darauf, das Geld zurückzufordern. Postfinance dagegen bleibt vage: Würden Gelder im Rahmen von Sanktionsmassnahmen respektive den entsprechenden Listen gemeldet und gesperrt, verfahre Postfinance nach Anweisung der zuständigen Behörde. Bei Übereinstimmung einer Transaktion mit einer gelisteten Person, Unternehmung oder Organisation muss nämlich ein Finanzinstitut die betreffenden Transaktionen der zuständigen Behörde melden.
Die Filter, in denen potenzielle Terroristen- und Kriminellengelder hängen bleiben sollen, scheinen zu funktionieren. In Zeiten des E-Banking, wo täglich Zigtausende Transaktionen automatisiert getätigt werden, sind die Unternehmen auf entsprechende Monitoring-Programme angewiesen. Der Grad der Standardisierung ist hoch – das trägt dem Einzelnen kaum Rechnung. Die Verhältnismässigkeit zu wahren, liegt im Ermessen des zuständigen Compliance-Mitarbeitenden.
* Es handelt sich um fiktive Namen; die echten Namen sind der Redaktion bekannt.